Kapitel 30

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"Dylan", sagte ich, mir ein Grinsen verkneifend, als er anfing Küsse auf der nackten Haut meines Halses und meiner Schulter zu verteilen, während ich selbst versuchte, mich davon nicht ablenken zu lassen, um mich weiter um mein Make-Up zu kümmern. 

Zwei Monate. So lange war der Vorfall in Ellas Haus her. Vorfall. Das hörte sich so harmlos an. Aber ich wollte nicht daran denken, vor allem nicht heute. Es war eine Erinnerung, die mir für immer bleiben würde. Etwas, das ich nicht einfach verdrängen könnte, aber ich versuchte so gut wie möglich einfach nicht mehr darüber nachzudenken. Das hörte sich so egoistisch an. Ich hatte jemanden umgebracht, natürlich wollte ich mich nicht daran erinnern, aber eine Person war wegen mir nicht mehr am Leben. Ich hatte das Gefühl, dass ich dauerhaft daran denken sollte. 

Aber es war nicht nur das. Die Beerdigung meines Vaters war ebenfalls ein wenig über zwei Monate her. Das Zeichen auf meiner Schulter hatte sich kurz davor vervollständigt. Wenn ich jetzt daran zurückdachte, dann kam es mir vor, als ob diese Ereignisse eine Ewigkeit her waren. 

Die nächsten zwei Monate hatten sich dafür angefühlt wie Jahre. Nach und nach waren vermisste Personen gefunden worden, zwei von ihnen sogar noch am Leben, allerdings waren sie direkt in eine Psychiatrie eingewiesen worden. 

Es gab keine neuen Opfer. Keine Morde. Nichts. Ich hatte keine Ahnung, woran das lag. Ebenso wenig wie Dylan, mit dem ich mich zu Nick begeben hatte, dem Psychiater, der nicht nur Psychiater war. Dabei hatte Dylan erfahren, dass ich Nick bereits kannte und es war verrückt, wie wenig mich das in diesem Zeitpunkt gekümmert hatte, während ich vor einigen Monaten noch mit allen Mitteln vermeiden wollte, dass Dylan etwas davon mitbekam. 

Nick hatte uns erzählt, dass er diesen einen Verdacht schon einmal gehabt hatte. Die Vermutung, dass es nicht mehrere, verschiedene Dämonen waren, sondern nur ein einziger. Er hatte diese Theorie schnell aufgegeben, da er es für unmöglich gehalten hatte, dass ein einziger Dämon so viel anstellen konnte. Aber nachdem mit Ellas Tod all die schrecklichen Dinge aufgehört hatten, war er sich seiner Vermutung umso sicherer geworden. 

Ob es wirklich möglich war, dass mit Ellas Tod auch der Dämon in ihr gestorben war, wusste ich nicht, aber ich hoffte es. 

"Ich muss mich fertigmachen", sprach ich erneut, als ich weiterhin seine Lippen auf meiner Haut spüren konnte, die sich zu einem kleinen Grinsen bildeten. 

Dass sich die zwei letzen Monate wie eine Ewigkeit angefühlt hatten, war aber vor allem Dylans Verschulden. Nach dem Kuss auf der Hochzeit seiner Tante, wussten wir beide, dass da etwas war. Wir wussten nur nicht, wo das Ganze hinführte. Wir hatten auch nicht wirklich darüber geredet. Die Dinge hatten einfach ihren Lauf genommen und hier waren wir jetzt, in meinem Zimmer, während ich versuchte mich für den Abschlussball zu schminken, ohne mich von dem Jungen, mit dem ich fast dauerhaft die letzten zwei Monate verbracht hatte, ablenken zu lassen.

Es hörte sich alles so gut an. Ich hatte wieder Routine im Leben. Ich musste mir keine Sorgen mehr machen. Da waren nur die Erinnerungen, die mir blieben. Und auch wenn die größte Anzahl dieser Erinnerungen alles andere als angenehm war, hatten sie mich irgendwie dorthin gebracht, wo ich gerade war. 

Da war jedoch eine Sache, die ich noch hinter mich bringen musste. Etwas, das ich von Anfang an hatte vermeiden wollen. Ich hätte es ihm früher erzählen können, vielleicht sogar erzählen sollen, denn ja, es hätte etwas geändert. Die letzten zwei Monate wären anders verlaufen. Ich wollte sie genießen, solange ich konnte. Ich wollte Zeit mit ihm verbringen, ohne in seinen Augen sehen zu können, woran er dachte und mich damit selbst daran zu erinnern, dass das wahrscheinlich die letzten Tage waren, die wir miteinander verbringen konnten.

Hunted | Dylan O'BrienWhere stories live. Discover now