Als ich das nächste mal aufwachte, lag ich auf einer Couch.
Auf der alten, verschimmelten Couch, die ich schon vorhin erkennen konnte.
Ich hatte nur wenig an und ganz langsam, nahezu schleichend realisierte ich, was sie getan hatten.
Mein ganzer Unterleib schmerzte brutal.
Ich musste mich beinahe übergeben.
Das durfte nicht wahr sein. Das hier durfte einfach nicht geschehen sein, das hier durfte einfach alles nicht real sein.
Immer noch hoffte ich, gleich aus einem schrecklichen Alptraum aufzuwachen.
Aber ich tat es nicht.
Tränen liefen mir über die Wangen und ich schluchzte stumm los.
Wieso geschieht das hier alles?! Wieso??
Plötzlich bemerkte ich eine Gestalt, die zusammengekauert im Türrahmen hockte.
Ich rollte mich sofort reflexartig zusammen, aber als ich bemerkte, wer dort überhaupt saß, stockte mir der Atem.
„Joey.", flüsterte ich fassungslos.
Mein großer Bruder saß dort in der Ecke, den Mund mit silbernem Panzerband verklebt, die Arme hinter dem Rücken, genau wie meine, verbunden
Sein linkes Auge war zugeschwollen. Mit dem anderen blinzelte er mich verzweifelt an.
Ich weinte noch heftiger.
Ich wagte es kaum, mich zu bewegen.
Alles schmerzte so unglaublich.
Und ich schämte mich so sehr.
Hatte er es ansehen müssen?
Als ich mich doch ein wenig bewegte, bemerkte ich, dass meine Handfesseln ein wenig gelöst waren.
Ich fing an, schneller zu atmen vor Hoffnung und versuchte sie zu lösen.
Joey sah mich ebenso hoffnungsvoll an und ich versuchte es weiter.
Ich blickte mich in dem leeren Raum um und suchte nach irgendeinem Gegenstand, mit dem ich das Seil vielleicht hätte durchschneiden können.
Etwas metallenes blitzte aus der Wand hinaus. Ein Nagel.
Unter großen Schmerzen schaffte ich es, mich aufzurappeln und lief vorsichtig ans andere Ende des Raums.
Der Nagel befand sich weiter unten in der Wand und ich musste weit in die Hocke gehen um mit meinen Händen daranzukommen.
Als ich ihn endlich erreicht hatte, fing ich so hektisch an, daran herumzureißen, dass es den Nagel aus der Wand hob.
Ich fluchte leise, aber als ich mit den Händen weiterhin daran herumfummelte, lösten sich meine Handfesseln endlich.
Ich atmete ruhig ein und aus. Jetzt nur nicht ausflippen. Ruhig bleiben.
Langsam stand ich auf und schlich auf Joey zu.
Plötzlich schüttelte er wild mit dem Kopf, mit dem Blick in den anderen Raum.
Ich blieb sofort stehen. Mein Herz pochte so laut gegen meinen Brustkorb, dass ich glaubte, es sei so laut, dass jeder es hören könnte und es uns verraten würde.
Im Nebenraum schnarchte jemand in einer Lautstärke von mindestens 90 Dezibel.
Joey blickte noch einmal hinein, dann nickte er.
So leise wie möglich bewegte ich mich fort, was aber gar nicht so einfach war, da hier überall Schutt und Scherben herumlagen.
Ich kniete mich neben meinen Bruder und zog ihm mit einem Ratsch das Klebeband vom Mund.
Er keuchte kurz auf, dann stand er auf, drehte mir den Rücken zu, und ich entknotete das Seil, mit dem seine Hände fest zusammengebunden worden waren.
Wieder drehte er sich langsam zu mir um.
Eine Sekunde lang standen wir so da, dann merkte ich wie Tränen in seinen Augen glitzerten und er schlang fest die Arme um mich.
Ich drückte ihn so fest an mich, wie ich nur konnte.
Gemeinsam würden wir eine Lösung finden, hier raus zu kommen.
Ganz bestimmt.
Mein Herzschlag beruhigte sich wieder ein wenig, ich fühlte mich mit Joey an meiner Seite so viel sicherer. Auch wenn ich mir von ganzem Herzen für ihn gewünscht hätte, dass er nicht hier wäre. Und außerdem bestätigte es nun auf jeden Fall meinen Verdacht, dass dies alles mit unserer Familie zusammenhing.
Ich hatte aber keine Zeit um viel länger nachzudenken, denn Joey blickte mich ungeduldig an.
Wir sagten nichts sondern sahen uns nur angespannt in dem kleinen Gebäude um.
Hier gab es nur ein Fenster, und eine Tür, die vermutlich nach draußen führte.
Beides befand sich aber unglücklicherweise im Nebenraum.
Auf dem kleinen Tisch standen leere Bierflaschen und in einem Aschenbecher qualmten Zigarettenstummel vor sich hin.
Tyler und Rick waren anscheinend weg, ich hatte vorhin eine Tür schlagen hören.
Und Chris hing schnarchend halb auf dem Tisch, halb saß er auf dem Stuhl.
Scheiß Wichser.
Meine Hände ballten sich zu festen Fäusten, aber Joey nahm sanft meine Hand und schüttelte den Kopf.
Er beugte sich nach unten und hob etwas auf. Es war meine Jeans. Ich hatte sie vor lauter Aufregung gar nicht gesehen.
Ich sah ihn dankbar an, dann schlüpfte ich blitzschnell hinein.
Joey deutete auf die Tür und ich nickte. Zuerst würden wir es dort probieren. Hand in Hand liefen wir darauf zu.
Noch zwei Meter.
Ein Meter.
Unsere Entführer schliefen tief und fest. Ich sah eine Armbanduhr im Licht blitzen, welches durch das kleine Fenster schien.
Zwölf Uhr Mittags.
Ich war nun schon hier seit gestern um neun Uhr abends. Hoffentlich nicht mehr lange...
Die Tür kam immer näher.
Ein Kribbeln breitete sich in meinem gesamten Körper aus.
Joeys freie Hand erreichte den Türknauf.
Endlich.
Er rüttelte vorsichtig daran.
Abgeschlossen.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals.
Also zum Fenster.
Es war wirklich sehr klein, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich oder Joey da durch passen würden, war ziemlich gering.
Aber einen Versuch war es auf jeden Fall Wert.
Besser als hier zu sterben.
Das Fenster lag sehr weit oben, und weder ich, noch Joey kamen daran.
Also faltete Joey seine Hände zusammen und machte mir eine Räuberleiter. Ich setzte bedächtig meinen Fuß mit dem schweren Springerstiefel daran hinein und drückte mich mit dem anderen Fuß vom Boden ab.
Es war so still, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Die Stille war so bedrückend, dass ich nicht einmal wagte, zu atmen.
Ich zog mich zusätzlich an dem winzigen Fensterbrett hoch, meine Hände berührten den Fensterhebel und ich zog das Fenster vorsichtig auf.
Joey hob mich weiter hoch und ich versuchte es noch weiter aufzumachen als plötzlich ein Schuss die Stille zerriss und Joey mich fallen ließ und gleichzeitig wie am Spieß schrie.
„Joey!", kreischte ich und sah das viele Blut, welches schnell seinen Arm hinunterlief und sein Hemd dunkelrot färbte.
Chris stand da, mit einer Waffe auf uns gerichtet.
„Ihr bleibt schön hier. Sonst ist das nächstes mal kein Streifschuss mehr! Haben wir uns verstanden?!"
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Loss Of Control
FanficTochter einer Berühmtheit zu sein ist gar nicht so einfach. Josinas eigene Familie wird ihr von Tag zu Tag fremder. Doch das soll sich durch ein schreckliches Ereignis abrupt ändern.