sixteen

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Erschöpft ließ ich mich auf das Bett fallen, bekam nur nebenbei mit, dass sich Mats und Erik ebenfalls im Raum befanden. Sie gingen wieder normal mit mir um, es schien fast so, dass sie mir aus irgendeinem, unverständlichen Grund verziehen hatten. ''Becca, können wir dich alleine lassen?'' Ich richtete mich auf und beobachtete Erik, der auf einem Sessel nahe eines Fenster platz gefunden hatte und mich besorgt musterte. ''Ich kann auch hier bleiben, wenn du willst.''

''Nein, geh nur, ich komme alleine zurecht.''

Erik stand seufzend auf, ließ mich nicht aus seinen Augen. ''Ich nehm dir das von vorhin nicht übel, falls du das dachtest. Ich verstehe dich. Das, was passiert ist, hat für dich 'nen komplett anderen Stellenwert.'' Er setzte sich neben mich auf das Bett. ''Aber du kannst mir glauben, auch wenn ich nicht mehr ganz zurechnungsfähig war: Ich hätte nie irgendwas getan, was du nicht wolltest. Ich hätte dir nie weh getan, Becca - das musst du mir glauben.'' Ich schluckte und nickte, hatte nie auch nur einen Gedanken daran vergeudet, dass er mich zu was gezwungen hatte. Ich hatte es mir selbst zu zuschreiben und hasste mich dafür. Wieso schob ich ihm all die Verantwortung zu? Ich war 19 Jahre alt und somit auch alt genug, um auf mich selbst aufzupassen.

''Es tut mir leid, dass ich so reagiert habe, Erik...'', murmelte ich, mein Blick war auf meine Hände, die auf meinen Beinen lagen, gerichtet. ''Mir ging so viel durch meinen Kopf... ich wollte dir da nicht all die Schuld zu schieben. Und Mats: Es tut mir ebenso leid, dass du das alles mitbekommen musstest. Ich schätze, ich war einfach nicht bei der Sache.''

''Schon vergessen!'', lächelte Mats, woraufhin Erik von meinem Bett aufstand und zu seinem Kumpel trat. ''Ich denke, wir lassen dich dann mal alleine.'' Ich nickte und ohne ein weiteres Wort verließen sie den Raum. Die Tür fiel mit einem lauten Knall in ihr Schloss, was mich etwas zusammen zucken ließ. Womit hatte ich die Beiden verdient? Noch nie in meinem Leben konnte ich mich so mit irgendwem unterhalten. Sie verziehen mir unglaublich viel und ihnen fiel auf, wann ich meine Entschuldigungen ernst meinte oder wann es mir nicht so gut ging. Sie kümmerten sich um mich. Mehr, als es meine Familie je getan hatte. Selbst meine Großeltern hatten mich nie so aufmerksam beobachtete, wie Erik es die letzten zwei Tage getan hatte. Warum? Warum kümmerte sich ein völlig Fremder mehr um mich, als meine Familie? Weil er mit dir verheiratet ist, Rebecca.

***

Ein nerviges Piepen durchbrach die angenehme Stille und ließ mich aufschrecken. Vereinzelte Sonnenstrahlen schafften den Weg durch die zugezogenen Vorhänge und ließen das Zimmer etwas erhellen. Wie viel Uhr war es? Genervt griff ich nach meinem Handy, das mich so unsanft geweckt hatte. Mit einem müden Strich über den Bildschirm entsperrte es sich und zeigte mir, was so wichtig war, dass ich bereits um sieben Uhr geweckt wurde.

43 entgangene Anrufe.

Ich hielt die Luft an, als ich die Nummern erkannte. Meine Oma, mein Opa, selbst meine Mutter hatten mich angerufen. Mehrmals. So oft, dass ich mich fast schon wunderte, warum ich nicht wach geworden war. Das waren definitiv die Schmerzmittel.

Als ich die Bettdecke zur Seite schob, immer noch mit dem Handy in meiner Hand, spielte ich sogar mit dem Gedanken, mich wenigstens bei meinen Großeltern zu melden. Sie wussten nicht, warum ich gegangen war und machten sich mit Sicherheit große Sorgen um ihre Enkelin. Wussten sie vielleicht sogar von dem Prügel, den mir mein Vater erteilt hatte? Oder hatte ihnen mein Vater eine Lügengeschichte aufgetischt? Genervt sperrte ich den Bildschirm erneut und warf mein iPhone unachtsam auf das ungemachte Bett. Ich würde mich schon noch bei meinen Großeltern melden, aber nicht jetzt, nicht heute. Ich brauchte Ruhe, genau, wie es Erik gesagt hatte. Ruhe vor all dem.
Vielleicht war es gar keine so schlechte Idee, mit der Scheidung noch etwas zu warten...

Ich knipste das Licht in meinem Badezimmer an, die kleine Tasche mit all den Hygieneprodukten in meiner rechten Hand, während ich müde vor das Waschbecken trat. Mein Blick wanderte in den Spiegel und obwohl ich eigentlich mit einem fürchterlichen Anblick gerechnet hatte, ließ ich vor Schreck meine Haarbürste fallen. Verdammt aber auch. Mein Auge ist in der Nacht etwas angeschwollen, während meine Lippe auch nicht wirklich besser aussah. Wie sollte ich das noch überschminken? So konnte ich mich doch nirgends blicken lassen! Schnell versuchte ich mit kühlem Wasser die Schwellung etwas zu verdecken, was allerdings nicht wirklich funktionierte, weswegen ich nach Make-Up griff und wenigstens die Blaufärbung überdeckte. Zu meiner Erleichterung fiel die Schwellung so kaum noch auf. Mit etwas Wimperntusche versuchte ich letztendlich die Aufmerksamkeit komplett von meiner Schwellung zu lenken. Meine blonden Haare ließ ich mir einfach über meine Schultern fallen, bevor ich aus dem Bad trat.

Mit einem Ruck zog ich die Vorhänge zur Seite und musste mehrere Male blinzen, bis sich meine Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten. Der erste Tag ohne meine Eltern in der Großstadt Las Vegas konnte beginnen. Auf der einen Seite war ich wirklich glücklich darüber, dass ich mich endlich von meiner Familie getrennt hatte, während ich auf der anderen Seite auch durchaus Angst vor dem hatte, was auf mich zukommen würde.

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