Erkenntnis

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Es klopfte an der Tür. Nienna, die sich gerade die Haare geflochten hatte, steckte die letzte Spange fest und rief: "Wer ist da?"
"Jemand, den ihr lange nicht gesehen habt, Frau und Herr Grünblatt."
Nienna starrte Legolas fassungslos an, als sie die Stimme erkannte. Auch Legolas wirkte überrascht.
"Aragorn?!"
Die Tür öffnete sich und der (mittlerweile alt gewordene aber immer noch stattliche) König von Gondor trat ein.
Hinter ihm lief ein etwa dreijähriger braunhaariger Junge, der Nienna ziemlich bekannt vorkam. "Eldarion!" flüsterte sie freudig.
Aragorn umarmte Legolas freundschaftlich. Auch Nienna zog er an sich.
"Wie lange ist es her?" fragte Aragorn. Nienna wusste nicht, worauf er hinauswollte, bis Legolas antwortete: "Fünfundzwanzig Jahre."
Legolas lachte und Nienna wurde klar, dass sie ihr letztes Treffen gemeint hatten.
Während die beiden über Dinge sprachen, die für sie belanglos waren, kniete sie sich zu Eldarion hinab. "Kannst du dich überhaupt noch an mich erinnern?" fragte sie ihn.
Er sah ihr in die Augen. Sie zuckte ein wenig zusammen, als sie merkte, dass seine Augenfarbe der Arwens genau glich.
"Ein bisschen." sagte er schüchtern. Er lispelte ein wenig, was aber sehr niedlich klang.
Aragorn beugte sich zu den beiden hinab. "Er untertreibt maßlos. Sein erstes Wort war "Nienna"."
Obwohl das Ganze als Scherz gemeint war, blitzte kurz Enttäuschung in seinen Augen auf.
Nienna konnte nicht anders, sie musste lächeln. "Wirklich?"
Ihre Wangen färbten sich rosa und sie wandte sich wieder Eldarion zu.
Sie hörte, dass Legolas Aragorn ihre gesamte Geschichte erzählte, aber sie mischte sich nicht einmal ein sondern beschäftigte sich mit Eldarion. Der Kleine war wirklich niedlich, und obwohl er erst so klein gewesen war, als Aragorn ihn von Nienna geholt hatte, schien er sie wirklich zu mögen.

"Das... ist fürchterlich." sagte Aragorn betroffen, als Legolas geendet hatte.
Nienna erhob sich aus ihrem Schneidersitz. "Das habe ich schon oft gehört."
Legolas griff nach ihrer Hand, um ihr Halt zu geben.
"Ich kann vollkommen verstehen, dass ihr diesen Fluch aufheben wollt. Aber seid ihr euch sicher, dass es das wert ist?"
Legolas schaute verständnislos.
"Dass es was wert ist?"
Aragorn zuckte mit den Schultern.
"Die Gefahr, dass ihr sterbt, ist ziemlich hoch. Ich meine, man kann auch ohne Kind leben. Wollt ihr das wirklich riskieren?"
Jetzt waren die beiden vor eine Frage gestellt worden, die sie selbst nicht beantworten konnten. Natürlich war es in Ordnung, keinen Nachwuchs zu haben, aber irgendwie ging es um mehr als das.
"Ich kann einfach nicht damit leben, dass ein Fluch auf mir liegt." sagte Nienna entschieden.
"Und du würdest mit ihr natürlich überallhin gehen." wendete Aragorn sich an Legolas, der nickte.
"Und wenn sie ans Ende der Welt wollte, nur um dort einen Tee zu trinken, ich würde mitkommem."
Aragorn seufzte. "Scheint aussichtslos. Du warst schon immer Gefahrenliebhaber, und deine Frau scheint dir in nichts nachzustehen."
Legolas lachte. "Es ist schon lange her, dass ich in einen Kampf mit Pfeil und Bogen verwickelt war."
Tatsächlich war der letzte Pfeil, den er abgeschossen hatte, der gewesen, der den Ork durchbohrt hatte, der Nienna getötet hatte. Und ein bisschen, das musste er zugeben, sehnte er sich nach der Aufregung und den Gefahren.
Er lächelte versonnen. "Es wird höchste Zeit."

Maylea starrte Thranduil an. Ihre Miene war undeutbar.
Thranduil seufzte und rieb sich übers Gesicht. "Das war irgendwie schlecht, tut mir leid. Aber es ist wahr."
Er griff nach ihrer Hand. Einen Moment lang hielt sie sich an ihm fest, als ob sie jeden Moment umfallen könnte und er ihr Anker wäre, doch dann drehte sie sich auf dem Absatz um und lief davon.
Zurück blieb ein vollkommen verblüffter Thranduil. Er wusste zwar, dass er im Gefühle zeigen ein wenig eingerostet war, aber so schlimm hatte es ja auch wieder nicht geklungen. Sollte er ihr hinterherlaufen? Sie hatte nicht sehr stabil gewirkt. Was, wenn sie umfiel und niemand ihr half?
Mach dich nicht lächerlich, schalt er sich in Gedanken, sie ist eine Kämpferin.
Und das gefiel ihm ziemlich gut.

Maylea lief ohne eine wirkliche Richtung einfach kreuz und quer durch den Palast.
Er hatte es gesagt. Es war wahr. Ihre schlimmsten Vermutungen hatten sich bestätigt.
Aber das Allerschlimmste war, dass sie eigentlich genauso empfand wie er. Sie hatte sich irgendwie auch in ihn verliebt. Aber wollte sie das wirklich? Nach dem, was damals passiert war, wieder eine Bindung eingehen? Was, wenn Thranduil das Gleiche tat wie er damals?
Es gab nur eine Möglichkeit, das zu verhindern: sie musste ihm ihr Geheimnis anvertrauen. Sie musste ihm sagen, was damals passiert war, sich für ihre unangemessenen Reaktionen entschuldigen, und ihm sagen, wie sehr sie ihn auch liebte.
So einfach war das.
Aber nach einhundertfünfzig Jahren Schweigen fiel ihr das gar nicht so leicht.
Wenn sie ihn jedoch wirklich liebte, würde sie es ihm sagen.

"Ihr könnt eine Weile mit mir reiten. Die anfängliche Richtung ist dieselbe. Eigentlich hatte ich zwar vor, ein wenig länger hierzubleiben, aber wenn ihr heute schon los wollt..."
Aragorn, Legolas und Nienna (die Eldarion auf dem Arm trug) gingen die Gänge zum Haupttor hinunter.
"Wir wollen morgen bei Tagesanbruch losreiten. Die Angestellten packen bereits unsere Sa-..." Legolas brach ab. Maylea kam auf sie zugestürmt, und sie sah ziemlich durch den Wind aus.
"Alles in Ordnung mit dir?" fragte Legolas sie.
Verstört schüttelte sie den Kopf.
Legolas bedeutete Nienna und Aragorn weiterzugehen. "Ich kümmere mich um sie."
Nienna wunderte sich ein wenig darüber, sagte aber nichts weiter dazu.
"Was ist los?" wollte Legolas wissen.
Maylea drehte wie verrückt eine Haarsträhne um ihren Finger. Ihr Atem ging schnell und flach.
"Th...Thranduil."
Legolas riss die Augen auf. Seinem Vater traute er alles zu.
"Was hat er getan? Hat er dich verbannt? Angeschrien? Keine Sorge, das sind nur so Launen, das geht vorbei..."
"Ist Liebe auch eine Laune?" fragte Maylea erschöpft.
Legolas erstarrte. "Wie bitte?"
Maylea seufzte und ließ ihr malträtiert aussehendes Haar los. So glücklich, wie Haar sein konnte, kringelte es sich aus und hing schlaff herab.
"Er hat mir seine Liebe gestanden."
"Oh Eru..."
"Aber irgendwie liebe ich ihn ja auch." fügte Maylea hinzu.
Legolas musste sich an der Wand abstützen. Wie konnte er davon nichts mitbekommen haben?
"Ist alles in Ordnung?" erkundigte Maylea sich besorgt bei ihm, denn er lehnte mit der Stirn gegen die Wand und ließ die Schultern hängen.
"Was? Ja, das war nur... ein bisschen überraschend." Er räusperte sich und stieß sich von der Wand ab.
Damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Mit allem, von einer Verbannung bis zu einer Todesstrafe, aber nicht mit... Liebe. Nicht bei seinem Vater.
Er musterte Maylea. Was fand sein Vater an ihr? Gut, sie war wirklich hübsch, sie war eine gute Kriegerin, nett, witzig und ihr Lächeln war betörend, aber.... Plötzlich konnte er sehr gut verstehen, was sein Vater an ihr fand.
Aber sie war nun einmal nicht Nienna.
"Was... ähm... ist daran jetzt so schlimm?"
Maylea zuckte mit den Schultern. "Ich... ich weiß selber nicht... es ist irgendwie verwirrend. Früher habe ich mir geschworen, nie wieder einen Mann anzugucken, und jetzt liebe ich den König..."
Sie blinzelte verblüfft, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade gesagt hatte.
"Ich liebe den König..." flüsterte sie ergriffen.
"Sie liebt den König." flüsterte Legolas erschöpft.
Maylea umarmte ihn stürmisch. "Danke! Du hast mit wirklich geholfen!"
Und schon hatte sie sich wieder umgedreht und ging.
Legolas stand nur da, die Verblüffung stand ihm ins Gesicht geschrieben, und ihm wurde bewusst, dass diese Elbe, wenn ihn nicht alles täuschte, bald die Frau seiner Vaters sein würde.
Seine Stiefmutter.
Oh Eru.

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Hey ihr Lieben^^
Ja ich lebe noch! Nach zwei Wochen Urlaub und einer halben Woche Schreiberei kommt endlich ein neues Kapitel für euch :) Ich hoffe, es gefällt euch, denn ich habe es komplett neu geschrieben (eigentlich hatte ich es Samstag schon fertig und nein, das habe ich nicht einmal dir gesagt @Armitagegirl22, denn ich wusste du würdest mich sonst zwingen es hochzuladen :D).
Tut mir leid wegen dem Satz mit den glücklichen Haaren, aber ich musste ihn drinlassen, er ist irgendwie genial xD
Ich werde jetzt beginnen, Kapitel zu widmen, jejj! Diese erste Widmung geht an *Name nachguck* @lucia1803! Danke für deine Votes, deine Kommis und deine obersüße Privatnachricht! Ich hoffe, du freust dich!
Wir lesen uns :)
xx Jojo

Der Prinz des Düsterwaldes 2 - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt