Neugier

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Nienna war nicht die Einzige, die mehr über ihren neuen einzigen Gesprächspartner erfuhr. Auch Legolas unterhielt sich viel mit Maylea, und er musste sagen, sie war ihm wirklich sympathisch. Wenn sie erzählte, dann redete sie voller Elan und ihre blauen Augen leuchteten. Sie schilderte mit Händen und Füßen und Legolas hörte ihr aufrichtig gerne zu. Und so langsam fand er den Gedanken daran, dass sie vielleicht für immer an der Seite seines Vaters leben würde, gar nicht mehr schlimm. Er fand es sogar gut. Natürlich empfand er für sie nicht wie für eine Mutter, aber er freundete sich mit ihr an. Und schließlich brachte er sie sogar dazu, ihm ihr größtes Geheimnis zu offenbaren: ihre Vergangenheit.
Legolas war schockiert, als er von ihrem grauenvollem Exmann hörte. Und er wurde leichenblass, als er dessen Namen erfuhr.
"G - Galdor?" sagte er und blieb auf der Stelle stehen.
Maylea zog die Augenbrauen zusammen. "Ja, so hieß er. Ich habe allerdings gehört, dass er gestorben ist. Wieso?"
"Nienna..." sagte Legolas langsam. Sofort drehte diese sich um und blieb im Sicherheitsabstand von etwa drei Metern um Legolas stehen. "Was ist los?"
Auch Thranduil hatte sich umgedreht und näherte sich seinem Sohn.
"Dieser Stalljunge... der versucht hat, mit dir anzubändeln. Wie war sein Name?"
Nienna kniff die Augen zusammen. "Meinst du Galdor?"
Maylea schlug sich die Hände vor den Mund. "Oh Eru..."
Legolas nickte langsam. Nienna sah verwirrt zwischen ihm und Maylea hin und her. "Wieso? Was ist mit ihm? Ist er nicht tot?"
Thranduil schluckte. "Dieser Junge war widerlich."
Maylea nickte. Nienna kniff die Augen zusammen. "Was ist denn mit ihm?"
Maylea machte eine abweisende Handbewegegung in ihre Richtung. "Sei froh, dass du dich in Legolas verliebt hast und nicht in ihn. Er war es nicht wert."
Nienna schüttelte verwirrt den Kopf. "Na dann..."
Maylea lächelte gequält. Legolas spannte seine Hand zu einer Faust und entspannte sie wieder. Thranduil tat so, als hätte er mit alldem nichts zu tun, und studierte die karge Umgebung.
Maylea tat allerdings nur locker. In Wirklichkeit hätte sie Nienna am liebsten umarmt und Legolas dafür gedankt, dass er Nienna vor diesem Ungeheuer von Elb bewahrt hatte.

Während Legolas und Maylea sich über Galdor unterhielten, hatte Tauriel im Düsterwald viel zu tun. Weil der König sowie der Prinz und die Prinzessin nicht anwesend waren, hatte sie als Anführerin der Wache im Moment das Sagen und somit auch mehr als genug zu tun.
Sie verstand gar nicht, wie der König normalerweise die ganze Zeit auf seinem Thron sitzen konnte, wo er doch so viel zu regeln hatte... Das erforderte vermutlich Jahrtausende an Übung.
Seit einer Woche hatte sie schon keine einzige Minute Zeit für sich gehabt. Also war es verständlich, dass sie auf dem Weg zu ihrem Zimmer mit den Gedanken bei dem verschwundenen Kind von einer Elbe namens Amralie war und die falsche Abzweigung nahm und auf einmal den Türgriff einer großen, verzierten Tür in der Hand hielt statt den, der zu ihrem Zimmer führte.
Es war Legolas' und Niennas Gemach.
Eigentlich wäre sie sofort umgekehrt, doch sie hatte sich innerhalb der letzten Woche so so oft den Kopf darüber zerbrochen, wieso Legolas, Nienna, Thranduil und dessen Geliebte (deren Namen sie leider vergessen hatte) so überstürzt aufgebrochen waren, dass sie augenscheinlich keine Zeit gehabt hatten, irgendjemandem den Grund für ihre Reise zu erklären. Und irgendwie hoffte sie, einen Hinweis auf ihre spontane Abreise zu finden, als sie die Klinke hinunterdrückte.

Erst einmal verschlug ihr der Anblick den Atem. Das Zimmer war so viel größer, als sie es von ihrem eigenen gewohnt war. Es hatte ein Fenster mit einem Balkon wie jedes Zimmer im Palast, jedoch schien man aus dem Fenster nicht die schnöden Bäume zu sehen, sondern eine wunderschöne Lichtung.
Tauriel war zutiefst beeindruckt. Fast überwog der Drang, sich einfach auf das riesige Bett fallen zu lassen und sich unter den Vorhängen in tiefe Träume gleiten zu lassen. Doch als ihr Fuß schon einen Schritt gemacht hatte, fiel ihr ein aufgeschlagenes Buch mitten in der Mitte des Zimmers auf, mit den Seiten nach unten lag es dort. Obwohl Tauriel durchaus bewusst war, dass das, was sie hier tat, schon beinahe an Spionage grenzte, hob sie das Buch auf, strich die Seiten liebevoll glatt und setzte sich damit auf das weiche Bett.
Die Seiten waren mit einer klaren, geschwungenen Schrift gefüllt, doch beim Durchblättern des Buches fiel ihr auf, dass die letzten Seiten noch weiß waren. Und das Wort Legolas kam zudem überdurchschnittlich oft vor.
Ihr wurde langsam klar, was sie da in der Hand hielt. Es war Niennas Notizbuch.
Für einen Moment erwägte sie, es aus der Hand zu legen. Doch dann entdeckte sie auf einer Seite ungefähr in der Mitte des Buches einen Satz, der ihr Interesse weckte. "...hat etwas mit Thranduil zu tun! Er mischt sich ständig in Dinge ein, die ihn nichts angehen..."
Tauriel schlug die Seite auf und begann zu lesen.

Der Prinz des Düsterwaldes 2 - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt