Visionen

1.6K 128 90
                                    

Legolas lag mindestens zwei Meter von Nienna entfernt und so nah neben Maylea, dass sich ihre Hände fast berührten. Es waren vertauschte Rollen. Dort lagen sein Vater und seine Frau, beinahe schon aneinandergekuschelt, und hier lagen er und die Geliebte seines Vaters, ebenfalls fast in den Armen des jeweils anderen.
Legolas konnte nicht sagen, wie sehr er all diese Steine verabscheute, die ihm in seinem Leben schon in den Weg gelegt worden waren. Und immer wenn er dachte, er hätte geschafft, einen zu überwinden, tat sich der nächste vor ihm auf wie eine Felswand, und nirgendwo gab es eine Möglichkeit, diese zu überwinden.
Er seufzte. Einerseits war sein Leben viel einfacher gewesen, bevor Nienna dieses betreten hatte. Andererseits war die Zeit, die er mit ihr verbracht hatte, so voll von Glück und Liebe, das er sich nicht mehr vorstellen konnte, ohne sie zu leben. Die Ewigkeit mit ihr zu verbringen...
Plötzlich musste er an sein Eheversprechen denken. Diesen einen Moment, in dem er wahrhaft geglaubt hatte, alles könne gut werden. Alles wäre gut. Er hatte wirklich gedacht, seine Hochzeit wäre der Abschluss allen Übels und der Beginn eines vollkommen glücklichen, makellosen Lebens.
Er musste sich zurückhalten, um nicht laut aufzulachen. Auf seiner Hochzeit hatten die wahren Probleme erst begonnen.
Ich kann dir nicht versprechen, dass wir keine steinigen Wege gehen müssen.
Aber ich kann dir versprechen, dass du sie nicht alleine gehen musst, und wenn nötig, werde ich da sein, um dich zu tragen.
Der metaphorische Sinn hinter diesen Zeilen aus seinem ewigen Schwur wurde ihm erst jetzt wirklich bewusst. Das hier war ein steiniger Weg. Vielleicht nicht der erste und auf jeden Fall nicht der letzte, aber genau jetzt musste er hier sein für seine Frau. Und wenn er sie nicht tragen konnte, dann musste er eben so gut wie möglich versuchen, die größten Steine für sie aus dem Weg zu räumen. Er musste daran glauben, dass sie einen Weg fanden, Nienna von dem Fluch zu befreien. Und er würde ihr beistehen. Selbst wenn es das Letzte war, was er tat.

Weil die vier keine Pferde mehr hatten, kamen sie nur sehr langsam voran. Ein Problem war, dass es Winter wurde in Mittelerde. Das Gute an diesem Problem war, dass Thranduil und Nienna den Schnee buchstäblich wegschmolzen und Legolas und Maylea in ihrer Nähe auch nicht frieren mussten.
Ein weiteres Problem war, dass sie keinen Kompass mehr und so auch keine Ahnung, in welche Richtung sie sollten, hatten. Sie irrten zwar nicht ziel- aber weglos in der Schneewüste umher, und sogar Thranduil und Legolas hatten keine Ahnung, wo sie sich befanden.
Nienna befasste sich in dieser Zeit mehr mit Thranduil. Sie konnte kaum mit Legolas reden geschweige denn ihn anfassen, und mit Maylea verhielt es sich genauso. Also war Thranduil so ziemlich ihr einziger Gesprächspartner.
Sie hatte ihn nie wirklich gemocht. Eigentlich war das sogar untertrieben: sie hatte ihn gehasst. Doch als sie ihm dies mitteilte, war sein einziger trockener Kommentar "Das ist gut, Hass ist ein leidenschaftliches Gefühl" gewesen. Irgendwie hatte er doch etwas.

Nienna erfuhr viel über Thranduil. Er erzählte ihr beinahe alles über seine Vergangenheit: über Legolas' Mutter, die Ereignisse mit dem Ring und dem kleinen Hobbit, die Ereignisse mit dem Ring und dem anderen kleinen Hobbit (er erzählte ihr die gesamte Geschichte: der Name des Hobbits war "Frodo" und nicht "Froso" gewesen. Mist. Das war so nah dran.). Sie ertappte sich dabei, ein paar Mal verträumt aufzuseufzen, als er von einer der unzähligen Heldentaten von Legolas berichtete. Er schenkte ihr jedes Mal einen amüsierten, aber ein wenig warmen Blick. Er wusste schließlich auch, was Liebe bedeutete.
Schließlich erzählte er von ihrer Mutter. Die Frau, die Nienna nie so wirklich kennen gelernt hatte. Und die in dem Glauben gestorben war, ihr Kind würde Melethwen heißen.
Einzig und allein den Part mit dem Fluch ließ Thranduil aus. Er hatte Angst, das zarte Band zwischen Nienna und ihm würde zerreißen und sie ihn schließlich erwürgen, wenn er ihr detailliert davon erzählte.

Eines Nachts, genau einen Monat, nachdem sie angegriffen worden waren, lag Nienna wach und konnte nicht schlafen. Sie lag auf dem bloßen Schnee, was ihr aber keine Probleme bereitete. Immerhin brannte sie mehr oder weniger.
Nein, sie beobachtete ihren Ring. Er glühte. Und es war nicht das Feuer, das ständig in ihm loderte, er leuchtete. Weiß. Allerdings nur an einem Rand. Es war wie ein Übergang, der Stein war weiterhin grau, nur eine Seite leuchtete weiß.
Nienna setzte sich auf. Sie bewegte ihre Hand. Der weiße Schimmer wanderte, wann immer sie sich drehte, aber er zeigte immer in die gleiche Richtung.
Auf einmal hatte sie eine Vermutung. Vorsichtig kroch sie an Thranduil heran. Wie sie erwartet hatte, leuchtete sein Stein auch.
Und der Schimmer War an derselben Seite des Ringes wie der Ihre.
Sie rüttelte an Thranduils Schulter. "Thranduil! Thranduil! Ich weiß, wohin wir gehen müssen!"
Doch Thranduil (A/N: Mir ist gerade mein Oreo runtergefallen *heuul* Und kommt mir jetzt bloß nicht mit irrelevanten Autorenkommentaren, das ist eine Katastrophe!!! Okay, es geht weiter xD) machte keine Anstalten aufzuwachen, er schlang im Tiefschlaf seine Arme um Nienna und zog sie an sich. Fest. Sehr fest.
Nienna bekam keine Luft mehr.
"Thranduil! Lass... mich... los!" krächzte sie. Doch er seufzte nur und ließ die Augen immer noch fest geschlossen.
"Keine... Luft..." Nienna wurde schwummerig. Hielt er Maylea auch immer so? Dann konnte sie sich wirklich nicht vorstellen, was sie an ihm so super fand.
"Thran... du...il..." sie bohrte ihre Fingernägel in seinen Unterarm und trat wild um sich. Doch Thranduils Griff war steinhart.
"Lass los!" kreischte sie mit letzter Luft. Langsam senkte sich ein schwarzer Schleier über ihren Augen und ein durchdringend Piepen meldete sich in ihren Ohren.
Doch auf einmal konnte sie wieder atmen. Luft zischte an ihren Ohren vorbei und sie konnte kaum einatmen, da traf sie wie ein Stein auf den harten Boden und abermals wurde alle Luft aus ihrer Lunge gepresst.
Als sie sich nach einigen Sekunden (die ihr wie eine Ewigkeit vorgekommen waren) wieder regen konnte, sah sie, dass Thranduil sich auch aufgerichtet hatte und hellwach wirkte. Und sie sah auch, dass es Maylea war, die sie im letzten Moment vor ihrer Ohnmacht aus Thranduils Armen gezogen und weggeschleudert hatte. Diese stand nämlich bereits wieder einige Meter von ihrem Geliebten entfernt und betrachtete mit schmerzhaft verzogenem Gesicht ihre Hände.
Nienna rappelte sich auf. Sie lief am immer noch tief und fest schlafenden Legolas vorbei und zu Maylea. Diese wich ihr allerdings aus. "Deine Temperatur ist unerträglich!"
Nienna warf einen Blick auf Mayleas Hände. Sie waren knallrot und mit Brandblasen überzogen. Alles in Allem sahen sie ziemlich schmerzhaft aus.
"Oh nein das tut mir so leid!" Nienna schlug die Hände vor den Mund. Maylea winkte ab. "Ich musste dich ja vor dem Ersticken retten."
Sie warf einen Blick auf Thranduil, der immer noch wie erstarrt am Boden saß und, bis auf die Tatsache dass er hatte aufwachen müssen, sich nicht bewegt hatte.
"Thranduil? Hallo?! Ent - schul - di - gen?"
Maylea bewegte ihre Hand vor Thranduils Gesicht auf und ab, gerade so weit davon entfernt, dass sie sich nicht wieder verbrannte.
Thranduil sah sie an und schien wie aus einer Trance zu erwachen. "Moment, was? Ich war gerade irgendwie weg..." murmelte er.
Nienna trat mit gerunzelter Stirn auf ihn zu. "Was hast du gesehen?"
Maylea starrte sie verständnislos an. "Was?"
Nienna seufzte. "Ich glaube, dass diese Ringe mehr können als bloß Wärme zu erzeugen. Sie sind ein Richtungsweiser... und sie schicken Visionen."
Maylea riss die Augen auf. "Was... aber... wie?"
Nienna zeigte ihr ihre Hand. Dann drehte sie sich einmal um sich selbst, um zu zeigen, dass der weiße Schimmer in dem Ring immer in dieselbe Richtung zeigte. "Ich glaube, er führt uns zum dunklen Wesen."
Alle Farbe wich aus Mayleas Gesicht. "Du willst wirklich deinen Fluch aufheben?"
"Was dachtest du denn?" fuhr Nienna sie unfreundlicher an, als es beabsichtigt gewesen war. "Ein kleiner lebensgefährlicher Spaziergang in Richtung Angmar? Mit brennenden Ringen? Schön wär's."
Eine Hand legte sich beschwichtigend auf ihre Schulter. Thranduil war aufgestanden. "Keif Maylea nicht so an, liebste Schwiegertochter. Außerdem stimmt das mit dem Spaziergang sogar. Nach Angmar laufen, ein kleines Abenteuer erleben, zurücklaufen. Hattest du schon schönere Spaziergänge?"
"Allerdings." seufzte Nienna. "Tut mir leid, Maylea. Aber ich glaube, ich denke einfach zu viel darüber nach."
Maylea starrte sie noch immer leichenblass an. "Was war das mit den Visionen, von denen du erzählt hast?"
Nienna seufzte abermals. "Ich habe vorgestern davon geträumt, dass ein kleines, braunes Pony von einem Drachen unter einer Felslawine eingeschlossen wird. Sie drohte, das Pony zu erdrücken, doch dann..." Sie stoppte.
"Was dann?" wollte Maylea wissen. "Was ist mit dem Pony passiert?"
Nienna schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht. Ich bin mitten im Traum aufgewacht. Allerdings vermute ich, dass der Drache Thranduil darstellen soll und das Pony mich... Nach dem Ereignis gerade. Vorher hatte ich keine Ahnung, was dieser Traum sollte."
"Das spiegelt perfekt eure Charaktere wider: Thranduil ist immer kalt und böse, außer denjenigen gegenüber, die er wirklich liebt. Das Pony jedoch ist lieb und durch und durch gutgläubig; vertrauensvoll und schutzbedürftig." schaltete sich eine Stimme ein, die allen vertraut war, bisher jedoch nicht am Gespräch teilgenommen hatte. "Legolas!" rief Nienna.
Legolas lächelte sie liebevoll an. Man sah an seiner Mimik, dass er sie am Allerliebsten küssen würde. So streckte er jedoch nur den Arm nach ihr aus, und auch das tat er drei Meter von ihr entfernt. "Hat Vater dir schlimm wehgetan?"
Nienna lächelte zurück. "Es ist alles in Ordnung. War nur ein kleiner Schreck." Sie lachte.
"Wie lange hörst du uns schon zu?" wollte Maylea von Legolas wissen.
"Seitdem Nienna gesagt hat, dass die Ringe auch Richtungsweiser sind und Visionen schicken. Ich..."
"Hallo, apropos Visionen: ich habe zu dem Thema auch noch was Wichtiges beizutragen!" sagte Thranduil laut.
Alle wandten sich wieder ihm zu. Er holte tief Luft. "Ich habe ebenfalls vorgestern etwas geträumt. Auch ich sah ein Pony und einen Drachen. In meiner Vision war das Pony bereits von den Steinen begraben, und der Drache hatte sich darauf niedergelassen. Dann allerdings sprang wie aus dem Nichts ein weißer Hirsch hervor und stieß den Drachen von seinem Steinhaufen und befreite das Pony."
"Der Hirsch ist Maylea." vermutete Nienna. Thranduil nickte. "Denke ich auch. Hirsche sind toll, hübsch und schnell. Und sie eignen sich hervorragend als Reittiere."
Erst eine Sekunde später fiel ihm auf, was er da gerade gesagt hatte. Legolas starrte ihn verstört an und Nienna machte ein angewidertes Gesicht. "Bitte keine Details."
Maylea war natürlich knallrot.
Nach einem peinlichen Moment des Schweigens räusperte Nienna sich. "Ähm, also Thranduil, eben hast du doch auch etwas gesehen oder? Was war das denn?"
Schlagartig wurde Thranduil blass. "Warte... wenn Maylea der weiße Hirsch ist..." er verstummte.
"Was hast du denn gesehen?" drängte Maylea. "Erzähl es!"
Thranduil sah sie entsetzt an. "Ich habe nur den Anfang einer Vision gehabt. Der Drache und der Hirsch in einer Höhle. Der Drache öffnet sein Maul, um Feuer zu speien, doch der Hirsch steht vertrauensvoll direkt in seiner Schusslinie und scheint darauf zu warten, zu verbrennen. Der Drache öffnet das Maul..."
Maylea wurde ebenfalls blass.
"Und was geschieht dann? Wie geht es weiter?" wollte Legolas wissen. Doch Thranduil schüttelte den Kopf. "Mehr habe ich nicht gesehen. Ich denke, wir müssen auf Nienna warten."
Maylea stand wie angegossen da. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie sah aus, als würde sie gleich beginnen zu weinen.
Legolas trat auf sie zu und nahm sie in den Arm. "Wir wissen gar nicht, ob überhaupt irgendwas davon stimmt. Außerdem kann Nienna Vision das Ganze noch vollkommen ändern. Und außerdem wird sowieso alles gut."
Wie sehr er sich täuschte, sollte er später erfahren.

---------
Frohe Weihnachten!
Da dachte ich, schenke ich euch doch mal ein ein neues Kapitel. Ich bin todmüde (in dem Moment, in dem ich diese Wörter schreibe, ist es 00.12 am 23.12. und ich hab heute echt viel gemacht. Und ich muss das Kapitel nochmal übergucken. Aber ihr bekommt es eh erst morgen Abend oder so xD) und habe mich wirklich angestrengt, mir was neues auszudenken, das nicht wieder 24/7 dieses Liebesgedudel ist und das Ganze ein wenig spannender macht. Was denkt ihr, hat es mit den Visionen auf sich? Wie geht Thranduils Vision weiter? Worauf bezieht sie sich? Haut eure Theorien raus! :D
Ich habe beschlossen, wieder damit zu beginnen, Kapitel zu widmen. Und wenn ich zu wenig Leute hab, die kommentieren, Pech, dann bekommen manche Leute halt auch mal zwei Kapitel xD auf jeden Fall geht dieses Kapitel an meinen persönlichen kleinen aras nîn, meinen Hirsch. Meine erste und beste Internetfreundin Armitagegirl22! Sie hilft mir sooo viel bei dieser Geschichte, sie hat sich die Person der Maylea ausgedacht (die ich, um ehrlich zu sein, sogar für sie geschrieben habe. Aber Maylea ist toll, also who cares? xD) Ich kenne sie seit noch nicht ganz einem Jahr, aber ich habe sie in dieser Zeit echt kennen und lieben gelernt. Es kommt mir gar nicht so vor, als ob wir uns nur übers Internet kennen! Aber genug rumgekitscht und rumgeschleimt.
Ich wünsche euch allen Fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr! Auf dass wir nächstes Jahr auch noch so viel Spaß an dieser Story und an diesem Fandom und einfach am Leben haben werden. Lasst euch reich beschenken und besauft euch nicht zu heftig auf euren Silvesterpartys xD
Ganz ganz ganz viel Liebe und Weihnachtsstimmung (die ich nicht habe xD) und vergesst niemals: ich liebe euch!
xx Jojo ❤ ❤ ❤

Der Prinz des Düsterwaldes 2 - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt