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Es war dunkel. So dunkel, dass sie nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Die Dunkelheit waberte um sie herum, verschluckte alles, jedes Licht und jeden Ton.
Etwas knackte. Nienna keuchte auf und fuhr herum. Ihre Vorderhufe wirbelten durch die Luft.
Ihre Vorderhufe?!
In der Ferne erglomm eine kleine goldenen Flamme. Nienna machte vorsichtig zwei Schritte auf die Quelle der Flamme zu.
Gehen fühlte sich komisch an. Sie sah an sich herunter... und erschrak. Sie blickte auf eine pelzige braune Pferdebrust.
Sie drehte den Kopf und betrachtete sich weitesgehend. Sie war ein braunes Pony.
Ich habe eine Vision, schoss es ihr durch den Kopf.
Die Flamme in der Ferne wurde größer. Sie ging weiter darauf zu. Jeder Schritt war schwerer als der Vorherige, als ob eine unsichtbare Macht sie davon abhalten wolle, die Quelle des Feuers ausfindig zu machen. Als sie das Gefühl hatte, bis zu den Knöcheln im Morast zu stehen, hielt sie inne. Sie wagte es kaum, erneut in die Richtung des Feuers zu blicken, aber als sie dennoch aufsah, erkannte sie für den Bruchteil einer Sekunde einen Umriss direkt neben dem Feuer - war das etwa ein Drache? - dann strauchelte sie. Etwas Schweres hatte ihre Seite gestreift und sie kam mit ihren vier Beinen nicht zurecht. Für einen Moment glaubte sie, fallen zu müssen, doch dann fing sie sich wieder.
Sie blickte auf. Wäre sie ein Mensch, hätte sie aufgeschrien. Ihr Pferdeinstinkt riet ihr, sofort zu flüchten.
Doch sie stand einfach wie angewurzelt und sah sich Auge in Auge mit einem Wolf.
Aus irgendeinem Grund machte dieser Wolf ihr keine Angst. Er stand bloß im Weg, in ihrem Weg zu der Lichtquelle. Sie musste unbedingt wissen, was diese Lichtquelle war.
Der Wolf schien zu bemerken, dass sie um jeden Preis zu dem Feuer gelangen wollte. Er verzog die Schnauze ein wenig, folgte ihr jedoch auf Samtpfoten.
Je näher sie den lodernden Flammen kam, desto mehr bestätigte sich ihre Vermutung: die Quelle war ein leibhaftiger, riesiger, königsblau schimmernder Drache. Hätte sie nicht dieses Gefühl von Vertrautheit gegenüber des Drachens gehabt, wäre sie vermutlich verängstigt gewesen. Aber ihr war überhaupt nicht unwohl zumute, vielmehr wusste sie intuitiv, dass der Drache der Grund ihrer Anwesenheit an diesem Ort war. Alles, was sie suchte, was sie brauchte, bündelte sich in diesem Wesen.
Nienna machte einen weiteren Schritt. Erst jetzt bemerkte sie, dass der Wolf neben ihr leise zu knurren begonnen hatte. Verwirrt blickte sie auf ihn herab. Seine überraschend warmen Augen waren auf etwas fixiert, das jenseits des Drachens im Schatten versteckt war.
Weil Nienna bisher nur auf das riesige Wesen geachtet hatte, war ihr das andere Tier, das ganz am Rand im Schatten stand, vollkommen entgangen. Aber jetzt sah sie ihn: ein wunderhübscher, sogar in der Dunkelheit strahlender, weißer Hirsch. Er machte zögernd ein paar Schritte in ihre Richtung, seine Augen vertrauensvoll auf den blauen Drachen gerichtet.
Mit jedem Schritt des Hirsches wirkte der Drache unruhiger. Er riss die eisblauen Augen auf, peitschte nervös mit dem Schwanz. Niennas Ponyaugen trafen den Blick des Wolfes. Er wirkte so verwirrt, wie sie sich fühlte. Wieso hatte dieses riesige, royal wirkende Wesen sichtbare Angst vor einem kleinen, perlweißen Hirsch?
Der Wolf neben ihr begann erneut zu knurren. Diesmal strengte Nienna ihre Pferdeaugen an, sie suchte förmlich nach etwas, das den Drachen von hinten aus den Schatten heraus bedrängte und den Wolf beunruhigte, aber sie erkannte nur dunkle, formlose Schatten.
Mittlerweile hatte den Drachen sichtlich Panik ergriffen. In seinem Blick lag eine Warnung, so eindeutig, dass Nienna den Drang verspürte, so schnell fortzulaufen wie ihre Ponybeine sie trugen. Aber sie stand wie angewurzelt. Sie musste wissen, weswegen der Drache so voller Furcht war und der Hirsch dennoch voller Zuversicht auf ihn zuschritt.
Mit einem Mal durchdrang ein lauter, schriller Ton ihre Vision. Sie riss die Augen auf und spitzte ihrer flauschigen Ohren. Das Geräusch war nicht zu ertragen, dennoch schien es als ob die anderen Tiere es nicht hören konnten.
Der Hirsch hatte den Drachen nun fast erreicht, aber Nienna konnte sich beim besten Willen nicht mehr auf das Geschehen ihrer Vision konzentrieren. Der Ton wurde immer lauter, noch schneidender, und sie hatte das Gefühl ihr Trommelfell würde zerrissen.
Sie hörte ein Brüllen des Drachens, doch ihre Augen waren geschlossen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 19, 2019 ⏰

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Der Prinz des Düsterwaldes 2 - Dunkle SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt