IV

156 9 5
                                    


In meinen Ohren klang die Explosion immer noch nach. Meine Augen sahen aus dem getönten Fenster auf die Straße und die Natur, die an uns vorbeizog. Mein Körper zitterte noch immer und ich fragte mich, wann das wohl aufhören mochte. Ich fühlte mich, als hätte ich kein Zeitgefühl mehr, als würde alles viel zu langsam oder viel zu schnell passieren. Warum hatte niemand bemerkt, was passiert war, bevor das Auktionshaus in die Luft gesprengt wurde? Irgendjemand muss doch eine Bombe gezündet und im Haus deponiert haben. Hoffentlich fanden sie den oder die Verantwortlichen und sie bekamen ihre gerechte Strafe. Warum das getan wurde, konnte ich mir denken, aber dazu musste man auch kein Genie sein. Mir ging es wahrscheinlich genauso wie den Menschen, die das Auktionshaus haben explodieren lassen. Nur war ich nicht so verrückt, meinen Groll gegen diese ganze Sache in Gewalt zu äußern. Dafür gab es vielleicht andere Wege, die aber wesentlich schwieriger sein durften als einfach alles in Flammen aufgehen zu lassen. Zumal diejenigen, die im Hintergrund bestimmt die Strippen zogen, heute Abend vermutlich gar nicht anwesend waren. Meine Gedanken kreisten eine Weile um dieses Ereignis, bis ich wie aus dem Nichts anfing zu weinen und Will versuchte, mich irgendwie zu trösten, mich aufzumuntern. Er war gar nicht so steif, wie ich anfangs dachte. Im Gegenteil. Er war richtig nett. Will unterhielt sich mit mir während ich weinte. Wirklich geklappt hatte sein Vorhaben nicht, aber ich wollte nicht unhöflich sein. Außerdem hatte er es geschafft, dass meine Tränen nach einer gefühlten Viertelstunde Weinen endlich versiegt waren. Danach unterhielten wir uns nur noch während der Fahrt und ich musste zugeben, dass ich doch in gewisser Hinsicht Spaß hatte, auch wenn die vorangegangene Situation nicht gerade viel Spaß zuließ. Als ich das nächste Mal aus dem Autofenster sah, bemerkte ich, dass wir schon wieder in einer Wohnsiedlung angekommen waren. Nur waren hier lauter Villen aufgebaut, auf die man wegen dem hohen Zaun kaum einen Blick werfen konnte. Ich war unendlich müde und dankbar, dass eine Schlafmöglichkeit für mich bald in Sicht war. Ich nahm an, dass dies hier der Ort war, wo ich die nächsten Monate verbringen würde. Zu meinem Glück - oder Pech, wie auch immer - kamen wir bald vor einem großen schmiedeeisernen Tor an, das sich öffnete, sobald Will irgendeinen Code eingegeben hatte. Wir fuhren eine lange Einfahrt hinauf, die einen kleinen Hügel aufwärts führte und schließlich kamen wir - wie sollte es auch anders sein - vor einer Villa zum Stehen. Es war ein ziemlich langes, winkliges Gebäude, mit vielen Säulen und Bögen. In cremeweiß gehalten. Hier und da leuchteten noch ein paar Zimmer in mattem Licht und die Türbeleuchtung ging an, als wir vorfuhren. Die Fassade des Hauses wurde von ein paar Strahlern in einem Warmweiß angestrahlt und tauchte es in einen Sonnengelben Ton. Große Fenster waren zu sehen und eine Doppeltür. Das Gelände war gesäumt mit bunten Pflanzen und einigen Bäumen, sowie Grünflächen. Ich ertappte mich dabei, wie ich unwillkürlich nach einem Springbrunnen Ausschau hielt. Will stieg aus und öffnete mir die Tür, und als ich ausstieg, kam mir das alles noch viel schöner und farbenfroher vor. „Hier entlang, Jenna." Ich hatte ihm auf der Fahrt gesagt, er bräuchte nicht so förmlich mit mir zu sein und solle mich einfach Jenna nennen. Bis jetzt hielt er sich dran. Er brachte mich ein paar Stufen hinauf zur großen Eingangstür, neben der an jeder Seite ein Mann in einem dunklen Anzug stand, einenKnopf im Ohr, von dem ein Kabel nach hinten zum Rücken verschwand. Die Männersahen ziemlich ernst aus und nickten uns nur knapp zu. Will drückte auf eine prächtige Klingel. „Wo sind meine Sachen?", fragte ich beiläufig und er schmunzelte. „Die sind bereits hier." Meine Augen weiteten sich. „Wie, die sind schon hier? Wie kann das gehen, wenn die Auktion gerade mal..." Ich stoppte in meinem Satz da ich nicht wusste, wie lange die Auktion schon her war. Seitdem hatte ich sämtliches Zeitgefühl verloren. „Zwei Stunden ist sie jetzt her. Die Leute vom Service sind sehr schnell.", meinte Will und kam mir mit einem Schmunzeln zu Hilfe. Ich lächelte beschämt. „Oh, natürlich..." Ich sah mich noch einmal kurz um, bevor die Haustür geöffnet wurde und mir nun vor Überraschung fast die Augen aus dem Kopf fielen. Vor mir stand niemand anderes als Mrs. Evans persönlich. Ich öffnete den Mund aber bekam kein einziges Wort heraus. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus als sie mich sah. „Herzlich Willkommen, Jenna. Schön, dich wiederzusehen.", sagte sie und ich betrachtete sie argwöhnisch. Nun war mir klar, bei wem ich gelandet war. Wie konnte ich so dumm sein, und das nicht merken? Es war von vornherein klar, dass ich nach der Auktion zu den Evans' kommen würde. Aber wieso hatte ich das bis jetzt nicht begriffen? Hingen sie mit darin, warum ich nun doch zur Auktion geschleppt wurde? „Kommt doch rein, hier ist es warm. Sonst erfriert ihr mir draußen noch." Sie öffnete die Tür weiter und wir betraten die Diele. Etwas weiter rechts neben uns befand sich eine Treppe, die nach oben führte und genau vor uns war ein breiter Torbogen, der in den offenen Wohn- und Essbereich zu führen schien. Ich konnte die großen Fenster mit den weißen Streben sehen, die vom Boden bis zur Decke reichten und dazwischen schien sich eine Tür zu befinden, die wahrscheinlich in den Garten führte. Hinter der Treppe ging es weiter nach links und rechts neben uns befand sich eine gemütliche Sitzecke und eine weitere, etwas größere Tür, die wohl zur Küche führte. Zumindest nahm ich das an. Über uns hing ein Kronleuchter und auf dem Boden lagen helle Fliesen, die das Licht zigfach wiederspiegelten. Die Wände waren in einem sandgelben Ton gehalten. Bei dem Licht sah es auf jeden Fall so aus. Das Geländer der Treppe und der oberen Etage war aus dunklem Holz und auf der Treppe selbst lag in der Mitte Teppich. Hier und da hingen ein paar Bilder an der Wand und ich nahm an, dass das bei Weitem nicht alles war, was ich hier gerade sah. Allein schon, weil das Haus von außen schon so groß aussah. „Kommt mit ins Wohnzimmer, mein Mann ist auch noch wach. Wir wollten warten, bis Jenna angekommen ist und sie sich etwas beruhigt hat. Ich kann mir vorstellen, was das für ein Stress für dich sein muss." Sie sah mich entschuldigend an, während sie uns ins Wohnzimmer brachte. „Es war überaus stressig, Mrs. Evans. Das Auktionshaus wurde angegriffen.", erklärte Will und Mrs. Evans blieb stehen und drehte sich zu uns herum. „Wie bitte?", fragte sie entsetzt und sah mich direkt an. „Geht es dir gut? Bist du verletzt?"

ChosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt