Kapitel XVIII

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„Ist das deine Ma?", fragte Cam und sah mich mit großen Augen an. „Ja..." Ich konnte es immer noch nicht fassen und fasste mir an die Stirn. „Hey..." Cam legte eine Hand auf meinen Arm und ich sah zu ihm. „Ich bin sicher, deine Ma kann dir das erklären."

„Ja, aber ich weiß nicht, ob ich die Erklärung hören will. Wenn sie es mir hätte sagen wollen, hätte sie mir nicht verschwiegen, dass ich eine Halbschwester habe. Denkst du nicht dasselbe?" Er dachte kurz über seine Worte nach. „Mich stört es nicht so sehr das zu erfahren wie dich, denke ich. Beziehungsweise die Tatsache, dass ich eine Halbschwester haben soll."

„Mann!" Ich raufte mir die Haare. „Jenna, uns fällt deswegen schon was ein."

„Ich komme darauf grade nicht klar."

„Du solltest jetzt aber auch nichts überstürzen."

„Ich weiß." Ich atmete tief durch und ging zu einem der Stühle, die vor dem Schreibtisch standen und setzte mich dorthin. Den Kopf in die Hände gestützt, dachte ich nach, wie ich das verarbeiten sollte. „Erst meine Akte. Dann die von dieser Lucy und das Gespräch zwischen deinem Vater und Caine. Das ist zu viel auf einmal."

„Beschäftigen wir uns mit einem nach dem anderen. Caine kannst du ja persönlich fragen, was das mit dem Gespräch auf sich hatte."

„Toll, damit er gleich erfährt, dass wir hier im Raum waren, als er sich mit eurem Vater unterhalten hat? Sehr schlau, Cam, sehr schlau." Er verdrehte die Augen und seufzte. „Stimmt, das war nicht gut durchdacht von mir. Aber vielleicht kommt Caine ja von selbst auf dich zu. Dann müsstest du dich darum schon mal nicht mehr kümmern. Deine Akte gucken wir uns gleich oben auf meinem Zimmer an, okay?" Ich sah ihn kurz an, nickte dann aber. „Meinetwegen."

„Ich kann eine Kopie von Lucys Akte machen, wenn du willst?"

„Jetzt noch? Meinst du nicht, dein Vater könnte jeden Moment wiederkommen?" Er zuckte mit den Schultern. „Kopieren ist schnell gemacht." Ich biss mir nachdenklich auf die Unterlippe und sah zu der Akte, die mir einige Rätsel aufgab, aber die auch einige Puzzleteile beinhalten könnte, die mir noch fehlten. „Na schön", sagte ich dann. „Aber nur wenn es schnell geht. Ich will nicht, dass dein Vater uns hier sieht. Dann war's das für uns." Cam nickte und fing an, die einzelnen Blätter zu kopieren. Ich stand auf und ging zur Tür um zu gucken, ob John wiederkam oder wir noch Zeit hatten. Cameron wirkte ganz gelassen, ich im Gegenteil war das reinste Nervenbündel. „Wie viel noch?", fragte ich dauernd, bis Cam schon gar nicht mehr auf die Frage einging, weil es gefühlt nach jedem Blatt kam. „Gleich fertig.", sagte er irgendwann und dann sah ich auch schon John auf dem Flur. „Kacke.", murmelte ich leise und wandte mich Cam zu. „Dein Vater ist im Anmarsch." Er weitete kurz die Augen und musterte die Blätter, die er noch zu kopieren hatte. Es waren nur noch zwei und ich hoffte, dass er die noch kopieren konnte, bevor John hier ankam. Mein Herz raste und ich dachte mir schon die besten Ausreden aus, für den Fall, dass John uns erwischen sollte. Unruhig wippte ich an meiner Position auf und ab. „Cam.", drängte ich und achtete darauf, dass John mich nicht sah. „Fertig.", hörte ich Cam dann sagen. Er packte die Sachen wieder so hin, wie sie gelegen hatten und kam zu mir. „Versteck die Sachen.", sagte ich und er starrte mich an. „Wo denn?"

„Egal wo!", zischte ich. Hektisch überlegte er, wo er die Zettel versteckte und schob sie sich schnell in das Hemd, das er trug. „Raus hier.", sagte er dann und schob mich aus der Tür. Ich wollte gerade fragen, ob er irre war, aber dann sprach er auch schon. „Tja, dann ist er wohl nicht hier. Müssen wir später wiederkommen. Vielleicht ist Dad dann da." John blieb stehen und sah uns an. „Was macht ihr in meinem Büro?"

„Wir haben dich gesucht, aber du warst nicht da."

„Und was wolltet ihr?"

„Ach, weißt du, so wichtig war es nun auch wieder nicht.", entgegnete Cam nun beiläufig und ging mit mir an ihm vorbei, wobei er sehr darauf bedacht war, sich nicht zu sehr zu bewegen, damit nicht auffiel, dass er einen Haufen Zettel im Hemd stecken hatte. „Cameron.", sagte John dann und wir blieben stehen. Jetzt war es vorbei. Aus und vorbei. Er hatte es mitbekommen und jetzt waren wir dran. „Wenn du nachher Zeit hast, kommst du zu mir. Ich will noch was mit dir besprechen. Unter vier Augen." John sah bei dem letzten Teil seines Satzes zu mir, als wäre es schlimm, dass ich mitkriege, dass er mit Cam alleine sprechen wollte. Cam nickte und ging mit mir dann nach oben zu seinem Zimmer. „Das war knapp.", sagte ich, als wir drin waren. Er atmete tief durch. „Allerdings." Sein Zimmer war zwar groß, hatte aber im Gegensatz zu Caines Zimmer keine Treppe. Es war ein winkliges Zimmer. Eine L-Form, würde ich sagen. Aber eine große. Links angrenzend an sein Zimmer befand sich hinter einer Tür sein Badezimmer. Sein Schreibtisch stand an einem Fenster hinter einer Wand auf der linken Seite. Ein großes, weißes Sofa zierte die hinterste Zimmerecke, mit Teppich und Tisch davor. Der Boden war aus sehr dunklem Holz, Kleiderschränke waren in die Wände rechts eingelassen und sein Bett stand in einer Art Erker, welcher sich am Ende des L befand. Der ganze Erker bestand sozusagen bloß aus dem Bett. In seinem Zimmer stand bereits eine gepackte Tasche. „Nimmst du so wenig mit in den Urlaub?" Cam zuckte mit den Schultern. „Ich fahre mit dem Motorrad, viel kann ich da eh nicht mitnehmen." Ich lachte leise und sah mich weiter im Zimmer um. „Richtig."

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