Cam war am Abend wieder mit mir zurück ins Haus gefahren, doch ich hatte kein Wort mehr über die Lippen gebracht und hatte mich gleich in Caines Zimmer verzogen, um ihm aus dem Weg zu gehen. Auf dem Rückweg liefen sowohl in den Fernsehnachrichten als auch im Radio Berichte darüber, was auf der Hochzeit passiert war. Mir war die Presse gar nicht aufgefallen, dafür war alles zu schnell und zu chaotisch gewesen. Doch die Erzählung aus der Perspektive anderer zu hören, warf ein völlig neues Licht auf den Angriff. Und zu wissen, was es mit den ganzen Angriffen auf sich hatte, machte es nur schlimmer. Ich hatte dem Bericht im Radio gelauscht, als wir zurück zum Haus gefahren waren. Doch selbst nachdem ich mich in Caines Zimmer befand, fand ich keine Ruhe mehr. Sicherheitshalber hatte ich die Tür abgeschlossen, damit Cam nicht auf die Idee kam, noch einen Versuch zu starten, mit mir zu reden. Aber auch in dem Zimmer hielt ich es nicht lange aus, sodass ich nachts das Wandern kriegte und nach unten ins Wohnzimmer ging, wo ich den Fernseher aus dem Wohnzimmer erklingen hörte. Innerlich fragte ich mich, ob ich nicht lieber zu Hause bei meiner Familie sein sollte, als in dem halbleeren Haus der Evans. Als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich Violet auf dem Sofa sitzen, die auch alles andere als gut aussah. „Violet...", sagte ich leise und ihr Gesicht wandte sich mir zu. Ihre Augen waren trüb und hatten den Glanz verloren, der sonst in ihnen lag. „Jenna...", sagte sie leise. Ich kam langsam zu ihr und setzte mich dazu, musterte sie. Ihre Arme waren verkratzt, der eine war verbunden und angeschwollen und sie hatte Kratzer im Gesicht. „Wie fühlst du dich?", fragte sie leise und ich blinzelte, weil ich von ihren Verletzungen ganz abgelenkt war. „Äh, naja, es geht." Sie nickte langsam. „Da sind wir schon zwei." Ich sah kurz zum Fernseher, der nebenbei lief. Natürlich waren es die Nachrichten, die Bilder von der heutigen Hochzeit zeigten. Sofort bekam ich eine Gänsehaut. Es quasi von außen zu betrachten, führte mir vor Augen, wie heftig das alles gewesen war. Der Angriff hatte nicht lange gedauert, aber ich hätte schwören können, dass das die längsten Minuten meines Lebens gewesen waren. Und ich war sicher, dass es nicht nur mir so ging. Was mich nur extrem störte, war, dass es jetzt schon wieder überall in den Nachrichten war und publik gemacht wurde. Nun ja, es waren ja auch ein paar Geschäftspartner von John anwesend, aber ob es diesen Wirbel um die Hochzeit ausmachte? Mir war es egal, ob den Geschäftspartnern etwas passiert war. Schließlich kannte ich sie nicht. Um ehrlich zu sein, hatte ich unter den ganzen Gästen nicht einmal ausmachen können, wer mir denn nun völlig fremd war. Ich erinnerte mich an Tante Georgia, mit ihrem gelblichen Kleid, welches ihr unglaublich gut gestanden hatte. Eigentlich hätte ich sie an dem Kleid schon auf dem „Schlachtfeld" ausfindig machen müssen, aber Fehlanzeige. „Jenna?", fragte Violet plötzlich, sodass ich aus meinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt gerufen wurde. Ich sah sie an. „Hm?"
„Wie geht es Caine?" Bei der Frage lächelte ich sanft. „Er wird noch ein paar Tage zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben, aber ihm geht es so weit schon wieder gut."
„Wenigstens das...", murmelte sie leise seufzend. „Und John?" Nun presste ich die Lippen aufeinander. „Ich habe ihn nicht gesehen. Ich weiß nur, dass er im Koma liegt und es nicht gut aussieht." Von Violet ertönte ein leises Schniefen und ich sah, dass sie den Tränen nahe war. „Ich kann es einfach nicht glauben...", sagte sie, bevor sie die Hände vor ihr Gesicht hielt. Ich verkniff es mir, ihr zu sagen, dass ihr Mann und ihr Sohn da in gewisser Weise drinsteckten, denn das konnte weder sie noch ich jetzt gebrauchen. Außerdem wollte ich mir gerade über das Wissen keine Gedanken machen. Ich schaltete den Fernseher aus und nahm sie in den Arm. „Was geht nur in den Köpfen solcher Menschen vor...", murmelte Violet unter Schluchzern. „Was haben sie davon, anderen derart weh zu tun?" So aufgelöst wie heute hatte ich sie noch nie erlebt. Sie tat mir schon mehr leid als ich mir selbst. Ich wollte aber auch nicht wissen, wie sie reagierte, wenn sie das von John erfuhr. Ich versuchte, sie so gut ich konnte zu trösten, nahm sie in den Arm, während sie sich an mich lehnte. Dass sie weinte, brachte mich fast selbst wieder zum Weinen. Ich atmete tief durch und versuchte, dieses Mal nicht die Heulsuse zu spielen. Versuchte, nicht an Cam oder Caine zu denken, sondern nur daran, Violet zu trösten. „Es sollte so ein schöner Tag werden.", sagte Violet unter erneuten Schluchzern. Ich strich mit der Hand über ihren Arm und musterte sie. Dann presste ich die Lippen aufeinander und überlegte, was ich als Nächstes tun sollte. „Soll ich uns vielleicht einen Tee machen?", fragte ich. Violet sah zu mir und nickte. „Das wäre sehr nett. Danke." Mit einem matten Lächeln löste ich mich von ihr, stand auf und begab mich in die Küche. Wenig später hatte ich den Tee fertig und kam zu ihr zurück. Sie sah wirklich fertig aus. Zwei ihrer Männer waren im Krankenhaus und der andere hatte ich bis jetzt noch nicht einmal blicken lassen. Einerseits fragte ich mich, was Cameron gerade machte, andererseits wollte ich es gar nicht so genau wissen, weil ich froh war, ihn gerade nicht sehen zu müssen. Ich fragte mich, was in ihm vorging, dass er sich manchmal so komplett anders verhielt als ich ihn kannte. Nicht, dass er mir so Angst machte, aber ein Stück weit war es mir schon unheimlich. Ich stellte den Tee vor Violet auf dem Wohnzimmertisch ab und setzte mich wieder neben sie. Sie atmete einmal tief durch und sah nach vorne auf den dunklen Bildschirm des Fernsehers. „Was mache ich denn ohne die beiden...", sagte sie nachdenklich. So aufgelöst hatte ich sie noch nie erlebt, aber in Anbetracht der Situation war es nachvollziehbar. „Ich bin sicher, sie kommen wieder nach Hause. Cameron ist ja auch da."
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Chosen
Teen FictionStell dir vor, deine Zukunft ist schon geplant. Und du kannst nichts dagegen tun. Mit einem Schlag ändert sich dein Leben. Was, wenn es eine Chance gäbe, diesem Leben zu entkommen? Würdest du sie ergreifen?