Teichmän - Teil I

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Wollte er eigentlich den Kometen oder Be sehen?

Nick hatte reichlich Zeit, über die Frage nachzudenken. Er saß im Geäst der mächtigen Eiche vor dem Schultor und ließ die Beine baumeln.Sven und seine Clique würden ihn in diesem Versteck nicht entdecken. Er war hauptsächlich deswegen raufgeklettert. Seitdem die letzte Stunde vorbei war, beobachtete er von dem Posten aus den Eingang. Anfangs strömten Massen von Schülern raus. Die Kleinen jubelnd, die Älteren mit der ihrer Reife angemessenen Coolness. Aber seit etwa zwanzig Minuten tröpfelten nur noch Einzelne durch das Tor. Nachsitzer, überengagierte Klassenputzer oder junge Träumerles, die ihr Leben in Zeitlupe verbrachten.

Nick wartete auf Be, den Nachsitzer. Ob ich auch hier sitzen und warten würde, wenn Be keinen Kometen im Garten hätte? Vermutlich ja. Der Neue schien nett zu sein. Und Nick hatte zuletzt auf der Grundschule Freunde gehabt. Zwei davon begleiteten ihn in die fünfte Klasse. Doch da tauchten Sven und seine Leute auf. Schon bald wollte niemand mehr etwas mit Nick zu tun haben. Sobald Be erst einmal mit den neuen Mitschülern sprach, fand er sicher rasch Anschluss. Und dann war er für Nick verloren. Es kam daher darauf an, schnell zu sein. Nick musste sich mit Be anfreunden, bevor Sven oder sonst wer ihn sich wegschnappte. So gesehen war das Nachsitzen gar nicht so schlecht. Hätte Be gleichzeitig mit den anderen Schulschluss, wären sie zusammen nach Hause gegangen. Sven hätte von dem coolen Playstation-Spielen und dem Riesenbildschirm erzählt.Und von dem Bier im Kühlschrank. Sein Vater sagte nichts, wenn er sich bediente. Be ging also bestimmt mit und wechselte auf die dunkle Seite der Macht.

Das würde Nick auf keinen Fall zulassen!

Außerdem wollte er sich noch bei Be entschuldigen. Nick wusste zwar nicht genau, wofür, aber es war sehr wichtig, dass er Be nicht verärgerte. Und Be war womöglich sauer. Immerhin war sein Kometenstück plötzlich verschwunden. Be schwor Stein und Bein, dass er keine zwei Schokotrüffel auf den Tisch gelegt hatte. Und Nick schwor kein bisschen weniger überzeugt, dass er einen Schokotrüffel und keinen Kometen gegessen hatte.

Am besten entschuldigte er sich einfach trotzdem.

Inzwischen war mehr als eine Dreiviertelstunde um und Be tauchte nicht auf. Die Schule hatte noch zwei weitere Ausgänge. Sofern Be einen davon genommen hatte, war es völlig sinnlos, dass Nick längst Holzwürmer im Hintern fühlte. Er hatte sich vor diesem Tor auf die Lauer gelegt, weil das hier sein eigener Schulweg war. Falls Be kein Aufschneider war, falls er wirklich die Wahrheit sagte, dann hatte er den Kometen im Garten. Und der war irgendwo in der Nähe von Nicks Zuhause runtergekommen. Be würde also ungefähr den gleichen Heimweg haben.

Das klang alles sehr überzeugend. Leider fiel Nick wieder ein, was Schimpf zu Be gesagt hatte. Ich weiß, warum du deine alte Schule verlassen musstest. Jemand, der gerade mitten im Schuljahr rausgeflogen war, konnte natürlich auch noch ganz woanders wohnen.

Und selbst falls er bereits umgezogen war: wer sagte, dass er jetzt überhaupt nach Hause ging? Er könnte über den Ausgang Ravensstraße Richtung Innenstadt gegangen sein. Um ein Pommes zu essen oder so.

Nick holte das Handy hervor. Die Nachsitzstunde war schon seit einer Viertelstunde um. Wenn Be in fünf Minuten nicht aufgetaucht war, hatte es keinen Sinn mehr.

Er steckte den Apparat wieder weg.

Als Nick aufsah, entdeckte er Be.

Er hatte den Schultergurt umgelegt und bewegte sich durch das Tor, als schlafwandele er mit offenen Augen. Nick wartete, bis Be genau unterhalb des Astes war. Dann ließ er ihm eine Eichel auf den Kopf fallen.

Sie verschwand in seinen Haaren.

Be ging einfach weiter.

Oh, Mist. Das könnte man wahrscheinlich stundenlang machen und würde die Eicheln nie wieder finden.

»He,warte!«

Be drehte sich um und sah ihn an. Er sah nicht hinter sich, wo jeder normale Mensch einen Rufer erwartet hätte. Er blickte direkt nach oben zu Nicks Ast.

Nick kletterte hinunter. Er war als Kind viel geklettert und offenbar verlernte man so was nicht.

»Was machst du immer noch hier?«

»Ich habe auf dich gewartet.«

»Gewartet«,sagte Be. Er rückte den Taschengurt zurecht. Der Green-Lantern-Ring blitzte in der Sonne.

Nick stand etwas verlegen dar. »Hat Schimpf dich übel behandelt?«

»Hat er mich übel behandelt?« Be schien sich die Frage erst selbst stellen zu müssen. »Er hat mich eingetrocknete Chemikalien aus den Reagenzgläsern schrubben lassen. Wenn ich sterbe, waren sie giftig.«

»Oh«,machte Nick. Er musste die Eichel in Bes Haaren ansehen. Jetzt tat es ihm leid, dass er sie geworfen hatte. »Hat er dich zur Sau gemacht? Mich hat er mal wegen Verspätung drangekriegt. Er hat mich bestimmt die Hälfte der Stunde nur angeschrien.«

»Angeschrien. Schlecht«, sagte Be.

»Er wird dann furchtbar rot im Gesicht.«

»Der kann mir nichts tun«, erwiderte Be abwesend.

Nick sah ihn fragend an.

»Ich kenne sein Kryptonit.« Er kratzte sich am Kopf. »Seine Schwäche.«

»Wie bei Superman«, bestätigte Nick. »Ich weiß.«

Be ging ein paar Schritte voraus. »Willst du noch immer den Kometen sehen?«

Nick wollte.

Gemeinsam schlenderten sie die Straße hinunter.

»Was ist sein Kryptonit?«

»Freundlichkeit«,antwortete Be sofort. »Da versteht er gar nicht, was er machen soll.«

Sie ließen die Schule hinter sich und knüpften bei ihrem vorzeitig beendeten Gespräch aus der Chemie-Stunde wieder an. Bald waren sie in einer Diskussion versunken, wer die besseren Comic-Helden habe: Marvel oder DC.


Bald geht es weiter - auf Nick wartet bereits eine unangenehme Überraschung im Garten der Darrells ...

Wenn es euch gefallen hat, freue ich mich über ein Sternchen! 

Basaltblitz - Geburt eines HeldenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt