Teri

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Teri

Der Wind lässt den losen Fensterladen des Dachbodenfensters klappern und pfeift durch eine Lücke zwischen zwei zerbrochenen Ziegeln. Die Sonne ist längst untergegangen, und der Estrich des alten Speichers versinkt in tiefen Schatten. Nichts regt sich in dem großen, schon lange unbenutzten Raum im Dachgeschoss. Einzig einige verstaubte Spinnweben bewegen sich leicht in einem besonders kräftigen Windstoß. Oder gibt es da vielleicht doch noch etwas anderes als die Geräusche des Windes?
Teri blinzelt verschlafen und bewegt lauschend seine großen Ohren. Soeben hörte er doch eine Stimme, die seinen Namen rief? Aber nun ist sie wieder verstummt. Teri öffnet die Augen. Natürlich war alles nur ein Traum, er ist allein in seinem Versteck zwischen zwei alten Dachsparren. Noch ganz steif vom Schlaf kriecht er aus der schmalen Spalte heraus und spannt seine Flügel auf. Er ist hungrig. Um wach zu werden, schlägt er ein paar Mal kräftig mit den Flügeln. Eine leise, aber eindeutig aufgebrachte Stimme lässt ihn zusammenfahren.
«He, pass auf, du Tollpatsch! Du zerreißt mir mein neues Netz. Ich habe nicht den ganzen Tag daran gearbeitet, damit ein ungeschickter Fledermauslümmel gleich alles wieder zunichtemacht.»
Teri faltet seine Flügel zusammen und hangelt sich geschickt am Dachbalken entlang, um aus der Reichweite der wütenden Spinne zu kommen. Mara ist eine beeindruckend große Kreuzspinne, die schon im Dachboden wohnte, als Teri einzog. Ihre kreuzförmige weiße Rückenzeichnung ist sogar im Dämmerlicht deutlich zu erkennen. Sie sitzt inmitten ihres großen, radförmigen Netzes und funkelt Teri aus ihren acht schwarzen Augen wütend an. Dieser hängt kopfüber an seinem Balken und blinzelt freundlich zurück. Er hat schon oft Maras kunstvoll aufgespannte Netze bewundert und das neue ist wirklich besonders prächtig. Leider ist die Spinne von Natur aus mürrisch und nur selten zu einem Schwatz aufgelegt. Deshalb weiß er bis heute nicht viel mehr als ihren Namen und natürlich, dass sie es überhaupt nicht mag, wenn etwas ihre Netze beschädigt.
Aber Teri hat keine Lust, sich den Abend von einer schlecht gelaunten Spinne verderben zu lassen. Außerdem knurrt inzwischen sein Magen. Es ist Zeit, etwas Essbares zu suchen.
«Wiedersehen, Mara, gute Jagd.»
Die Spinne brummelt eine unverständliche Antwort, aber Teri hört davon schon nichts mehr. Er breitet seine Flügel aus und lässt sich vom Dachbalken fallen. Mit einigen raschen Flügelschlägen erreicht er sein Schlupfloch unter dem Firstziegel und krabbelt ins Freie.

Teri ist eine Zwergfledermaus. Das bedeutet, dass er nicht besonders gut sehen kann, dafür ist sein Gehör sehr gut ausgebildet. Und wie alle Fledermäuse besitzt er eine ganz spezielle Begabung. Wenn er einen seiner unglaublich hohen Schreie ausstößt, kann er die Schallwellen, die von irgendeinem Gegenstand zu ihm zurückgeworfen werden, wieder auffangen. So helfen ihm seine Ohren, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Für Teri ist das normal, er verschwendet keine Gedanken daran, wie er es macht. Für andere Tiere sind allerdings die Ortungsschreie der Fledermäuse eine sehr geheimnisvolle Sache.
Heute ist Teri eindeutig zu hungrig, um sich über solche Dinge Gedanken zu machen. Er lässt sich vom First hinunterfallen und schlägt kräftig mit den Flügeln. Er weiß genau, wo er leckere Insekten finden kann. Unten an der Treppe, die von der Straße zum großen Haus hinaufführt, steht ein Laternenpfahl der Menschen. Das helle Licht der gelblichen Lampe zieht abends viele Mücken und Fliegen an. Natürlich haben auch zahlreiche Spinnen an der Laterne ihre Netze aufgespannt. Aber für einen geschickten Jäger wie Teri sind sie keine Konkurrenz. Seine großen, hautbespannten Flügel tragen ihn schnell und sicher dorthin, wohin sein empfindliches Gehör ihn lenkt. Er öffnet weit den Mund, um einen hohen Ortungsschrei abzugeben. Sobald er weiß, wo sich sein Opfer befindet, ändert er blitzschnell die Flugrichtung, um die winzige Fliege aus der Luft zu schnappen.
Teri machen das Fliegen und die Jagd Spaß. Er beherrscht viele Kunststücke in der Luft. Nur schade, dass er niemanden hat, mit dem er um die Wette fliegen kann. Dafür macht ihm aber auch niemand seine Jagdbeute streitig. Heute kann er sich richtig den Bauch vollschlagen.
Mit vollem Magen kehrt Teri noch vor Sonnenaufgang zurück in sein Versteck. Mara sitzt inmitten ihres Netzes und nimmt ihn nicht zur Kenntnis. Teri hätte gerne noch etwas mit ihr geplaudert. Stattdessen kriecht er traurig und allein zurück in seine Spalte, um den Tag zu verschlafen.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt