Besuch

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Besuch

Zwei Tage später geht es Siva etwas besser. Teri sieht ihr zu, wie sie Fliegen aus Maras Netz pickt. Sie bemüht sich, dabei nicht an den klebrigen Spinnenfäden hängenzubleiben. Teri ist vor Kurzem aufgewacht und hängt kopfüber an seinem Lieblingsbalken. Wenn er nicht Siva beobachtet, putzt er sein weiches dunkelbraunes Fell, das vom Regen der letzten Nacht verklebt ist. Mara sitzt satt und zufrieden in ihrem Netz. Plötzlich hört Teri ein seltsames Geräusch.
Auf ein leises Kratzen folgt ein unheimliches Fauchen. Ein kalter Schauer läuft Teri über den Rücken. Er flüstert so leise, wie es einer Fledermaus möglich ist.
«Mara, Siva, hört ihr das? Was ist das?»
Die beiden lauschen angestrengt. Aber weder die Spinne noch die Schwalbe verfügen über ein so feines Gehör wie eine Fledermaus. Teri ist sicher, dass sich das Geräusch nähert. Es kommt aus der hintersten Ecke das Dachstocks. Irgendein Tier macht sich dort an einem Loch direkt über den Dielenbrettern zu schaffen. Teri kennt diesen Eingang. Er benutzt ihn nie, weil er so nahe am Boden liegt. Gespannt verfolgt er, wie sich eine dunkle Gestalt durch das kleine Loch zwängt. Nun hören auch Mara und Siva das Kratzen von Krallen. Die Schwalbe hüpft verängstigt etwas näher zum Dachbodenfenster. Mara richtet sich vorsichtshalber mit kampfbereit erhobenen Vorderbeinen in ihrem Netz auf. Teri nimmt allen Mut zusammen und spricht den ungebetenen Besucher an.
«Hallo, wer bist du?»
Das fremde Tier antwortet nicht, sondern nähert sich leise aus seiner Ecke. Es besitzt wie Teri ein braunes Fell, aber im Vergleich zu ihm ist es riesig groß. Hals und Brust sind weiß gefärbt, der Körper lang und geschmeidig. Die kleinen, runden Ohren sind lauschend aufgerichtet, die Augen glänzen schwarz und der lange, buschige Schwanz bewegt sich langsam hin und her. Plötzlich bleibt der Besucher schnuppernd stehen. Mara wirkt sichtlich angespannt.
«Teri, das ist ein Steinmarder.»
Da er nicht genau weiß, was ein Marder ist, beunruhigt ihn vor allem die Besorgnis in der Stimme der Spinne. Als das Tier seinen Mund öffnet und er eine Reihe spitzer Zähne erkennt, ist er sich sicher, dass Gefahr droht. Aber noch bevor er Mara etwas erwidern oder sie um Rat fragen kann, duckt sich der ungebetene Gast zum Sprung. Nun geht alles blitzschnell.
Der Marder stürzt sich mit einem gewaltigen Satz auf Siva, die sich nur knapp vor seinen scharfen Krallen und Zähnen in Sicherheit bringen kann. Sie versucht, aufgeregt flatternd davonzufliegen, aber ihr verletzter Flügel versagt den Dienst. Hüpfend flüchtet sie vor dem Raubtier. Teri hängt einen Moment wie gelähmt an seinem Balken. Er erkennt deutlich, dass Siva keine Chance gegen den überlegenen Gegner hat. Seine Freundin braucht seine Hilfe!
Ohne viel zu überlegen lässt Teri sich von oben auf den Kopf des Marders fallen und klammert sich mit seinen scharfen Krallen fest. Dabei kreischt er, so laut er kann. Der Marder bleibt verdutzt stehen und versucht, die kleine Fledermaus abzuschütteln. Beinahe verliert Teri den Halt, aber er klammert sich sofort wieder fest. Sein Flügel verdeckt nun die Augen des Raubtiers, das beginnt, sich orientierungslos um die eigene Achse zu drehen.
Teri ist so aufgeregt und verängstigt, dass er zunächst gar nicht wahrnimmt, dass Mara ihm etwas zuruft. Er ist voll damit beschäftigt, sich festzuhalten. Was will die Spinne bloß von ihm? Nun piepst auch Siva etwas Unverständliches. Aus der Richtung, aus der er ihre Stimme vernimmt, schließt Teri, dass sie sich hinter Maras Netz versteckt. Was haben die beiden vor? Endlich verlangsamt der Marder seinen wilden Tanz. Er versucht jetzt, Teri mit seinen Krallen zu erreichen. Das wird für die kleine Fledermaus gefährlich. Plötzlich versteht Teri, was Mara ihm schon lange sagen will.
«Lass los, Teri, versteck dich!»
Da seine Kräfte inzwischen nachlassen, gehorcht er der Spinne. Blitzschnell schwingt er sich in die Luft und bringt sich im Dachfirst in Sicherheit. Der Marder faucht ihm wütend nach. Dann fällt sein Blick auf Siva, die verschüchtert am Boden kauert. Mit einem gewaltigen Sprung stürzt sich der wütende Marder auf den kleinen Vogel. Dabei übersieht er Maras extra starkes, fledermaussicheres Spezialnetz. Die klebrigen Spinnenfäden bleiben in den Schnurrbarthaaren des Räubers hängen. Mara, die auf diesen Moment gewartet hat, beißt ihn in die empfindliche Nase. Das schwache Gift der Kreuzspinne ist für den Marder nicht gefährlich. Aber das Jucken genügt, um ihn endgültig aus dem Dachstock zu vertreiben. Fauchend zwängt er sich durch das Loch, durch das er gekommen ist. Während Teri und Siva noch vor Aufregung zittern, sitzt Mara zufrieden lächelnd in den Resten ihres zerstörten Netzes.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt