Sivas Entscheidung

138 23 19
                                    

Sivas Entscheidung

Teri ist völlig versunken in die wunderbare Aussicht. Er bemerkt erst nach einer Weile, dass mit Siva etwas nicht stimmt. Die Schwalbe sitzt zusammengekauert auf ihrem Ast und sieht ziemlich unglücklich aus. Teri will sich gerade erkundigen, was los ist, als er einen dunklen Schatten erkennt, der lautlos über den Himmel zieht. Hastig flüstert er Siva zu, sich nicht zu bewegen. Die Schwalbe blickt ihn fragend an. Sie erkennt die geräuschlose Gefahr nicht. Trotzdem folgt sie Teris Bitte. Dieser beobachtet gespannt die Flugbahn des großen Vogels. Plötzlich fährt ein unheimlicher Schrei den beiden Freunden durch Mark und Bein.
«Huuh-Huhuhu-Huuuuh!»
Das ist der Schrei einer Eule. Teri hofft, dass es nur der Waldkauz Hibu ist, der auf Mäusejagd geht. Aber er will kein Risiko eingehen. Deshalb rückt er vorsichtig etwas näher zu Siva und versucht, die Schwalbe zu beruhigen. Hier im Baum sind sie gut geschützt, aber Siva zittert trotzdem vor Angst. Sie duckt sich mit klopfendem Herzen auf den Ast, bis der Schrei des Raubvogels in der Ferne verklingt. Teri ist klar, dass seine Freundin für heute genug Abenteuer erlebt hat. Es wird höchste Zeit, sie zurück zum Dachboden zu begleiten. Aber zuerst muss er Siva dazu überreden, ihm in einem weiteren Blindflug zurück zum Haus zu folgen. Sie ist nicht begeistert davon. Teri braucht viel Überzeugungskraft. Endlich lässt sie sich dazu bewegen, die Sicherheit des Ahorns zu verlassen. Am liebsten würde Siva ja hier auf den Morgen warten. Aber wer weiß, welche Gefahren einer kleinen Schwalbe in der Nacht sonst noch drohen?
Schließlich folgt Siva der kleinen Fledermaus zurück zum sicheren Dachboden. Sie hört erst auf zu zittern, als sie sicher in ihrem Nest sitzt. Teri ist ebenfalls ganz erschöpft, aber er muss unbedingt noch einmal ausfliegen. Er hat über der ganzen Aufregung in den letzten Tagen nicht genug gefressen und muss zusehen, dass er bei Kräften bleibt. Sobald Siva erschöpft eingeschlafen ist, verabschiedet er sich deshalb leise von Mara und bricht wieder auf.
Teri kommt erst in der Morgendämmerung zurück. Siva schläft noch, aber Mara erwartet ihn.
«Du musst Siva überreden, zu ihrer Familie zurückzukehren. Eine Schwalbe kann nicht wie eine Fledermaus in der Nacht leben. Sie braucht ihre Augen, um zu jagen.»
«Ich weiß, Mara. Das habe ich letzte Nacht begriffen. Ich werde mit ihr reden, sobald sie wach ist.»
Zum Glück dauert es nicht sehr lange, bis Siva erwacht. Im ersten Tageslicht wird die Schwalbe munter. Trotz aller Bemühungen, nicht einzuschlafen, fallen aber Teris Augenlider inzwischen von alleine zu. Er schüttelt seine Flügel aus und reibt sich die Augen, um sich aufzuwecken. Er muss unbedingt mit Siva sprechen. Diese kommt ihm aber zuvor.
«Teri, ich glaube, es war eine schlechte Idee, zusammen zu jagen. Am Tag ist es zu hell für dich und in der Nacht ist es zu dunkel für mich.»
«Ja, außerdem gibt es sowohl am Tag wie in der Nacht viel zu viele verschiedene Gefahren. Es ist bestimmt besser, wenn du in Zukunft wieder am Tag fliegst und ich in der Nacht!»
Mara kann diesem Vorschlag nur beistimmen. Sie winkt die beiden näher zu sich heran.
«Hört zu. Ich glaube, ihr habt beide in den letzten Tagen eine wichtige Erfahrung gemacht. Jedes Tier hat einen unterschiedlichen Lebensraum, in dem es sich zurechtfindet. Das bedeutet nicht, dass ihr nicht weiterhin Freunde bleiben könnt. Ihr müsst einfach darauf Rücksicht nehmen, dass Teri für ein nächtliches Leben ausgerüstet ist, während du, Siva, zum Tag gehörst.»
Etwas zerknirscht stimmen die beiden der Spinne zu. Siva ist überhaupt nicht begeistert davon, ihren Eltern gegenüberzutreten. Trotzdem will sie sich gerade schweren Herzens von Teri verabschieden, als draußen aus der Eiche ein Zwitschern ertönt.
«Siva, bist du da? Ich bin's, Hiro. Siva, wenn du mich hören kannst, komm bitte nach Hause. Wir vermissen dich. Alle suchen dich, Mutter sorgt sich wirklich sehr. Ich begleite dich auch.»
Siva macht große Augen. Mit der Unterstützung ihres Bruders hat sie nicht gerechnet.
«Hiro? Ich bin hier drin. Ich komme gleich, ich möchte mich nur von Teri und Mara verabschieden.»
Siva ist erleichtert. Und vielleicht kann sie sich am Abend trotzdem mit Teri treffen?
«Sehen wir uns heute Abend, Teri? Wir könnten in der Dämmerung Mücken jagen und Flugkunststücke üben. Ich muss dann einfach zusehen, dass ich rechtzeitig in den Stall zurückfinde, bevor es zu dunkel für mich wird.»
Teri freut sich, dass Siva weiterhin mit ihm ausfliegen will. Aber jetzt ist er wirklich todmüde. Während die Schwalbe fröhlich zwitschernd mit ihrem Bruder davonfliegt, verkriecht er sich in seine Spalte. Er hört schon nicht mehr, wie Mara ihm freundlich erholsamen Schlaf wünscht.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt