Hibu

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Hibu

Mit seinem Ortungssystem findet Teri zielsicher den Stall und die große Tanne. Mehr Mühe bereitet es ihm, das Versteck des Waldkauzes aufzuspüren. Er umkreist die Tanne mehrmals, ohne etwas zu sehen, das wie ein Waldkauz aussieht. Nun, er muss sich eingestehen, dass er keine Ahnung hat, wie einer aussieht. Deshalb bleibt ihm nichts anderes übrig, als nach Hibu zu rufen. Weil Teri eine Fledermaus ist, ist sein Ruf sehr laut und nicht zu überhören.
Teri erschrickt, als sich direkt vor ihm in den Ästen der Tanne zwei große, runde Augen öffnen, die im Mondlicht glänzen und ihn unmutig anstarren.
«Was fällt dir ein, hier herumzuschreien? Hat dir nie jemand Manieren beigebracht? Du kannst froh sein, dass mir Fledermäuse mit ihren Flughäuten zu zäh sind, sonst würde ich dich sofort auf die Speisekarte von heute Nacht setzen!»
Teri hängt sich an die äußerste Spitze eines Tannenzweigs, um sich das unfreundliche Tier näher anzuschauen. Es ist von braungescheckten Federn bedeckt und hat zwei kräftige Flügel, die nicht mit Teris eigenen vergleichbar sind. Der runde Kopf mit den großen, schwarzen Augen besitzt einen kleinen, aber scharfen gelben Schnabel. Die Füße des Vogels verschwinden fast im dichten Federkleid. Nur je zwei spitze Krallen sind zu sehen, mit denen er sich auf einem Tannenast festhält. Teri nimmt all seinen Mut zusammen und gibt sich Mühe, freundlich zu sein.
«Verzeih, ich wollte dich nicht erschrecken. Ich bin auf der Suche nach Hibu, dem Waldkauz. Weißt du wo ich ihn finden kann?»
«So so, du suchst Hibu. Was willst du von ihm?»
«Die Spinne Mara sagt, er sei sehr weise und könne mir meine Fragen beantworten.»
«Mara, die auf dem Dachboden wohnt und sich vor der Welt versteckt? Was weiß die denn?»
«Sie weiß sehr viel, sie hat mir von den Blumen, den Bienen und der Sonne erzählt. Aber dann hat sie gesagt, Hibu, der Waldkauz, wisse noch viel mehr.»
Das Federtier blinzelt nachdenklich und dreht dann den Kopf einmal beinahe vollständig um seine Achse. Teri wird es dabei fast schlecht. Er glaubt, der Kopf müsse jeden Moment abfallen. Aber nach seiner akrobatischen Einlage sieht ihn der Vogel ungerührt wieder an.
«Nun ja, wenn Mara das sagt. Ich bin Hibu. Was willst du wissen?»
«Wirklich? Ich bin bisher noch nie einem Waldkauz begegnet. Mara sagt, du lebst auch in der Nacht, wie wir Fledermäuse?»
«Warum fragst du mich das, wenn du es schon weißt? Natürlich lebe ich in der Nacht. Wie du richtig bemerkt hast, bin ich ein Waldkauz. Wir leben alle in der Nacht!»
Teri begreift, dass dieser Vogel nicht besonders freundlich und vielleicht etwas eitel ist. Er gibt sich Mühe, seine nächste Frage besser zu formulieren. Er will Hibu nicht verärgern.
«Ich wollte fragen, ob du mir mehr vom Tag erzählen kannst. Bist du schon am Tag ausgeflogen?»
«Lohnt sich nicht. Zuviel störendes Licht und keine Mäuse.»
Teri weiß nicht recht, was er mit dieser knappen und unfreundlichen Antwort anfangen soll. Aber so schnell will er nicht aufgeben. Er öffnet den Mund, um die nächste Frage zu stellen, als Hibu plötzlich unruhig das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagert. Dann beugt er sich nach vorn und reißt weit seinen Schnabel auf. Teri fürchtet schon, dass der Kauz erstickt, als dieser würgend einen seltsamen Wollklumpen ausspuckt und sich anschließend erleichtert aufrichtet.
«Ich habe geglaubt, du erstickst. Was ist das? Hast du etwas Verdorbenes gegessen?»
«Nein, das waren nur die unverdaulichen Reste einer leckeren Mahlzeit. Nun habe ich im Magen wieder genügend Platz fürs Abendessen.»
Teri betrachtet skeptisch den aus Haaren und Knochen bestehenden Klumpen. Für ihn sieht das nicht nach einer leckeren Mahlzeit aus. Aber es erinnert ihn daran, dass er inzwischen Hunger hat.
«Hibu, warum behauptet Mara, Fledermäuse könnten nur nachts fliegen?»
«Weil sie nichts davon versteht. Aber du kannst es ja versuchen, wenn du ihr nicht glaubst. Nur mach mich dann nicht für die Folgen verantwortlich. Aber von all dem Gerede bekomme ich Hunger. Vielleicht sollte ich doch einmal ausprobieren, wie junge Fledermaus schmeckt?»
Teri weiß nicht, ob Hibu nur einen Scherz macht oder ihn tatsächlich fressen will. Aber er wird es bestimmt nicht darauf ankommen lassen. Er hat ohnehin genug von dem seltsamen Kauz. Rasch breitet er seine Flügel aus und lässt sich von seinem Zweig fallen. Er ist enttäuscht von seiner Begegnung mit Hibu. Dagegen ist sogar Mara richtig freundlich! Seufzend macht er sich auf den Weg zu seiner Laterne, um sich dort seine eigene Mahlzeit zu jagen.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt