Mondschein

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Mondschein

Teri erwacht am Abend ausgeschlafen und hungrig. Sofort fällt ihm wieder ein, was er am Morgen mit Siva abgemacht hat. Die Schwalbe, die eigentlich nicht gewohnt ist, tagsüber zu schlafen, sitzt immer noch in ihrem behelfsmäßigen Nest und hat die Augen geschlossen. Sie muss wirklich erschöpft gewesen sein. Aber Teri ist ungeduldig.
«Siva, bist du wach? Es ist Abend und wir wollen zusammen Mücken jagen!»
Seine Begeisterung ist nicht zu überhören. Die junge Schwalbe braucht nicht lange, bis sie hellwach ist. Ihr Magen knurrt, wenn sie nur an Essen denkt. Die beiden Abenteurer verabschieden sich eilig von Mara und verlassen den Dachboden durch das Fenster. Die alte Spinne behält ihre Gedanken und Befürchtungen für sich. Sie weiß genau, dass weder Teri noch Siva im Moment auf ihre Ratschläge hören würden.
Draußen ist es noch angenehm warm und, obwohl die Sonne schon untergegangen ist, noch nicht ganz dunkel. Siva folgt Teri geradewegs zu seinem Jagdgebiet. Gemeinsam verfolgen sie die Mücken, die vom Licht der Laterne angezogen werden. Teri ist übermütig und zeigt Siva einige seiner Flugkunststücke. Diese versucht, sie nachzumachen. Aber die Flügel einer Schwalbe sind eher für lange Strecken gebaut und nicht für schnelle Richtungswechsel, wie Fledermaus sie bevorzugen. Ungeschickt torkelt sie Teri hinterher. Die beiden haben viel zu lachen und bemerken nicht, dass langsam die Nacht hereinbricht. Natürlich stört die Dunkelheit Teri nicht. Aber Siva stellt plötzlich erschrocken fest, dass sie außerhalb des kleinen Lichtkreises der Laterne nichts mehr sehen kann. Ängstlich landet sie auf dem Gartenzaun am Rand des Lichtkegels.
«Teri, wie findest du dich im Dunkeln zurecht? Ich kann überhaupt nichts mehr sehen!»
Die Fledermaus erkennt die Panik in der Stimme der Schwalbe. So ähnlich erging es Teri, als ihn plötzlich das helle Licht der Sonne blendete. Rasch fliegt er zu Siva und hängt sich an den Zweig eines Haselstrauches neben dem Zaun. Er versucht, seine Freundin zu beruhigen.
«Es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Versuche, die Augen zu schließen und auf die Geräusche zu hören. Sie verraten dir, was in welcher Richtung liegt.»
Siva tut, was Teri ihr rät. Mit geschlossenen Augen kann sie tatsächlich besser hören. Die Geräusche der Nacht unterscheiden sich sehr von den gewohnten des Tages. Natürlich sind auch jetzt die Maschinen der Menschen besonders gut zu hören. Siva hat schon oft beobachtet, dass sie weit unten am Hang auf einer großen Straße fahren. Überrascht stellt sie fest, dass Teri Recht hat. Nun weiß sie, in welcher Richtung die Straße liegt. Sofort fühlt sie sich etwas weniger verloren. Gespannt lauscht sie weiter.
Ringsherum im Garten zirpen einige Grillen. Sie möchte gerne wissen, wie diese Tiere aussehen, aber Teri kann ihr da nicht helfen. Er kennt auch nur die aufdringlichen Geräusche, die sie machen. Dafür erkennt Siva nun das gedämpfte Scharren und leise Muhen der Kühe im Stall. Es verrät ihr, wo der große Stall steht, in dem ihre Familie wohnt. Und was ist dieses seltsame Quaken, das gleich neben dem Stall erklingt? Dort müsste doch der Tümpel liegen, über dem sie so gerne jagt? Teri meint, das seien quakende Frösche. Von Mara weiß er, dass sie mit Kona, der Kröte verwandt sind. Allerdings ist er ihnen noch nie begegnet. Siva glaubt, sie habe schon einmal so einen grünen Hüpfer gesehen, auf einem Seerosenblatt im Teich. Gerade will sie Teri vorschlagen, die Frösche zu besuchen, als sie das leise Geräusch von vier Pfoten vernimmt.
Erschrocken flattert Siva auf und fliegt verstört im Kreis herum. Teri, dessen Ohren deutlich besser sind, hat die Katze auch gehört. Er versucht, die Schwalbe zu beruhigen und bittet sie, ihm zu folgen. Aber Siva hat Mühe, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden. Deshalb fliegt Teri voraus und leitet sie mit seinen Schreien. Nachdem sich die Schwalbe daran gewöhnt, der Fledermaus zu vertrauen, kommen sie recht gut voran. Teri fliegt vorsichtig und macht einen weiten Bogen um alle Hindernisse, die für Siva gefährlich werden könnten. Diese muss genau das tun, was Teri ihr sagt. Mit etwas Übung macht ihr dieser Blindflug schließlich sogar Spaß.
So lotst Teri seine Freundin zu einem großen Ahorn, der etwas abseits steht. Von einem toten Ast des Baumes aus können sie weit hinunter über das Tal und den großen See blicken. Der Vollmond steht hoch am Himmel und spiegelt sich in der silbern glänzenden Wasseroberfläche. Dahinter ragen mächtige Bergspitzen in den schwarzen Himmel. Er ist mit funkelnden Sternen übersät. Teri liebt diese Aussicht und kann sich in klaren Nächten jeweils daran nicht sattsehen. Für Sivas tageslichtgewohnte Augen ist aber selbst das Licht des Vollmonds zu schwach. Obwohl sie es nicht gerne zugibt, sehnt sie sich nach der Sonne und den Farben des Tages.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt