Neue Pläne

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Neue Pläne

Sobald Siva im ersten Licht des neuen Tages etwas erkennen kann, schlüpft sie leise und vorsichtig aus dem Nest. Versehentlich stößt sie dabei ihren Bruder Hiro an. Aber dieser brummt nur unwillig im Schlaf und nimmt sofort den angewärmten Platz ein, den Siva ihm freigibt. Diese wartet einen Moment, um sicher zu sein, dass niemand anderes erwacht. Erst als sie überzeugt ist, dass alle ruhig weiterschlafen, breitet sie die Flügel aus.
Heimlich gleitet Siva davon, ohne ein Geräusch zu verursachen. Zum Glück weiß sie genau, wo das Schlupfloch liegt, das aus dem Stall hinausführt. Im Dämmerlicht ist es kaum zu erkennen. Draußen ist es zwar etwas heller, aber dafür deutlich kühler als im Stall. Dichter Nebel überzieht das Land. Siva ist überhaupt noch nie so früh ausgeflogen. Alles ist ruhig, noch kein Vogellied durchbricht die Stille. Aber die Schwalbe hat keine Zeit, um Angst zu haben oder sich genauer umzusehen. Zuallererst muss sie sich versichern, dass es ihrem Freund Teri gut geht. Sie ist immer noch enttäuscht, dass ihr gestern niemand bei der Suche nach der kleinen Fledermaus helfen wollte. So schnell wie möglich fliegt sie um den Stall herum und hinüber zum kleineren Haus. Die große Eiche ist nur ein riesiger, schwarzer Schatten, um den sie vorsichtig einen Bogen macht. Das Fenster zum Dachboden liegt noch im Dunkeln. Siva muss sehr nahe heranfliegen, bis sie endlich seinen Umriss erkennt. Zum Glück steht der eine Fensterflügel immer halb offen. Ohne ihn wirklich zu erkennen, fliegt die Schwalbe in einem eleganten Bogen durch die schmale Öffnung und landet etwas ungeschickt direkt vor Maras Netz. Die Spinne zuckt erschrocken zusammen auf und blickt Siva neugierig entgegen.
«Siva, da bist du ja. Teri hat sich Sorgen um dich gemacht, als er letzte Nacht heimkehrte. Er wird sich bestimmt freuen, dich zu sehen.»
«Er ist also hier? Wir haben uns gestern Nachmittag leider aus den Augen verloren. Ich hoffe, es ist ihm in dem Gewitter nichts passiert.»
«Das fragst du ihn am besten selbst. Er schläft, aber ich bin sicher, dass du ihn wecken darfst.»
Bevor Siva dieses Angebot wahrnehmen kann, streckt Teri bereits müde blinzelnd den Kopf aus seiner Spalte. Als er seine Freundin erkennt, richtet er die Ohren auf.
«Siva! Du bist zurückgekommen! Ich hatte schon befürchtet, die rote Katze habe dich erwischt oder sogar Hibu, der Kauz. Es tut mir leid, dass ich gestern so plötzlich davongeflogen bin. Die Sonne hat mich geblendet. Ihr Licht war viel zu hell für meine Augen. Danach konnte ich dich nicht mehr finden und es begann zu regnen.»
Eifrig kriecht Teri aus seinem Versteck und hängt sich an seinen Lieblings-Dachbalken. Mara hört gespannt zu, als die beiden Freunde sich gegenseitig von ihren Erlebnissen berichten. Nun, da beide wissen, dass dem Anderen nichts passiert ist, können sie sogar darüber lachen. Siva möchte am liebsten sofort losfliegen, um die Erdkröte Kona kennenzulernen. Aber Teri ist nicht besonders begeistert davon, einen weiteren Tagesausflug zu unternehmen.
«Ich weiß nicht, ob Kona so früh schon wach ist. Und bevor ich zum nächsten Mal tagsüber ausfliege, muss ich zuerst einmal richtig ausschlafen. Außerdem glaube ich wirklich nicht, dass ich mich im Sonnenlicht zurechtfinde. Zumindest damit hatte Hibu wohl Recht. Fledermäuse sind nicht für den Tag bestimmt.»
«Nun, wenn du nicht am Tag fliegen willst, dann werde ich eben in Zukunft zusammen mit dir in der Nacht jagen. Ich habe keine Lust, zu meiner Familie zurückzukehren.»
Mara und Teri blicken Siva verwundert an. Noch gestern wollte sie doch unbedingt so rasch wie möglich nach Hause? Die junge Schwalbe erzählt traurig, was nach ihrer Rückkehr geschah.
«Mein Bruder hatte den anderen Schwalben erzählt, die rote Katze hätte mich gefangen. Sie glaubten deshalb, ich würde nie mehr zurückkommen. Als ich gestern plötzlich auftauchte, haben sich meine Eltern zwar gefreut, aber mir auch eine Menge Vorwürfe gemacht. Ich versuchte, zu erklären, dass ich nicht fliegen konnte, weil mein Flügel verletzt war. Aber alle redeten völlig aufgeregt durcheinander und niemand hörte mir richtig zu. Und als ich darum bat, mir bei der Suche nach Teri zu helfen, haben sie mir verboten, mit einer Fledermaus Umgang zu haben. Deshalb bin ich heute früh ausgerissen, noch bevor meine Familie aufgewacht ist.»
Teri ist natürlich sofort bereit, Siva Unterschlupf zu bieten. Mara dagegen versucht erfolglos, die Schwalbe umzustimmen. Aber die beiden sind zu müde und aufgeregt, um auf ihren Rat zu hören.
Während Teri sich in seine Spalte zurückzieht und Siva sich in ihr Nest aus alten Säcken kuschelt, fragt sich Mara, wie wohl dieses neue Abenteuer der beiden ungleichen Freunde ausgehen wird.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt