Im Gewitter

164 27 0
                                        

Im Gewitter

Siva folgt Teri zu dem Wäldchen, in dem er verschwunden ist. Sie ruft nach ihm, aber erhält keine Antwort. Die Schwalbe versteht nicht, weshalb er plötzlich so verstört davonflitzte. Er wollte doch unbedingt die Sonne sehen! Inzwischen versteckt diese sich bereits wieder hinter einer großen Wolke. In weiten Kreisen fliegt Siva mehrmals um die Baumgruppe am Rand der Wiese. Aber sie kann ihren Freund nicht finden und er antwortet ihr nicht. Verzweifelt beschließt sie, die Suche abzubrechen und ihre Familie zu Hilfe zu holen. Sie fühlt sich verantwortlich für die kleine Fledermaus. Plötzlich packt ein kalter Windstoß die Schwalbe. Siva blickt entsetzt zum schnell dunkler werdenden Himmel hoch. Aus schwarzen Gewitterwolken zuckt bereits ein erster Blitz.

Teri hat keine Mühe, sich in den dicht verflochtenen Ästen der Tanne zurechtzufinden. Bis hierher dringt kein Sonnenlicht und der Schmerz in seinen Augen lässt rasch nach. Aber er sieht immer noch lauter farbige Flecken. Erschöpft hängt er sich unter einem dicken Ast nahe an den Stamm der Tanne. Hier ist es beinahe angenehm dunkel und kühl. Nun versteht er, warum ihm sowohl Hibu wie auch Mara davon abrieten, tagsüber auszufliegen. Zwar sind die farbigen Blumen wunderschön, aber er kann Sivas Begeisterung nicht nachvollziehen, mit der sie das helle Sonnenlicht begrüßte. Für eine Fledermaus ist diese Helligkeit eindeutig zu grell. Teris kleines Herz klopft immer noch aufgeregt und es dauert sehr lange, bis er sich wieder beruhigt. Erst jetzt beginnt er, auf die Geräusche in seiner Umgebung zu achten. Sie sind ungewohnt und unterscheiden sich von den Geräuschen der Nacht. Er kann die Stimmen verschiedener Tiere hören, den Gesang von Vögeln, die er nicht kennt, das Gackern von Hühnern und die Maschinen der Menschen. Nur von Siva hört er nichts. Wo die Schwalbe wohl ist? Teri drückt sich ganz eng an den Baumstamm und versucht, sich so klein wie möglich zu machen. Ohne Siva fühlt er sich in dieser fremden Welt verloren. Außerdem ist er müde, aber an Schlaf ist bei all diesem Lärm nicht zu denken. Er beschließt, den Abend abzuwarten und sich dann auf den Heimweg zu machen. Wie lange es bis dahin wohl noch dauert? Und wo ist er überhaupt? Neugierig geworden fliegt er zu einem Ast, der etwas weiter außen liegt, und inspiziert seine Umgebung. Im Moment verdecken dicke Wolken die Sonne. Ob er es wagen soll, jetzt nach Hause zu fliegen? Dort drüben liegt der große Stall. Obwohl er es von hier aus nicht sehen kann, weiß er, dass dahinter das kleinere Haus steht, in dessen Dachboden er wohnt. Kurzentschlossen schwingt Teri sich in die Luft. Er hat bereits den halben Weg zum Stall zurückgelegt, als ein großer Regentropfen auf seinen Flügel klatscht. Teri hasst es, im Regen zu fliegen. Als nun auch noch ein Blitz über den Himmel zuckt und seine immer noch gereizten Augen blendet, wird ihm klar, dass er es vor dem Gewitter nicht nach Hause schafft. Aber da, beim Stall steht eine weitere Tanne. Eilig sucht Teri in ihren Ästen Unterschlupf. Erschöpft hängt er sich unter einen dicken Ast, wo er vor dem Regen geschützt ist.
Erst zu spät fällt ihm ein, dass in diesem Baum der Waldkauz Hibu wohnt. Vorsichtig blickt er sich um. Zu dumm, Hibu sitzt direkt unter ihm. Der Kauz hat die Augen geschlossen, aber das beruhigt Teri nicht. Was, wenn er plötzlich erwacht und Hunger auf eine kleine Fledermaus bekommt? Er will sich gerade weiter oben in der Tanne verstecken, als ein heller Blitz über den Himmel zuckt, dicht gefolgt von einem lauten Donnerrollen. Hibu öffnet ein Auge und blickt Teri direkt ins Gesicht.
«Sieh an, sieh an, die vorlaute Fledermaus. Du bist also tatsächlich am Tag ausgeflogen, obwohl ich dich davor gewarnt habe. Hast dir wohl gedacht, du kannst dir mit dem alten Hibu einen Spaß erlauben, während er schläft? Warte nur, Bürschchen!»
«Ich wollte mich nur vor dem Regen in Sicherheit bringen. Verzeih, wenn ich dich gestört habe!»
«Das hättest du dir überlegen können, bevor du mich aufgeweckt hast ...»
Hibu wird von einem großen Regentropfen unterbrochen, der einen Weg durch die Tannenzweige gefunden hat und auf seinem Kopf zerplatzt. Das macht seine Laune nicht besser. Teri beschließt, dass es Zeit wird, sich ein anderes Versteck zu suchen. Ein wütenderer Waldkauz ist keine gute Gesellschaft. Er verlässt den Schutz der Tanne aber etwas voreilig. Draußen prasselt der Regen in Strömen. Er wird sofort völlig durchnässt und von den schweren Tropfen zu Boden gedrückt. Da entdeckt er unter sich die riesigen, dunkelgrünen Blätter einer Pflanze. Mit letzter Kraft rettet er sich unter das größte Blatt. Es ist so stabil, dass er sich daran aufhängen und das Wasser aus seinem Fell und seinen Flügeln schütteln kann. Erleichtert blickt er sich in seinem Versteck um. Dabei stellt er fest, dass es schon benutzt wird. Unter ihm auf der Erde sitzt ein seltsames Tier, das ihn aus großen, goldenen Augen mit quer geschlitzten Pupillen anstarrt.

Teri und SivaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt