Experimente und neue Fragen

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Mit den Worten "Netter Versuch" zieht meine Mutter das Kissen wieder von meinem Kopf und wuschelt durch meine Locken. Als sie dann auch noch anfängt mich zu kitzeln, muss ich auch lachen und füge mich in mein Schicksal. Weiterschlafen ist also nicht! Nun gut, dann ziehe ich mich eben an und denke nach. Dann habe ich eine Idee. Ich gehe zu meiner Mutter rüber und spreche sie an.

"Mum, weißt du, ich darf eigentlich keinen Schmuck tragen, während meines Praktikums, damit ich nirgendwo hängen bleiben kann oder ein Tier sich dran hängt." Ich beobachte meine Mutter genau. Sie wird bleich, lässt sich aber sonst nichts anmerken. Respekt, Mum! "Vielleicht sollte ich meine Kette heute einfach hier lassen." "Ach, Schätzchen, das musst du nicht" sie reicht mir aus ihrem Schrank einen ganz dünnen Rollkragenpulli, "hier, damit kannst du deine Kette weiter tragen und es passiert auch nichts. So kann man die Kette noch nicht einmal sehen." Gut, ich gestehe, diese Runde ging an meine Mutter. Ich danke ihr, nehme den Rollkragenpulli und ziehe mich schnell wieder um. Als ich am Spiegel vorbeikomme und zur Abwechslung mal hineinsehe, bleibe ich erstaunt stehen. Der Pulli steht mir echt gut, vielleicht sollte ich den Schrank meiner Mutter generell mal plündern. Auf dem Weg zur Gemeinschaftshütte überlege ich, wie ich Sean und Jule noch kurz alleine sprechen kann. Aber das hätte ich mir sparen können, Jule ist heute zum Küchendienst eingeteilt und Sean wahrscheinlich schon auf dem Feld, das muss also bis heute Abend warten. Ich schlinge mein Frühstück hinunter und flitze noch einmal zu unserer Hütte zurück, da ich meine Tasche vergessen habe. Heute nimmt mich Jules Mutter mit in den Zoo, da sie in die gleiche Richtung fahren muss.

An der Hütte angekommen gehe ich wieder langsamer, dann höre ich auch schon aufgeregte Stimmen aus dem offenen Schlafzimmerfenster meiner Eltern. Offenbar hat meine Mutter meinem Vater erklärt, dass ich die Kette zu Hause lassen wollte. "Aber sie hat sie jetzt an?" "Ja, ich habe ihr einen von meinen Pullis gegeben, da ist die Kette sicher drunter." "Ich frage mich immer noch, ob wir das Richtige getan haben ..." So habe ich meinen Vater noch nie gehört. "Was hätten wir sonst machen sollen? Zu Hause war es zu gefährlich für sie!" "Du hast Recht, und immerhin ist sie schon seit sechzehn Jahren hier sicher, es ist nie jemand auf uns aufmerksam geworden!" "Irgendwann müssen wir aber zurück, wir können nicht immer hier bleiben." "Sie braucht noch Zeit, wenn wir jetzt schon gehen, das wird zu gefährlich für sie. Wir müssen es ihr auch noch schonend beibringen ..."

Ich hätte gerne weiter gelauscht, aber ich höre, wie der Gemeinschaftstruck angelassen wird und Jules Mutter auf die Hupe drückt. Ein deutliches Zeichen für mich, mich zu beeilen. Leise gehe ich ein paar Schritte zurück und komme dann laut angerannt. Meine Mutter steht jetzt im Wohnzimmer und lächelt mich an, ein wenig krampfhaft zwar, aber sie hat sich wohl gut im Griff. "Na, mal wieder etwas vergessen?" "Nur meine Tasche, wie sollte es auch sonst sein!" "Hast du eine Jacke? Dein Geld für heute Mittag?" "Äh," ich greife schnell zu beidem, "jetzt ja!" Dann sprinte ich los und springe in den Truck. Was genau war das jetzt wieder? Ich spüre zwar, dass Julietta - Jules Mutter - mich von der Seite ansieht, aber sie fragt nicht nach, was mir Zeit zum Grübeln lässt. Ich hatte letzte Nacht gedacht, es könnte jetzt kaum noch verwirrender werden, aber das war ja mal wieder völlig falsch. Von wo her kommen wir, und warum bin ich nicht sicher? Also ich meine, das macht doch keinen Sinn, oder? Ich lebe seit meiner Geburt hier in der Kommune, oder etwa nicht?

Ich ringe immer noch mit der Frage, ob ich heute die Kette ausziehen oder anlassen soll, als Julietta hält und mir einen schönen Tag wünscht. Gedankenverloren betrete ich den Zoo durch den Seiteneingang und entscheide schließlich, dass ich die Kette erst einmal anlasse und dann zwischendurch vielleicht entferne. Mal sehen, was dann so passiert.

Pam scheint meine Erklärung mit dem Shampoo ernst genommen zu haben, da sie tatsächlich an mir schnüffelt. Ich muss kichern und schließlich, als ihr die Situation bewusst wird, lacht sie mit mir mit. Wir bereiten das Futter vor und fahren zu den Nilpferden. Und diesmal passiert gar nichts. Pam moderiert für die Zoobesucher und ich werfe dann und wann Äpfel zu den Nilpferden. So weit, so gut. Bei den Wölfen bin ich skeptisch, aber auch dort ist alles so, wie es sein sollte. Nur der eine Wolf, der gestern sogar Männchen gemacht hat, schaut mich irritiert an, aber dann wendet er sich dem Futter zu. Pam, die offenbar die Luft angehalten hat, atmet auf. "Offenbar war es wirklich das Shampoo deiner Mutter. Nun wissen wir, dass du das besser nicht mehr benutzt, so lange du hier arbeitest. Kauf dir einfach ein anderes!" Das kann ich ruhigen Herzens versprechen. Das Shampoo war es eh nicht, aber ich kann Pam wohl kaum erklären was los war, wenn ich selber keinen Plan habe.

Bis auf Weiteres bleibe ich brav und lasse die Finger von der Kette. Kurz vor Feierabend riskiere ich ein kleines Experiment: Die Kette liegt seit ich denken kann auf meiner bloßen Haut. Was passiert wohl, wenn ich Stoff zwischen Kette und mich bringe? Im Affenhaus ist es sowieso total unruhig. Die Affen sind laut und ein bisschen komisches Benehmen wird wohl kaum auffallen. Jetzt oder nie! Unauffällig schiebe ich mein Taschentuch unter die Kette. Einer der Affen stößt ein hohes Kreischen aus und wie auf Kommando drehen sich die Affen zu mir um und sind total leise. Mist, ich hatte zwar gehofft, dass sie etwas machen, aber doch bitte nicht so auffällig. Dann stellen sie sich auf, ich vermute der Rangfolge nach, die unter ihnen herrscht, und der erste verbeugt sich vor mir, geht zur Seite und macht dem nächsten Platz. Nein, ich habe nicht gewartet, bis alle fertig sind, sondern habe, so unauffällig, wie es geht, schnell das Taschentuch entfernt. Die Affen kugeln wieder übereinander und machen wieder genauso viel Lärm, wie vorher. Das Ganze hat nur gute zwei bis drei Minuten gedauert und zum Glück hat Pam nichts mitbekommen, da ich die letzte halbe Stunde alleine herumlaufen durfte und mich zuerst versichert habe, dass kein Tierpfleger in meiner Nähe ist. Manchmal kann ich wirklich clever sein.

Bevor ich nach Hause gehe, mache ich noch ein weiteres Experiment. Bisher lag die Kette immer um meinen Hals und dass sie Hautkontakt braucht, habe ich eben auch schnell verstanden. Aber reicht es auch, wenn ich die Kette in der Hand halte? Am Ausgang liegt ein Gehege von Erdmännchen. Ich nehme meine Kette in die Hand und halte den Anhänger fest umschlossen. Langsam nähere ich mich dem Gehege, aber nichts passiert. Gut, das wäre geklärt, die Hand reicht auch. Aber weil ich ein neugieriger Mensch bin, schaue ich mich kurz um, keiner in der Nähe, also lasse ich den Anhänger los und halte die Kette nur an ihrem Band fest. Auch hier reicht ein Pfiff von einem der Erdmännchen aus und alle kommen nach vorne gelaufen. Dann stellen sie sich auf und tanzen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Sie folgen einer Musik, die ich nicht hören kann und reichen sich die Hände, will sagen Pfoten. Der Tanz erinnert mich an mittelalterliche Tänze, darüber haben wir vor einiger Zeit von Julietta gehört. Ich möchte nur ungern die Tiere beim Tanzen stören, aber bevor noch jemand auf uns aufmerksam wird lege ich meine Kette um und schiebe sie unter meinen Rollkragenpullover. Und wie zuvor bei den Affen beenden die Erdmännchen unverzüglich ihren Tanz und benehmen sich wieder ganz normal. Nachdenklich verlasse ich den Zoo und warte auf meinen Vater, der mich abholen kommt. Was soll ich nur Jule und Sean erzählen? Wer bitte soll mir das glauben, was ich heute erlebt habe. Und auch die anderen Fragen schieben sich wieder in mein Bewusstsein. Welche Gefahr erwartet mich und vor allen Dingen: Wo?

Als mein Vater mich abholt und nach meinem Tag fragt, antworte ich nur, dass es schön gewesen sei und sehe geistesabwesend aus dem Fenster. Ich bin so in Gedanken, dass ich fast verpasst hätte, als mein Vater sagte: "Prinzessin, deine Mutter und ich haben überlegt, dass wir am Wochenende mal etwas zusammen unternehmen könnten. Wir könnten doch zum Beispiel mal zusammen wegfahren." Ich drehe mich zu ihm um und sehe seinen fragenden Blick. "Das wäre schön, Dad" sage ich und denke dabei, dass sich dann alles klären wird und ich meine ganzen Fragen loswerden kann.

Ich habe keine Ahnung, dass ich am Wochenende bereits nicht mehr hier bin, dass ich längst an einem anderen Ort bin und keine Vorstellung davon habe, wie ich jemals wieder nach Hause kommen kann.

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So, das wäre es für dieses Wochenende. Seid ihr gespannt, wie es weiter geht? Für einen Kommentar wäre ich echt dankbar, möchte doch gerne wissen, ob euch die Geschichte gefällt.

ZweisteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt