Sir Hector Jochabad

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Es erleichtert mich, dass meine Eltern mit mir einen Ausflug machen wollen. Offenbar haben sie sich entschlossen, mit mir über die ganze Sache zu sprechen. Und bis zum Wochenende kann ich auf jeden Fall noch warten. Ich nehme mir fest vor, keine weiteren Experimente während der Arbeit zu wagen. Doch unter der Dusche entschließe ich mich, mit Jule und Sean zu sprechen. Wer weiß, was sie dazu zu sagen haben. Ich ziehe mir schnell ein paar alte Sachen über, als mir der Gedanke von heute Morgen einfällt. Also rufe ich kurz nach meiner Mutter, doch da sie nicht antwortet, muss ich das Schrankplündern doch noch einmal verschieben. Egal, um sich gleich mit Sean und Jule in unserer Hütte herum zu lümmeln, dazu reichen eine alte zerrissene Jeans und ein fransiges Batikshirt vollkommen aus.

Ich mache mich auf die Suche nach den Beiden und finde sie wie erwartet in der Kuschelecke unserer Hütte. Sean streichelt einen total süßen Hund. Er ist schwarz, und hat vorne zwei weiße Pfoten und einen weißen Kragen am Hals. Über den Bauch zieht sich eine weiße Linie und wenn er so liegt, könnte man glatt meinen, er trägt einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd darunter. Die beiden hinteren Pfoten sind dunkelbraun, dadurch wirken sie wie Schuhe. Ich muss lachen, als ich den Streuner sehe. "Wo hast du denn den her?" frage ich Sean. "Der ist mir seit heute Morgen auf dem Feld überall hin gefolgt. Ich habe schon gefragt, wenn er will, kann er hier bei uns bleiben - natürlich nur, wenn ihn keiner als vermisst meldet!" "Na hoffentlich nicht", sagt Jule sofort, "der ist so süß, den will ich behalten!" Wir lachen zusammen und ich überlege, wie ich mit meinem Bericht beginnen will, als mir plötzlich etwas einfällt. "Sean, du bist doch älter als ich, wusstest du, dass ich gar nicht hier geboren bin?" "Na klar, ich meine, wir haben da zwar nie drüber geredet, aber ihr seid erst gekommen, als ich so zwischen drei und vier Jahren alt war." Er grinst über das ganze Gesicht. "Ich kann mich noch gut an dich erinnern. Du warst so eine süße, pausbäckige, winzig kleine Gestalt. Neben Jule wirktest du gut ein Jahr jünger oder so. Du hast dich sofort mit uns angefreundet, ich meine, wer konnte deinem Lächeln widerstehen? Nie am Jammern, immer fröhlich, das war einfach nur ansteckend." Jule und ich sehen uns erstaunt an, offenbar war ich nicht die einzige, die gedacht hat, ich wäre hier geboren. "Weißt du, wo wir herkamen?" "Nicht genau ... äh, wenn ich so nachdenke, nein, ich habe keinen Plan. Warum fragst du nicht deine Eltern?" Beide sehen mich fragend an. Selbst der Hund sieht zu mir rüber, als würde ihn unser Gespräch interessieren. "Das werde ich, wir wollen am Wochenende einen Ausflug machen, da werde ich sie fragen."

Und dann erzähle ich ihnen, was ich in der Nacht zuvor belauscht habe und von meinen Experimenten. Sie kriegen sich fast nicht ein vor Lachen. Schließlich springt Sean auf und verbeugt sich vor mir. Dann verbeugt er sich vor Jule und zieht sie lachend hoch. "Gnädige Frau, darf ich Sie um diesen Tanz bitten?" Dann drehen sich die beiden im Kreis. Wenn ich tanzen will, bleibt mir nur der Hund. Ich lache und verbeuge mich vor ihm. "Gnädiger Herr, alle anderen Tanzpartner sind vergeben. Erweisen Sie mir die Ehre, mit mir zu tanzen?" Ich muss noch mehr lachen, als er mit dem Kopf nickt und aufsteht. Wahrscheinlich ist es ein entlaufener Zirkushund, denn er macht Männchen und reicht mir seine Pfoten. Laut lachend drehe ich mit ihm ein paar Runden, dann fallen wir alle in die Kissen zurück. Der Hund lässt sich wieder von Sean kraulen und leckt ihm die Hand. Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis wir uns wieder soweit beruhigt haben, dass wir uns weiter unterhalten können. Schließlich meint Jule: "Du kannst es uns ja mal zeigen. Wir haben doch jetzt unseren kleinen Freund hier und wenn er anfängt zu jaulen, dann kannst du die Kette ja schnell wieder anziehen." Ich zögere kurz, doch dann lege ich kurzerhand die Kette ab.

Der Hund schüttelt sich kurz, stellt sich wieder auf die Hinterläufe und fängt dann an zu sprechen. "Mein Name ist Sir Hector Jochabad! Ich danke Euch für diesen Tanz." Ich schlage die Hand auf meinen Mund und will mir mit der anderen schnell die Kette zurücknehmen. "Bitte nicht!", sagt er weiter. "Wenn Eure Majestät den Schmuck tragen, kann ich leider nicht mit Euch sprechen." Meine Hand stockt in der Luft über der Kette. Das kann doch alles gar nicht wahr sein. Ich sehe zu Sean und Jule rüber, doch auch sie können offenbar nicht glauben, was sie da sehen und hören. Der Hund verbeugt sich leicht und sagt dann: "Ich danke Euch! Prinzessin Dariana, Euer Land braucht Euch. Aruvel hat sich verändert, doch leider nicht zum Guten. Mir ist klar, dass man Euch gejagt hat und Ihr in großer Gefahr wart, doch mittlerweile seid ihr volljährig..." Ich unterbreche ihn und sage: "Aber ich bin erst 16" "Ja, ja, das sage ich doch! Ihr werdet bald im Vollbesitz Eurer Kräfte sein. Doch wenn Ihr hier bleibt, wird Aruvel vernichtet, und Ihr werdet es nicht mehr retten können. Wir haben keine Zeit zu verlieren." Er greift in seine Anzugjacke, meine Güte, mir fällt erst jetzt auf, dass er tatsächlich einen Anzug trägt, und holt einen kleinen Gegenstand heraus. Je länger ich ihn betrachte, desto eher nimmt er menschliche Züge an. Er wirkt wie ein kleinwüchsiger Mann mit einem Schnurrbart und einem kleinen Ziegenbärtchen. Die Ohren wirken ein wenig größer als normal und die Haare trägt er kurz geschnitten. Ich bin so durch die Betrachtung von ihm abgelenkt, dass ich fast automatisch die Hand ausstrecke, als er mir den Gegenstand hinhält. "Dieser wurde für Euch am Tage Eurer Geburt von den Zwergen gefertigt. Er wird nur auf Euch hören. Er kann weder verloren gehen, noch zerstört werden können, sobald ihr ihn wahrhaft in Besitz genommen habt."

Staunend betrachte ich den wunderschön bearbeiteten Stein in meiner Hand. Ich drehe ihn hin und her und fühle mit einem Finger über die Strukturen. "Was genau ist das, Sir Jochabad?" Ich staune über mich selber, dass ich mir diesen seltsamen Namen gemerkt habe.

"Dies, Prinzessin Dariana, ist Euer Zweistein."


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