Unerwarteter Luxus

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Jetzt nehme ich mir einmal die Zeit, mich in Ruhe umzusehen. Dies scheint das Familienzimmer zu sein. Es stehen gemütlich aussehende Sofas darin. Viele Kissen sind im ganzen Raum verteilt und ich muss unwillkürlich an unsere Hütte zu Hause denken. Ein Blick zu Jule verrät mir, dass sie das gleiche denkt, wie ich gerade. In einer Ecke, dicht am Fenster, steht ein großer Webrahmen und direkt daneben ein kleiner Rahmen. Ich wusste gar nicht, dass man solche Rahmen auch für Kinder herstellt. Meine Tante, die meinen Blick bemerkt hat, erklärt daraufhin: „Es beruhigt deine Cousine, wenn sie nach ihren Visionen mit den Fingern arbeiten kann. Wenn Kopf und Finger im Einklang miteinander sind und sie sich wieder etwas erholen kann. Manche ihrer Visionen sind erschreckend, bedenke, sie ist trotz allem erst fünf Jahre alt." Ich lächele und sehe sie vor mir, wie sie einem der Handwerker erklärt, sie brauche einen Kinderwebrahmen, um Lady Tanya strafen zu können, wenn diese wieder einmal zu wild sei. Ich hebe eine Augenbraue an und frage nach: „Ach, als Strafe also?" Und in dem Moment, in dem ich rede, merke ich mal wieder, dass mein Mund schneller ist, als mein Verstand. Meine Tante sieht mich merkwürdig prüfend an. Doch diesmal eilt mir mein Onkel zur Hilfe. „Sie hat die Gabe des Sehens. Wenn du nicht möchtest, dass sie über etwas zu genau Bescheid weiß, dann sprich gar nicht erst davon! Und damit meine ich ganz besonders unsere Geschichte!" Er schluckt bei diesen Worten. Katia hingegen muss gleich wieder lachen. „Das macht vieles einfacher!"

Dann zieht sie an einer Schnur, die in der Nähe der Türe hängt. „Ihr könnt euch ein wenig frisch machen, in einer Stunde wollen wir dann gemeinsam essen. Beim Essen bespricht sich alles besser. Ich habe die Mädchen in einem Zimmer unterbringen lassen. Dein Zimmer ist direkt daneben. Ich habe dafür gesorgt, dass ihr eine Verbindungstüre zwischen den Zimmern habt, so könnt ihr miteinander sprechen, ohne dass es einer der Bediensteten mitbekommt. Da ihr", damit zeigt sie auf Sean und mich, „angeblich Geschwister seid, ist noch nicht einmal etwas Unschickliches daran. Auf so etwas müssen wir hier achten. Beim Essen erkläre ich euch noch mehr. In Euren Zimmern findet ihr passende Kleidung. Lasst euch von Sofia ein wenig helfen, das macht sie glücklich." Kaum hat sie ausgesprochen, als es an die Türe klopft.

„Tritt ein, Sofia!" ruft Tante Katia. Eine Zofe öffnet die Türe und tritt schüchtern ein. „Sofia, dies sind Jule, Angi und Sean. Bringe sie bitte in die vorbereiteten Zimmer. Da Jule und Angi aus Seela stammen, sind sie mit den Gepflogenheiten hier im Palast nicht vertraut. Hilf ihnen doch bitte beim Auswählen passender Gewänder." Leise antwortet Sofia: „Sehr gerne, Lady Katia!"

„Wollt Ihr mir bitte folgen?" Mit diesen Worten geht sie uns voran. Unsere Zimmer sind nicht weit entfernt. Zuerst zeigt sie Sean sein Zimmer. Er geht hinein und schaut sich staunend um. Jule und ich können uns ein Lachen kaum verkneifen. Er hat doch tatsächlich ein Himmelbett in seinem Zimmer. Doch Sean hat für das Bett keinen Blick übrig. Die Aussicht von seinem Fenster aus nimmt ihn völlig gefangen. Ich kann ihn verstehen. Man kann gut über das Land hinweg sehen. Wir leben zwar auch nicht in der Stadt, aber so eine Aussicht sind wir wirklich nicht gewöhnt. Sofia zeigt ihm die Verbindungstüre und danach noch eine weitere Türe. Als er sie öffnet, finden wir ein Ankleidezimmer. Hier hängen mehr Anzüge, als ein Mensch sie alleine tragen kann. Er schluckt und macht die Türe rasch wieder zu. Dann zeigt Sofia uns unser Zimmer. Seans Zimmer mag auf uns wie der reine Luxus gewirkt haben, doch unser Zimmer ist noch viel luxuriöser. Unser Himmelbett ist noch breiter, als das in Seans Raum, der ganze Raum ist größer, als unsere Kinderhütte zu Hause. Als Sofia uns unser Ankleidezimmer zeigt, lächelt sie über Jules und meine offensichtliche Freude über die ganzen Kleider. Letztlich muss sie uns tatsächlich mit der Auswahl unserer Kleider helfen. Eine solche Auswahl überfordert uns sichtlich.

Schließlich legt sie zwei Kleider auf das Bett. Dann holt sie die passenden Schuhe heraus und sogar noch passende Bänder für unsere Haare. „Wollt Ihr ein Bad nehmen?" fragt sie uns und zeigt auf eine Badewanne, die in einer Ecke frei steht. Natürlich gibt es hier keine Wasserhähne und der Gedanke, dass keine Ahnung wie viele Eimer Wasser geschleppt werden müssten, damit wir ein kurzes Bad nehmen können, lässt uns dankend ablehnen. Eine Schüssel mit Wasser reicht uns beiden vollkommen. Daraufhin lässt Sofia uns allein. Als sich die Türe hinter ihr schließt, spricht Jule mir vollkommen aus dem Herzen, als sie murmelt: „Ich vermisse meine Dusche jetzt schon"

ZweisteinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt