Kapitel 25 - Miracles happen

3.2K 287 11
                                    

Ich fuhr erschrocken herum und da stand er. Leo. In Jeans und Shirt, so hatte ich ihn ewig nicht mehr gesehen. Normalerweise trug er immer einen Anzug. Meine Gefühle in diesem Moment konnte ich beim besten Willen nicht zuordnen. Ich fühlte mich geschockt, unglaublich wütend und überglücklich zugleich. Wobei die Wut vom Vortag alles andere als verraucht war, sodass diese wohl das stärkste Gefühl war. Nichts desto trotz war ich wieder verwirrt. Ich überlegte mit wem ich lieber reden wollte: Leo oder die Reporter. Ich hatte mich gerade für die Reporter entschieden, was wahrscheinlich daran lag dass ich entweder zu feige war oder dass ich die Befürchtung hatte, hier und jetzt auf dem Turniergelände und vor den Reportern eine riesen Szene zu veranstalten, da ich mich in Leos Gegenwart wirklich nicht im Griff hatte, da hatte Leo es schon geschafft sie zu vertreiben.

„Zum Glück bist du da, ich dachte die nehmen Roxy auseinander!", Danielle fiel ihrem Bruder um den Hals.

„Was machst du hier?", fragte Richard, der genauso erfreut über das Auftauchen seines Sohnes zu sein schien, wie ich. Leo ignorierte seinen Vater und blickte mich an.

„Bist du okay?"

Ich bemühte mich um einen finstersten Gesichtsausdruck. „Mhm.", dann öffnete ich einfach die Rampe des Transporters. Auf eine Dankeschön oder eine nette Geste meinerseits konnte er lange warten.

„Roxy, bitte lass und reden...!", sagte Leo leise zu mir und hielt meinen Arm fest. Richard und Danielle holten gerade Voyeurs Ausrüstung aus dem Kofferraum. Ich bemerkte Danielles verstohlene Blicke in unsere Richtung sehr wohl doch wusste ich auch, dass sie meine Wut ihrem Bruder gegenüber verstand. Sie wusste zwar nicht, was gestern vorgefallen war, doch kannte sie ihren Bruder und sie würde nicht an meinen Beweggründen zweifeln.

„Du stehst im Weg!", gab ich patzig zurück und entzog ihm meinen Arm. Ich holte den Hengst aus dem Hänger, der sich sofort wieder gebärdete wie ein Wilder. Er stellte seinen Schweif auf, blähte seine Nüstern und wieherte mit hoch erhobenem Kopf. Das Satteln würde heute wohl wieder einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Leo stand noch immer an derselben Stelle. Obwohl er mir irgendwie leid tat, konnte und wollte ich nicht mit ihm reden. Vor ein paar Tagen hatte er gesagt, dass er mich liebte. Indirekt zumindest. Und gestern war er mit einer anderen zusammen. Wie stellte er sich das vor? Dass ich zu ihm gerannt kam wie ein Hund? Nie im Leben! Ich war nicht seine Marionette und war emanzipiert genug um ihn das auch spüren zu lassen. An seinem gekränkten männlichen Stolz war er selbst schuld.

Voyeur war mir dreimal auf den Fuß getreten, er hatte Danielle so grob umgeschubst, dass sie sich das Handgelenk verdreht hatte und schließlich hatte er mir in die Hand gebissen, sodass diese jetzt unangenehm pochte und ungesund rot strahlte. Da sollte noch einer ruhig bleiben. Schließlich hing ich am Sattel wie ein unbeholfener Klammeraffe, Richard hob mein Bein und joggte neben uns her, da er mich eigentlich hatte auf Voyeurs Rücken befördern wollen und der Hengst in seiner unglaublichen Sturheit einfach los getrabt war. Danielle fiel erneut hin, weil sie ihm aus dem Weg springen musste. Ich kam mir vor wie der totale Anfänger. Schließlich hatte ich es irgendwie geschafft mich in den Sattel zu ziehen und das störrische Tier wieder durch zu parieren. Auf dem Weg zum Abreitplatz rollte der Rappe sich wieder ein und tänzelte nervös unter mir. Die Tatsache, dass hier haufenweise Stuten unterwegs waren, machte es fast unmöglich seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Die Kameras, die uns folgten, kaum dass deren Halter uns entdeckt hatten, gingen mir erst recht auf die Nerven. Als ich den Hengst auf den Abreiteplatz ritt sah ich mich verstohlen um. Sam war noch nicht zu entdecken. Viel Schritt gönnte ich dem Rappen unter mir nicht, ich musste mich jetzt wirklich anstrengen um seine Aufmerksamkeit für mich zu gewinnen. Travers, Tempiwechsel, Schulterherein, Übergänge... ich brachte so viel Abwechslung in die Arbeit mit ein, dass es Voyeur beinahe unmöglich war sich auf etwas anderes als mich zu konzentrieren. Nach einer Weile merkte ich, dass er unter mir auf das nächste Kommando wartete. Er ging schwungvoll und energiegeladen. Beinahe alle Blicke lagen auf dem wunderschönen Hengst. Ich war erleichtert, dass ich ihn nach der heftigen Kritik von neulich so gut im Griff hatte. Er bockte nicht einmal, doch spätestens beim ersten Sprung würde er das nachholen...

Ich hatte gerade den Weitsprung zum Aufwärmen überwunden als ich Sam entdeckte. Er ritt auf seinem Braunen, der völlig gelassen war, auf den Platz und hatte sofort mich und Voyeur im Blick. Kurz setzte mein Herz für einen Schlag aus und automatisch huschte mein Blick zu Leo. Doch er war nicht da! Danielle und Richard standen an der Absperrung und beobachteten mich, doch Leo fehlte! Im nächsten Moment ärgerte ich mich über mir selbst, wieso meinte ich ihn sehen zu wollen, wenn ich verunsichert war? So ein Schwachsinn.

„Hallo Roxy!", Sam war im Schritt neben mich geritten. Ich fuhr herum und starrte ihn an. Voyeur brummelte unter mir Sams Braunen an, der die Ohren anlegte. Natürlich ignorierte ich das ungebührlich Verhalten von Voyeur in diesem Moment, vielmehr war ich mehr als entsetzte über die Tatsache, dass Sam die Unverfrorenheit besaß mich einfach zu anzusprechen nach dem, was vorgefallen war.

„Bitte, sei nicht sauer auf mich! Ich wusste nichts davon, das musst du mir glauben! Ich habe keine Ahnung, wieso mein Vater das gemacht hat!", schoss Sam auch sofort los. Ich richtete meinen Blick wieder geradeaus auf Voyeurs schwarze Ohren.

„Roxy, ehrlich! Ich würde nie wollen, dass ein Pferd verletzt wird, das weißt du! Ich hasse meinen Vater dafür!"

Ich holte tief Luft, gab Voyeur die Hilfe zum Antraben, die er zum Glück sofort annahm, und ließ Sam einfach stehen. Ich hatte keine Ahnung, wem ich überhaupt noch trauen konnte.

***

„Roxy, noch zwei Reiter, dann bist du dran!", hörte ich Richard, der am Rand stand und ziemlich aufgeregt wirkte. Vielleicht bezweifelte er seine Entscheidung inzwischen auch? Voyeur war kein Verlasspferd, so wie Embassy es war, nein, Voyeur war unberechenbar. Kurz darauf ritt ich den kurzen Weg zum Parcours entlang. Der Hengst explodierte beinahe vor Energie und Aufregung. Ich hoffte, nein, ich betete, dass ich ihn da drin gleich unter Kontrolle haben würde. Ganz England würde diesen Ritt sehen können! Als der Stadionsprecher meinen Namen aufgerufen hatte und sich, ganz zu meinem Verdruss, über das Millionenpferd Voyeur ausgelassen hatte, konnte ich endlich starten. Es wurde auch höchste Zeit, der Rappe wollte beginnen und war kaum noch zu halten. Ich brauchte jetzt meine gesamte Kraft und Konzentration, dass er mir nicht zu schnell und somit zu flach wurde und wir Flüchtigkeitsfehler machten. In flottem Galopp steuerte er auf den ersten Sprung zu. Und plötzlich war er nicht mehr der Voyeur, den ich kannte! Ich keuchte auf, so überrascht war ich. Seine Ohren schnellten nach hinten, konzentrierten sich ganz auf mich. Er reagierte auf die kleinste Parade und Gewichtsverlagerung. Ich nahm das Tempo etwas zurück und hätte beinahe aufgeschrien, als der Hengst willig das Tempo verringerte. Er zog den Sprung an, drückte sich kräftig mit der Vorhand ab, schwebte mit viel Luft zwischen den Stangen darüber und kam geschmeidig auf der anderen Seite wieder an. Während ich schon in der Luft das nächste Hindernis anvisiert hatte, hatte ich mich in Vorbereitung auf seine Bocksprünge in seiner Mähne festgekrallt, doch nichts passierte. Er landete und wartete, bis ich ihm die nächsten Anweisungen gab, die er sofort umsetzte. Was war mit diesem Pferd geschehen?! Das nächste Hindernis, eine Mauer, überflog er genauso leichtfüßig wie das davor. Vor dem Wassergraben trieb ich ihn vorwärts, er sprang sofort darauf an und überflog das Wasser ohne zu zucken. Die dreifache Kombination kam nun auf uns zu. Voyeur spitzte die Ohren. Drei, zwei, eins - Sprung - ein Galoppsprung - Sprung - zwei Galoppsprünge - und der Aussprung der Dreifachen war ebenfalls fehlerfrei überwunden. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Die restlichen drei Hindernisse waren kein Problem und so beendeten wir den Parcours mit null Fehlern und waren somit im Stechen. Ich lobte den Hengst, der, sobald er bemerkt hatte, dass wir die Runde beendet hatten, übermütig mit dem Kopf schlug und sich schon wieder aufführte, wie ich ihn kannte. Es machte mir gerade aber überhaupt nichts aus. Anstatt anständig zu traben oder galoppieren verließ er den Platz lieber mit vielen kleinen, aber leicht zu sitzenden, Bocksprüngen. Ich verdrehte meine Augen über sein wirklich seltsames Verhalten, nahm es ihm aber nicht übel da er seinen Job da drin mehr als nur gut gemacht hatte.


Parcours des LebensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt