Kapitel 10 - It's all lies!

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Leos Haare waren nass und auch sein grauer Pullover wies an Kapuze und Schultern dunkle Wasserflecken vom starken Regen, der draußen unerbittlich fiel, auf. Schon den ganzen Morgen hing der Himmel voller dunkler Wolken. Ich hatte die Hoffnung auf eine sonnige Zeit in England bereits aufgegeben. Jetzt, da Leo wie ein begossener Pudel in einiger Entfernung vor mir stand, blieb ich wie versteinert neben meinem Schimmel stehen. Meine Hand lag auf Embassys Schulter. Sie gab mir gerade den Halt den ich brauchte, um nicht einfach umzufallen. Ich versuchte meine Konzentration auf Embassys weiches Fell und die Wärme, die von ihr ausging, zu richten. Dass ich dabei Erfolg hatte wäre eine Lüge gewesen. Einfach umzufallen würde mir nämlich ähnlich sehen und in Anbetracht meines viel zu schnell schlagenden Herzens wäre es wahrscheinlich sogar die angenehmere Option gewesen. Als Leo seinen Blick von seinem nassen Pullover hob erstarrte auch er. Als ich in seine eisblauen Augen sah, fühlte ich mich, als hätte mich der Blitz getroffen. Eine Gänsehaut zog sich langsam meine Arme herauf. Zum Glück trug ich einen weiten Kapuzenpullover, der die verräterischen Zeichen, mit denen mein Körper, dieser Verräter, auf Leos Anwesenheit reagierte, versteckten. 

„Sind Josh und Luke nicht da?", fragte er mit seiner rauen Stimme. Wieso musste er zu diesem Aussehen auch noch so eine Stimme haben? Das war nicht fair. Es wäre viel einfacher wenn er klingeln würde wie ein Schlumpf der Propangas inhaliert hatte!

„Nein."

„Wann kommen sie wieder?"

„Keine Ahnung."

„Sag ihnen, dass ich gegangen bin."

„Okay."

Dann drehte er sich wieder um, um den Stall zu verlassen.

„Und von mir kann man sich nicht verabschieden, oder was?", rief ich ihm hinterher. Das war mal wieder eine meiner Macken: Reden ohne nachgedacht zu haben. Dass ich von ihm eine Antwort oder Erklärung nicht ertragen konnte, wusste ich schon bevor ich die Frage ausgesprochen hatte. Leo stoppte, drehte sich jedoch nicht zu mir um. Er sagte auch nichts. Also würde ich reden müssen, schließlich hatte ich schon den ersten Schritt gemacht. Einen Rückzieher zu machen war nicht mein Stil.

„Was hab ich dir getan, dass du mich ignorierst, Leo?", fragte ich. Meine Stimme klang zu meinem Erstaunen fest und sicher. Wenigstens einmal ließ sie mich nicht im Stich. Ein Glück stand Embassy an meiner Seite. Sie war mein Anker und ertrug geduldig meine zitternde Hand auf ihrer Schulter.

„Wieso sollte ich dich ignorieren?", sagte er leise. Sehr leise.

„Du weißt genau, was ich meine, Leo!"

Er sagte wieder nichts und ich wusste warum. Ich hatte Recht.

„Ich komme damit klar wenn mir jemand die Meinung ins Gesicht sagt. Und mir ist bewusst, dass wir beide nie ein Paar gewesen sind, wie man sich das vorstellt. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass da mehr war. Du hast gesagt, du liebst mich!", vielleicht klang ich wütend. Doch ich hatte jedes Recht dazu, wütend zu sein. Ganz davon abgesehen war der erste Teil meiner Aussage eine dicke, fette Lüge. Ich würde nicht damit klarkommen, was auch immer er mir zu sagen hatte.

„Ich habe gelogen.", sagte er während er sich zu mir umdrehte.

„Gelogen? Mit was hast du gelogen?", fragte ich, nun doch schon ziemlich unsicher.

„Damit, was ich gesagt habe."

„Du hast viel gesagt, Leo! Du musst dich schon etwas präziser ausdrücken!", ich war so langsam wirklich versucht genervt meine Augen zu verdrehen. Doch die Angst, vor seiner Aussage, war zu groß. Also wartete ich einfach ab und versuchte meine normale Atmung beizubehalten.

„Dass ich dich liebe, das war gelogen!", sagte er. Er sagte es so, als hätte er mir gerade gesagt, dass es draußen regnet, dass er mal eben kurz einkaufen gehen würde... Leichthin, als wäre nichts dabei. Als würde er mir mit diesem Satz nicht das Herz aus der Brust reißen und darauf herum trampeln. Ich konnte ein entsetztes Keuchen nicht verhindern. Ganz automatisch klammerte ich mich in Embassys Mähne fest.

„Was? Aber wieso...", meine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern, welches sich im Geräusch des Regens, der auf das Dach fiel, verlor.

„Hast du wirklich gedacht, das könnte was werden? Du lebst in Kanada, du machst Karriere! Genauso wie ich, nur dass ich in England lebe. Das kann nicht funktionieren, Roxy, und das hatte ich auch niemals geplant. Der Sommer mit dir war... nett, ein netter Zeitvertreib."

Seine Stimme klang in meinen Ohren spottend und eiskalt. Ich war also für ihn nichts weiter als ein netter Zeitvertreib gewesen? Das hörte doch jede Frau gerne, die verliebt war.

„Das meinst du doch gerade nicht so!", widersprach ich obwohl ich wusste, wie dumm es war.

„Du müsstest inzwischen wissen, dass ich alles so meine, wie ich es sage!", seine eiskalten Augen lagen auf mir, schienen mich nieder zu machen.

„Anscheinend ja nicht...!", feuerte ich zurück. Nein, er meinte nichts so, wie er es sagte! Er war ein Lügner! Ein Arschloch und Lügner! Und er machte mich wütend, so wütend wie es sonst keiner schaffen würde.

„Weißt du was? Dann war es halt gelogen. Damit werde ich fertig. Aber du tust mir leid, Leo. Du hast noch nicht einmal den Mut dazu gehabt, mir das persönlich zu sagen, oder von mir aus am Telefon. Nein, du hast einfach so getan, als hätte es mich niemals gegeben. Das ist nicht fair und zeigt dein wahres Gesicht!"

Er lachte trocken auf. Ich schnappte nach Luft. Was erlaubte er sich?!

„Wie du meinst...!", sagte er spöttisch. Am liebsten hätte ich den Striegel, den ich in meiner zitternden Hand hielt, in sein Gesicht geworfen. Doch er war Anwalt, das war vielleicht keine besonders gute Idee. Zumal dieser Leo, der hier gerade vor mir stand, nicht der war, den ich kennen und lieben gelernt hatte. Er war gemein, arrogant und machte sich über mich lustig. Kurz, er war ein Arsch! Und es war eine andere Sorte von Gemeinheit, wie die, die er bei unserem Kennenlernen vor zwei Jahren an den Tag gelegt hatte. Damals war er einfach nur von sich selbst zu überzeugt gewesen, doch heute spielte er mit meinen Gefühlen und das war noch viel schlimmer. Ich hatte ihm nichts mehr zu sagen. Also starrte ich ihn einfach nur an, wütend, so unglaublich wütend!

„Bye, Roxy!"

Er öffnete das Tor und trat hinaus in den Regen, kurz darauf hörte ich, wie er seinen Wagen startete und vom Hof fuhr.

„Ich hoffe du erstickst an deiner Arroganz!", zischte ich, wohl wissend, dass er mich nicht hören konnte. Aber das war im Moment egal. Ich lehnte an meiner Stute, die meine innere Zerrissenheit spüren konnte, und atmete hektisch. Ich war doch wütend, wieso hatte ich das Gefühl, dass ich heulen sollte? Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich würde nicht heulen. Verdammt! Ich konnte es nicht verhindern. Die Schluchzer bahnten sich den Weg aus meiner Kehle hervor. Wieso hat er das gemacht? Was habe ich ihm getan?


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