Kapitel 33 - It does not change, right?

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Als ich am nächsten Morgen wach wurde fühlte ich mich, als hätte ein LKW mich überrollt. Schnell griff ich nach den Schmerztabletten und dem Glas Wasser, welches auf meinem Nachttisch stand. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es noch sehr früh war. Trotzdem schälte ich mich aus der Bettdecke und humpelte zu meinem Koffer, welchen Luke am Fußende des Bettes abgestellt hatte. Es dauerte beinahe eine Stunde bis ich mich irgendwie angezogen und gewaschen hatte. Als ich mein Zimmer verließ und die Tür leise hinter mir schloss horchte ich kurz. Das Haus war dunkel und es war ruhig. Wahrscheinlich schliefen noch alle. Ich humpelte also die Treppe hinunter – es dauerte beinahe zehn Minuten bis ich unten war – und betrat das große Wohnzimmer. Aus der Küche wehte ein frischer Kaffeegeruch herüber von dem ich quasi magisch angezogen wurde. Etwas verwirrt blieb ich stehen als ich die Küche betrat. Es war stockdunkel! Wer machte den im Dunkeln Kaffee? Ich knipste das Licht an und musste im nächsten Moment einen erschrockenen Aufschrei unterdrücken.

„Leo! Was machst du denn hier?", hauchte ich und versuchte mein Gleichgewicht auf den Krücken zu halten. Als Leo aufblickte erwartete mich direkt der nächste Schock. Er sah schrecklich aus. Wenn ich die letzten Tage schon gedacht hatte, dass er müde aussah, dann sah er jetzt wohl aus wie ein Zombie!

„Kaffee?", fragte er nur. Seine Stimme klang, als wäre er bei einem Heavy-Metal-Konzert gewesen und hätte dabei den Lead-Sänger noch überstimmt! Ich nickte und beobachtete wie er eine Tasse aus dem noblen Hängeschrank fischte. Er füllte Kaffe in die weiße, schlichte Tasse und kippte etwas Milch hinein. Während ich mich insgeheim darüber freute, dass er noch wusste, wie ich meinen Kaffee trank, setzte ich mich etwas ungeschickt auf einen der Stühle.

„Geht's dir nicht gut?", fragte ich vorsichtig als ich den ersten Schluck getrunken hatte. Leo blickte auf und ich verschluckte mich beinahe. Seine Augen hatten jeglichen Glanz verloren. Er sah so verloren aus, dass ich ihm am liebsten über den Kopf gestreichelte hätte.

„Ist das so offensichtlich?", fragte er. Aufgrund seiner rauen Stimme konnte ich unmöglich sagen ob er sich wütend oder neutral anhörte. Also zuckte ich mit den Schultern.

„Ja."

„Hm.", er nahm einen Schluck Kaffee.

„Konntest du nicht schlafen?", fragte ich obwohl ich wusste, dass diese Frage überflüssig war.

„Ich schlafe seit Wochen nicht mehr richtig!"

„Oh. Das tut mir leid. Ärger in der Kanzlei?"

„Ich habe gekündigt."

Mir fiel die Kinnlade herunter. Leo hatte gekündigt?

„Was?"

„Ich habe gekündigt."

„Ich habe dich verstanden, aber wieso hast du gekündigt?"

„War ein scheiß Job."

„Aber ich dachte... du hast so viel Energie in die Arbeit gesteckt. Ich dachte es macht dir Spaß!?", ich war ehrlich verwirrt. Dieser Kerl brachte mich auch mit allem was er sagte oder tat aus der Fassung.

„Tja... falsch gedacht, Roxy."

Ich senkte meinen Blick.

„Im Moment ist es doch so, dass ich einfach alles verliere! Alles, für was ich gekämpft habe entgleitet mir gerade. Meine Familie ist im Arsch! Ich habe keinen Job mehr und das Mädchen, das ich liebe, habe ich auch erfolgreich verjagt!", sagte Leo und ich konnte den Sarkasmus in seiner Stimme kaum ertragen. Ich streckte meine Hand über den Tisch aus und legte sie auf seine.

„Dein Mitleid kannst du dir sparen. Ich weiß, dass ich es versaut habe, Roxy. Ich war so dumm! Charly hat mir ganz deutlich gesagt woran ich bin. Und sogar Danielle, meine eigene Schwester, hat mir gesagt, dass du mich nichts mehr angehst!"

Obwohl ich ihm gerne etwas gesagt hätte, wusste ich nicht was. Also zog ich meine Hand zurück und legte sie an die warme Kaffeetasse. Ich spürte, wie Leo seinen Blick hob und mich anstarrte. Zögernd sah ich ihm in die Augen und erkannte, dass er ein gebrochener Mann war. Ein Mann, der sich im Moment selbst hasste. Wie sollte ich, die ihr Leben doch selbst nicht unter Kontrolle hatte, ihm denn helfen? Das war nicht möglich.

„Es ändert nichts, richtig?", fragte er leise. Ich wich seinem Blick aus und starrte meine Tasse an, dann, nachdem ich einige Sekunden geschwiegen hatte, schüttelte ich langsam meinen Kopf. Im nächsten Moment stand Leo ruckartig auf, der Stuhl fiel um und landete mit einem Krachen auf dem Fliesenboden. Leo schnappte sich die halb volle Tasse und schmiss sie in das Spülbecken, sodass sie zerbrach und der Kaffee über das Becken hinaus schwappte und sich auf dem Boden verteilte. Während ich ungläubig der braunen Flüssigkeit zusah, wie sie über die Arbeitsplatte lief, stapfte Leo polternd aus der Küche. Ich schluckte den Kloß, der sich in meiner Kehle gebildet hatte wieder hinunter. Was hatte ich eigentlich getan, dass mein ganzes Leben gerade so aus den Fugen geriet?

Ich blieb noch einen Moment sitzen, dann schnappte ich mir die Krücken und lief zum Spülbecken. Ich nahm den gelben Schwamm und wischte über die Arbeitsplatte und den Boden. Da das Ganze mit Krücken alles andere als einfach war, dauerte es natürlich wieder eine halbe Ewigkeit. Schließlich sammelte ich die Scherben aus dem Spülbecken und warf sie in den Mülleimer.

„Scherben bringen Glück!", murmelte ich leise und sarkastisch vor mich hin ehe ich mit voller Wucht den Deckel des Mülleimers zuschlug und mich auf den Weg zurück in mein Zimmer machte.

Ich hatte die Türklinke, die mich in mein Zimmer führte schon in der Hand als mein Blick auf Leos Tür fiel. Sie war geschlossen, es war im ganzen Haus kein Geräusch zu hören. In einem kurzen Anfall von Selbstvertrauen ließ ich meine Klinke wieder los und humpelte zu Leos Tür. Sollte ich anklopfen? Nein. Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten und trat einen Schritt in das Zimmer. Es sah noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Zwar hatte ich mir Genaueres während des „Unterwäsche-Skandals" nicht ansehen können, trotzdem erkannte ich einiges wieder. Das Zimmer war groß, es verfügte über einen großen Schrank, einen Schreibtisch, einen großen Flachbildfernseher und ein übergroßes Bett, auf dem Leo mit dem Rücken zu mir saß. Im nächsten Augenblick verschlug es mir nicht nur die Sprache, plötzlich fiel mir das Atmen schwer und auch mein Herz schien für ein paar Schläge auszusetzen. Leo hatte sein Gesicht in den Händen vergraben und wenn ich jetzt nicht völlig durchdrehte und es mir nur einbildete, weinte er.



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