Kapitel 15

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Das Kapitel widme ich an Sammlerin, Sonicnight und Honigfluss3.

Jenny Pov.

Am nächsten Morgen waren meine Glieder total steif. Ich versuchte mich an den gestrigen Tag zu erinnern. Als ich nach Hause gekommen war, hatte meine Familie mich mit Tränen in den Augen empfangen. Mein Hund war an mir hochgesprungen und hatte mir erst mal das Gesicht abgeschleckt. Ich stand mit schmerzverzerrtem Gesicht auf und torkelte ins Bad. Dort stand bereits meine Schwester und machte sich fertig. Ich zog mir meine schwarze Hose an und wusch mich. Dann zog ich noch ein schwarzes T-shirt und eine schwarze Jacke an. Ja, ganz schwarz. Das gehörte sich so, wenn man auf eine Beerdigung ging. Ich schminkte mich noch und ging dann runter, um zu frühstücken. Dann ging ich noch mit dem Hund raus. Schließlich war es sieben Uhr und ich musste zum Friedhof. Meine Mutter stieg mit mir ins Auto und wir fuhren los. An einem Blumengeschäft hielten wir an und kauften eine weiße Rose. Dann ließ meine Mutter mich am Friedhof raus und fuhr davon. Schwerenherzens betrat ich den Friedhof. Ich konnte Friedhöfe nicht leiden, weil ich Schiss hatte, dass eine Seele auferstehen könnte und mich mit in ihr Grab ziehen würde. Das war verrückt, aber ich glaubte an die Auferstehung. Meine ganze Schule war bereits versammelt und wie immer kam ich zu spät. Ich seufzte und stellte mich zu meiner Klasse. Timo, Tilo und Branko standen mit ihrer Parallelklasse neben mir. Auch sie waren alle schwarz gekleidet. Vor meinen Augen standen mehrere, offene Särge. Branko beugte sich zu mir. ,, Für dich muss es besonders schwer sein.," flüsterte er. Ich nickte. ,, Wir haben viele Leute verloren." Ich lehnte mich an seine Brust und blieb so stehen, bis der Pastor rauskam. Wir sangen zuerst " Ave Maria" und dann beteten wir das Vaterunser. Dann durfte jeder von uns ein paar Worte sagen. Es dauerte fast eine Stunde, bis ich drankam. Ich trat vor und blieb mit geschlossenen Augen stehen. ,, Wandelt froh im Himmel. Ich weiß, wir werden uns bald wiedersehen. Und dann können wir für immer Zusammensein und Spaß haben.," sagte ich laut. Dann trat ich zurück und ließ die anderen vor. Branko flüsterte nur ein paar Worte, aber es lag so viel Kummer darin, dass mir eine Träne über die Wange rollte. Als alle fertig waren, durften wir unsere Rose in den Sarg legen, wo die Person drinlag, der wir sehr nah gestanden hatten. Ich bewegte mich langsam mit Mila an meiner Seite zu Annas Sarg. Ihre Augen waren geschlossen und ihr weißes Totenkleid fiel sanft über ihren Körper. Mila legte ihre Rose auf die Brust ihrer Schwester und betete. Ich sah zu dem Sarg von Raffael. Niemand stand davor. Also ging ich hin und betrachtete ihn. Nicht eine einzige Rose lag in seinem Grab, was mich bis ins Mark erschütterte. Er hatte so viel für uns getan. Er hatte sich für uns geopfert. Ich legte meine Rose auf seine Brust und legte seine Hände auf den stacheligen Stiel. Für einen Moment sah es so aus, als wenn er lächeln würde und ich weinte los. ,, Du hast uns alle gerettet. Dafür danken wir dir. Ich werde dich nie vergessen. Wenn du für andere kein Held bist, dann bist du allein meiner.," sagte ich leise. Ein warmer Atem streifte meine Wange. ,, Danke. Ich werde über dich wachen." Dann war die Stimme verschwunden und ich stand wieder ganz alleine an Raffaels Sarg. Nie wieder würde ich seine Augen funkeln sehen. Das war nun alles vorbei. Mein Herz schmerzte von dem großen Verlust. Plötzlich stand Bastian neben mir. ,, Du hast recht. Er hat uns gerettet." Ich nickte und wischte mir mit zitternder Hand eine Träne weg. Bastian legte seine Rose neben meine und fing an, leise zu beten. Ich sah überrascht auf, als Maxi, Jan, Finja, Sonja, Samuel, Markus und Timo ihre Rosen ebenfalls auf Raffael legten. Timo legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mich traurig an. Ich lächelte kurz, dann richtete ich meinen Blick aus irgendeinem Grund auf eine Kiefer. Ich traute meinen Augen nicht, als ich die gefallenen Kinder entdeckte. Ich konnte auch Raffael und Tina entdecken. Sie standen ganz vorne und winkten mir zu. Mir war es in dem Moment egal, ob ich ausgelacht werden würde. Ich winkte leicht zurück. Ich erstarrte, als das Mädchen vortrat, was ich versucht hatte, zu retten. Ich erinnerte mich an ihren Namen. Es war Sarah! Sie blieb vor mir stehen. ,, Danke, dass du es versucht hast.," flüsterte sie. Ich lächelte. Raffael stand jetzt neben ihr. Seine Geisterhand griff nach meiner. Ich schloss die Augen als er seinen Mund auf meine Wange drückte. ,, Wir werden uns wiedersehen, meine Süße.," hauchte er. Dann verschwanden die Seelen. ,, Ja.," flüsterte ich. Ich konnte immer noch nicht glauben, was ich gerade gesehen hatte. Branko stand urplötzlich neben mir. ,, Komm mit. Wir sehen noch zu, wie die Särge vergraben werden.," flüsterte er und führte mich zurück zu den anderen. Ich ging zögernd mit ihm. Die Kirchengemeinde ließ jeden Sarg schließen. Schließlich ließ ein Kran alle Särge einzeln in die Erde gleiten. Dann standen alle Särge nebeneinander in einem großen Grab. Der Grabstein würde morgen kommen. Dann wurde das Grab zugeschüttet. Ich schloss die Augen.

Am nächsten Morgen gingen Branko und ich über den Friedhof zu dem Grab unserer Schule. Der Grabstein stand bereits. ,, Hier ruhen die gefallenen Kinder, Lehrer und Jugendlichen, die beim Amoklauf am 3.6.2015 ums Leben gekommen sind.," las ich vor. Darunter waren alle Namen aufgelistet. Bei Raffaels Namen lächelte ich und berührte ihn mit der Hand. Branko legte seine Hand auf meine. ,, Es ist vorbei. Lass die Vergangenheit hinter dir.," sagte er. Ich ließ die Hand nur zögernd vom Grabstein gleiten. Meine Augen tränten bereits wieder und ich barg meinen Kopf an Brankos Hals. Seine Arme umschlossen meinen Körper und ich fühlte mich geborgen. ,, Ich kann Raffael einfach nicht vergessen.," flüsterte ich. Branko seufzte. ,, Ich auch nicht." Ich wusste, dass wir ihn nie vergessen würden. Langsam bewegten wir uns vom Grabstein weg. Ich warf einen letzten Blick auf den großen Stein. ,, Er ist ein Held. Und Helden vergisst man nie."

" Wir sollen nicht trauern, dass wir die Toten verloren haben, sondern dankbar dafür sein, dass wir sie gehabt haben, ja auch jetzt noch besitzen: denn wer heimkehrt zum Herrn, bleibt in der Gemeinschaft der Gottesfamilie und ist nur vorausgegangen. (Hieronymus 331 - 420)"

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