"... jetzt sucht euch bitte einen Partner und fangt an, das Protokoll vorzubereiten. Ich teile derweil die Blätter aus!" Auf die Worte der Lehrerin folgen heftiges Getuschel und Stühlerücken.
"Vergiss es!", knurre ich, als mein leerer Nachbarstuhl zurückgeschoben wird.
Aber Basti ist es herzlich egal.
Er knallt wohlgelaunt seine Sachen auf die Tischplatte."Na, was gibt's?", fragt er fröhlich. Ich hasse ihn einfach.
"Kannst du dir nen anderen Partner suchen?", maule ich. Basti sieht sich um:
"Alle schon besetzt!", grinst er schadenfroh. Ich schenke meinen Mitschülern einen Blick.
"Jonas ist noch frei!", bemerke ich sarkastisch.Basti starrt Jonas solange grimmig an, bis der sich abwendet und sich hastig neben Luise setzt.
Wäre diese Klasse ein Wolfsrudel, wäre Basti definitiv der Alphawolf. Seit er in der Fünften Nick, den Schulschläger aus der Zehnten verprügelt hat, besitzt er eine unsichtbare Königskrone.
Was er auch schamlos ausnutzt.Gut, ich gönne es Luise, die seit der Achten auf Jonas steht, aber dass ich dafür Basti ertragen muss, sehe ich nicht ein.
Also versuche ich ihn weitestgehend zu ignorieren und mache mich an mein Protokoll.
Aber als der praktische Teil naht, muss ich mich ins Unvermeidliche fügen.Basti hat sich glücklicherweise lange genug in seinem Sieg gesonnt, er schnappt mir mein Blatt weg und fängt an, das Geschriebene durchzulesen.
Wütend stoße ich ihm gegen den Kopf:
"Gibs zurück!", fauche ich. Basti schüttelt grinsend den Kopf.
"Du hast Natriumcarbonat falsch geschrieben!"
Dieser kleinkarierte...!!!
Wütend stehe ich auf und gehe nach hinten zu den Schränken.Meine geliebten Mitschüler
hatten sich schon modebewusst die am wenigsten durchlöcherten oder befleckten Kittel umgehängt, sodass ich mich mit einem Stofffetzen zufriedengeben darf, der mir bis zu den Ellenbogen geht, und ganze zweieinhalb Knöpfe besitzt.Nach kurzem Überlegen gehe ich zu meinem Platz zurück, ohne Basti einen Kittel mitzubringen. Soll er sich selber kümmern, dieser Besserwisser!
Mit stolzgeschwellter Brust laufe ich zurück zu meinem Stammplatz, der jede Stunde wechselte.Basti sitzt immernoch auf dem heiligen Stuhl des Ronald (es ist meine Sache, ob ich meinem Rucksack einen Namen gebe) und tippt auf seinem Blatt herum... mit einem blütenweißem Kittel über dem Stuhl.
MEINEM Stuhl!Ich nehme das Kleidungsstück von der Lehne und werfe sie ihm über den Kopf:
"Behalt deine Sachen bei dir!"Seelenruhig zieht er es sich von seinem Kopf und reicht es mir.
Was will er damit? Soll ich es waschen?
"Ist für dich!" Welch weise Worte!
Damit ich das als Kissen verwenden kann?
Ich starre erst den Kittel an, dann Basti, den Kittel, dann Basti, Kittel, Basti, Kittel, Basti...
"Zieh das Teil an! Wie ich dich kenne, kippst du dir wahrscheinlich die Salzsäure über und dann solls nicht so schlimm werden!"
Wie ich diesen übertriebenen Hohlkopf hasse!Ich schnappe mir wütend den Kittel und ziehe ihn über.
Nur weil er noch sauber ist! Bastis Argument ist fern jeglicher Realität. Ich habe mir bis jetzt noch nie Salzsäure übergekippt!Brennendes Magnesium ja, vielleicht auch ein oder zweimal kochendes Wasser, aber welche Person ist denn so blöd und kippt sich Salzsäure über?
Ich fange an, die nötigen Chemikalien einzusammeln. Ich glaube, keiner von uns hat jemals das gelesen, was auf den Etiketten steht. Es ist sowieso alles gleich: weiß, fest, körnig. So wie Puderzucker.
Vielleicht ist es Puderzucker. Es passiert nichts Schlimmes und die Schule spart Geld. Eine sinnvolle Investition.Bei den Flüssigkeiten ist es schwieriger. Die sehen zwar auch alle gleich aus, aber dank der Horrorgeschichten unseres über alles geliebten Chemieleerkörpers achte ich immer sehr darauf, dass die Flasche, die ich nehme, auch dicht ist.
Es ist ein unangenehmes Gefühl, wenn du eine Flasche, in der sich hochgefährliche Flüssigkeit befinden soll, hältst und auf einmal tropft es auf deine Haut.
Wiederlich!
Nachdem ich meinen diesmaligen Favoriten zurück an meinen Platz getragen habe, fange ich an, einen Cocktail zu mischen.Ich versuche, die Barkeeper aus den Filmen nachzuahmen, die diese komischen Thermosdinger kunstvoll durch die Luft schleudern, bevor sie die Flüssigkeit in die dazu vorgesehenen Gläser schütten.
Das ist zwar vollkommen überflüssig, aber es sieht verdammt cool aus.Also fuchtel ich mit den Reagenzgläsern herum und werfe eins von einer Hand in die Andere. Basti steht daneben und sieht zu.
Ja, da guckste, was?
So eine Elleganz haste noch nie gesehen!Aber dieser ignorante Barbar dreht sich mit meinem Blatt in der Hand zu dem Nachbarstisch und sucht Hilfe beim Dechiffrieren meines Protokolls.
Ich weiß sofort, an welcher Stelle er gerade ist. Da hatte ich keine Lust, weiterzuschreiben und habe einfach etwas hingekritzelt.Ich löse den Stopfen vom Reagenzglas und ziehe mir fachmännisch meine Brille über. Die Brillen sind das einzig Beständige in diesem Unterricht!
Sie sind groß, hässlich und mit Nokiahandys vergleichbar.
Einfach nicht kaputt zu kriegen.Ich setze sie nur auf, weil sie dem Träger eine gewisses nerdiges Etwas verleihen und ein paar Gramm Intelligenz mehr vorgaukeln. Was bei den meisten in meiner Klasse schon ein echter Vorschritt ist!
Ich schnappe mir das Puder aus dem einen Kunststoffbehälter, hole tief Luft und kippe es schwungvoll in das Glas.
Als nächstes erfolgt eine lautstarke Explosion und ich finde mich auf dem Schoss meiner Hinterfrau Stephanie wieder.Nicht dass ich etwas gegen sie hätte, ich finde sie sogar ziemlich hübsch, aber das ist doch schon etwas zu aufdringlich von ihr.
Als nächstes nehme ich einen beißenden Geruch wahr, die Begleiterscheinung zu unserer Lehrerin, die sich durch die gaffende Menge drängelte.
Ich wusste doch, sie kam aus der Hölle!"Können Sie mich hören?", brüllt sie mir ins Ohr.
Also jetzt definitiv nicht mehr. Die Abgesandte Satans ruft in die Klasse, dass doch mal jemand den Notarzt verständigen solle.Übrigens ist diese Dame der Grund, warum ich mich bisher noch nicht selbst getötet habe. Wenn es stimmt, dass Selbstmörder in die Hölle kommen, werde ich ihr auf jeden Fall wieder begegnen! Und das ist es nicht wert! Wirklich nicht.
Plötzlich beugt Basti sich über mich und zieht mich vorsichtig von Stephanie weg.
Erst jetzt erkenne ich, dass ich anscheinend nach hinten über den Tisch geflogen bin und dass es möglicherweise meine Schuld ist, dass ich auf Stephanies Hose gelangt bin.
So leid es mir für sie tut, ich muss sie unbedingt darauf hinweisen, dass das alles ein Versehen war.Also suche ich ihren Blickkontakt und krächtze:
"Du bist echt cool, aber einfach nicht mein Typ!"
Stephanie runzelt die Stirn und sieht mich perplex an.
Shit, ich muss deutlicher werden.
Ich hasse es, anderen das Herz zu brechen!"Ich steh auf Männer!", wispere ich ihr zu. Ihr Blick wandert suchend zu Basti. Wie blöd kann man eigentlich sein??
"Doch nicht auf den!", knurre ich augenrollend.Basti hinter mir seufzt und hält mir den Mund zu.
Stephanie drückt mir tapfer die Hand und lächelt mir zu:
"Du schaffst das!", redet sie auf mich ein.Ich schaffe was?
Ein Blick Richtung Füße erklärt mir so einiges.
Der neue Kittel von Basti ist mit Brandflecken übersät. Einige glühende Löcher kann ich auch entdecken. Außersem ist der linke Ärmel rot. Und ich hätte schwören können, dass der Kittel vorher noch weiß war."Kannst du aufstehen?", fragt mich die Augenweide des Kuhdungs wieder etwas. Nur um sie zu ärgern schnappe ich nach Luft wie ein Fisch.
Basti greift mir vorsichtig in die Arme und zieht mich vorsichtig hoch.Ich bleibe unsicher auf wackligen Füßen stehen und blinzele zu des Teufels Großmutter hinüber:
"Also das Experiment hat doch funktioniert. Reicht das für 15 Punkte?"
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Das Suizid-Dilemma
Teen Fiction"Wenn ich ins Gras beiße, will ich einen möglichst großen Abgang haben, mit Pauken und Trompeten. Am Besten ein ganzes Orchester! Niemand wird es nachvollziehen können, wenn ich mich einfach von der Brücke stürze!" Vera will sterben. So schnell wie...