8. Party

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Ich bringe ihn um! Irgendwann bringe ich Basti um!
Es ist erträglich, dass er mich ständig stalkt, in meiner Nähe ist, sobald ich alleine bin (er hat deswegen sogar mal ein Date sausen lassen, dieser Vollidiot!) oder dass er mir ständig in die Quere kommt, mit seiner Vorsicht und seinem großen Ziel, mich am Leben zu erhalten.

Aber dass er sich in meinem ganz besonderen Tag, der nur mir gehören sollte, einmischt, dass ist definitiv zuviel!

"Jetzt beruhig dich doch!", der Verräter steht neben mir und betrachtet den ganzen Zirkus gelassen.
"Es ist nur eine Geburtstagsparty! Du kriegst noch nicht einmal Geschenke!"
Ich fahre zu ihm herum und fauche ihm an:
"Das ist aber so ziemlich das Erste, was zum Geburtstag gehört!"

"Also willst du Geschenke?", grinst Basti.
"Ich will, dass deine verdammten Freunde ihre flachen Hintern aus meinem Haus bewegen!", zische ich.
Der Hundesohn seufzt und drückt mir einen Plastikbecher in die Hand.

"Auf drei!", meint er.
Findet er das witzig?
Abgesehen davon, dass ich dachte, ich würde endlich meine Ruhe vor den ganzen verdammten Gratulationen haben und mich zu Hause eine noch grausamere Überraschung erwartet hat: denkt er wirklich, er könnte mich beim Wetttrinken besiegen?

Ich lege meinen Kopf in den Nacken und leere den Becher in einem Zug. Das Gebräu da drinnen ist hart, aber gut.
Trotzdem halte ich Basti auf, als er nachschenken will.

"Ich weiß, was du vorhast!", sage ich bitter. Ich bin nicht gerade der beste Menschenkenner (ansonsten wäre ich wohl kaum auf den 'Kannst du mal noch schnell bei mir zuhause vorbeigehen, ich habe meine Schlüssel vergessen'-Trick reingefallen, aber ich weiß, wann mich jemand abfüllen will!

"Ach komm! Du solltest deine Volljährigkeit feiern!", versucht Basti seine Überredungskünste.
"Ja, aber nur allein, ohne irgendwelche wildfremden Leute in meinem Haus und mit den ersten drei Staffeln von 'The Walking Dead'!"

Mein bester Idiot seufzt nur und strich sich durch die Haare.
"Komm, nur dieses Mal! Für mich!" Er sieht mich mit Dackelblick an.
"Ich dachte, ich könnte heute abend bestimmen!" Verbittert schiebe ich mich an ihm vorbei und nahm währenddessen die Flasche mit.

Ich setze mich verdrossen auf das Fensterbrett und starre nach draußen.
Vielleicht soll ich weniger über Alkohol erzählen oder den Konsum davon. Aber sein wir ehrlich: Wenn man achtzehn wird, hat man nichts anderes im Kopf.

Draußen ist es schon dunkel geworden, bei der Jahreszeit auch kein Wunder. Der Schnee fällt in dicken Flocken vom Himmel und segelt spiralentreibend auf den Boden, wo er sich elegant niederlegt.
Es muss schon eine ganze Weile geschneit haben, denn der Maschendrahtzaun des Kaninchenstalls vom Nachbarn bricht plötzlich unter dem Gewicht zusammen.

Meine Gedanken schweifen zurück in meine Kindheit an den einprägsamen Abend, an dem ich mich keine hundert Meter von hier an einem Hang im Schnee vergrub, mit dem festen Beschluß, dort zu erfrieren.
Ich halte es immer für die leichteste Methode, um ins Gras oder in diesem Fall in den Schnee zu beißen.

Ich erwachte am nächsten Morgen klatschnass und schweißüberströmt, weil Mutter Natur unbedingt gerade jetzt ein starkes Tauwetter schicken musste. Außerdem war die Schicht an T-Shirts und Pullovern, die meine Mutter mir angezogen hatte, auch nicht gerade förderlich gewesen.

Aber momentan habe ich Besseres zu tun, als in Erinnerungen zu schwelgen. Ich muss meine eigene Party zerstören! Was um einiges härter ist, wenn man bedenkt, dass ich vielleicht drei von den fünfzehn Leuten schon einmal gesehen habe.

Also müssen die als Erstes weg!

Ich schlendere harmlos hinüber zu Luise und lege ihr freundschaftlich den Arm um die Schulter:
"Wie gehts dir?", frage ich notgedrungen, weil mir kein besserer Satz einfällt. Ja, ich bin sozial nicht auf dem neusten Stand. Ich sage immer noch Wörter wie 'fesch' oder 'dufte' und begrüße jeden Erwachsenen, der einen guten Eindruck macht, mit einem angedeutetem Knicks. Ich kann ohne Serviette nicht essen und benutze niemals, niemals Ketten wie Burger King oder McDonalds.

"Alles Gute zum Geburtstag!", strahlend umarmt mich Luise und überreicht mir ein kleines Päckchen.
Ich starre es an und huste verlegen ein "Danke".
Nach dieser netten Geste muss ich mir etwas anderes einfallen lassen, außer sie 'aus Versehen' im Keller einzusperren.

"Ich mach es sofort auf!", verspreche ich und stecke es in die Hosentasche.
"Macht nichts!", murmelt Luise. War sie etwa leicht angetrunken? Halleluja!
"Guck mal, wie schön es draußen ist!", begeistert zeige ich aus dem Fenster. Luise legt den Kopf schief. "Ja, sehr schön!"
"Komm, wir gucken uns das mal an!"

Ich drehe meinen Kopf und erblicke ein anderes halbwegs bekanntes Gesicht.
"Jonas!", rufe ich in meinem verführerischsten Ton durch den Raum.
Der Genannte sieht sich um, findet mich, lächelt und kommz direkt auf mich zu.

"Happy Birthday!", begrüßt er mich und umarmt mich ebenfalls. Was hat die heutige Generation nur mit dem Umarmen? Ich würde höchstens meinen Hund umarmen, wenn ich einen hätte. Auch Jonas drückt mir ein verpacktes Geschenk in die Hand und meine Augen leuchten verstohlen auf. Eine Tafel Schokolade!

"Willst du mit Luise rausgehen?", frage ich, nachdem ich mich artig bedankt habe. "Ich muss schnell für kleine Geburtstagskinder!"
Luise wird rot.
Glaube ich, vielleicht ist es einfach nur das Licht.
"Wir können auf dich warten!", schlägt sie vor.

"Ach was!", ich schleife beide zum Eingang und schleudere sie förmlich raus.
"Aber macht nichts, was ich nicht auch machen würde!", rufe ich ihnen zu, bevor ich die Tür zuschlage. Möglicherweise wäre der Satz besser gewesen, käme er nicht von einem lebensmüden, suizidgefährdeten Soziopathen.

"Zwei weg, bleiben noch dreizehn!", murmle ich und marschiere wieder zurück.
Etwas, was eine Party auf jeden Fall ruiniert, ist ein plötzlicher Stromausfall.

Zwei Stunden, drei Stromausfälle (weil jemand von ihnen Elektrotechniker war, den ich erst abfüllen musste), sieben Unfälle, in denen ich den Inhalt meines Plastikbechers auf die Oberteile anderer Leute vergoss ("Oh, tut mir furchtbar leid, musst du jetzt nach Hause, dich umziehen?") und acht in den Ausguss entleerte hochprozentige Getränke ("Sorry Leute, der Alkohol ist alle!") später bin ich hoffentlich endlich alleine.
Ich habe nicht einmal den Keller verwenden müssen, was irgendwie schade war.

Seufzend beginne ich notdürftig aufzuräumen, bis ich aus meinem Zimmer ein Geräusch höre.
Böses ahnend gehe ich nach oben. Wenn sich jetzt zwei in meinem Bett verlustigten, die Tiefkühltruhe hätten wir da auch noch!

Aber dem ist nicht so.
Basti liegt frisch geduscht und einsam auf meinem Bett und lächelt, als ich mit dem Blick einer Wildsau, der man ihre Bucheckern geklaut hatte, in der Tür stehe.
"Hab dein Shampoo benutzt!", grinst er mich an und winkt mich näher.
Wie gütig.

"Wie du gesagt hast!", er weist auf dein kleinen Plasmabildschirm, der gegenüber von meinem Bett stand. "Die ersten drei Staffel von 'The Walking Dead' und..." er zieht zwei undurchsichtige Feldflaschen hervor. "...eine Menge Alkohol!"

Jonas' Geschenk aufmachend krabbel ich zu ihm hinüber und lehne mich an ihn.
"Alles, alles Liebe zu deinem achtzehnten Geburtstag und danke, dass du noch lebst!", flüstert mein Trottel mir zu und küsst mich auf die Wange.

Ich hebe warnend den Finger:
"Ruiniere es jetzt nicht mit der Tatsache, dass ich immenoch nicht in Wallhalla bin!"
Basti grinst wieder und schaltet die erste Folge ein.

"Ist es eigentlich dein Verdienst, das Jonas und Luise draußen rummachen?", fragt er plötzlich, gerade als Rick der Alten das Fahrrad geklaut hat.
Ich fahre hoch: "In meinem Garten?!"
Als ich hinausstürmen will, um die beiden Schätzelchen kurzum in den Keller zu verbannen, hält Basti mich zurück.

"Auf der Straße!", beruhigt er mich und zieht mich wieder auf das Bett.
"Glück gehabt!", murmle ich.
Idiot fängt daraufhin so laut an zu lachen, dass ich ihn mit Schokolade den Mund verstopfe.
"Klappe, es wird endlich spannend!"

Das Suizid-DilemmaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt