Kapitel 18

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"Wart ihr bereits auf dem Ball von Lord Brompton?", erkundigte sich der Graf plötzlich und ich bildete mir ein, so etwas wie Unsicherheit in seiner Stimme zu hören.

Natürlich, es war so geplant gewesen, dass ich dort sterben sollte. Tja, zu früh gefreut, mein Lieber! Falls wir ihm nun allerdings die Wahrheit sagten, würde er mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit misstrauisch werden.

„Nein, es gab einen . . . Zwischenfall. Den Ballbesuch werden wir noch einige Tage nach hinten schieben müssen, obwohl ich mich natürlich schon auf die Gesangkünste der lieben Lady Lavinia freue", sagte Gideon mit einem überzeugenden Lächeln.

Bah! Wenn ich nur an diese eingebildete Schnepfe dachte, sah ich rot. Einzig der Umstand, dass sie in meiner Zeit längst tot war, beruhigte mich etwas.

„Wie schade!", rief der Graf aus, klang aber auf jeden Fall erleichtert.

Ja, ja, denk nur weiter, dass dein blöder Plan aufgeht, das kannst du vergessen!, dachte ich und rief mich sofort wieder zur Ordnung. Hatte ich mir derlei Gedanken nicht untersagt?

„Um Euch alles erklären zu können, muss ich ein bisschen weiter ausholen", gab Gideon zurück.

Der Graf nickte und deutete auf das Sofa. „Nehmt bitte Platz. Es wird vermutlich ein wenig eng sein, aber das Sitzen ist dem Stehen doch eindeutig vorzuziehen, nicht?", sagte er mit einem Augenzwinkern.

Elizabeth ließ sich das nicht zweimal sagen und setzte sich schnell auf das rot geblümte Polster. Sie schien sich in der Nähe des Grafen nicht besonders wohlzufühlen, was ich durchaus nachvollziehen konnte. Auch Gideon kam der Aufforderung nach und ließ sich auf der anderen Seite nieder. Beide rückten an den Rand, um mir Platz zu machen und Elizabeth klopfte mit der Hand auf die freie Stelle neben sich, was den Grafen dazu brachte, eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen.

Sicher, für eine Lady des 18. Jahrhunderts gehörte sich das bestimmt nicht. Mein Verhaltenstraining bei Giordano kam mir inzwischen ewig weit entfernt vor, doch ich würde jetzt wohl noch einmal darauf zurückgreifen müssen.

Möglichst elegant schritt ich zu dem Zweisitzer hinüber und setzte mich so würdevoll wie nur möglich in die schmale Lücke zwischen den beiden. Dabei war mir überdeutlich bewusst, dass ich Gideon mit der gesamten Seite meines Körpers berührte und mein Puls schnellte unweigerlich in die Höhe. Seine Schulter schien meinem Kopf geradezu zuzuschreien: Lehn dich bei mir an, lehn dich bei mir an!

Doch ich blieb standhaft.

Ich bemerkte, wie Gideon sich ein Stückchen von mir weg lehnte. Vielleicht schrien meine Körperteile ihm ja auch irgendetwas zu, wer wusste das schon?

Der Graf zog sich den Stuhl, der hinter seinem Schreibtisch stand, herbei und ließ sich gegenüber von uns darauf nieder.

„Das hier ist Elizabeth Carter aus Amerika. Sie ist Mitglied der New Yorker Zeitreiseloge. Wir haben sie gestern erst kennengelernt", log Gideon sehr überzeugend.

Kurz huschte ein Schatten über das Gesicht des Grafen, doch er hatte sich schnell wieder gefangen.

„So, ihr habt also von der anderen Loge erfahren." Er schien zu überlegen.

„Welche Position nimmst du in deiner Loge ein, mein Kind?", fragte er Elizabeth.

„Von den anderen Logen, in der Mehrzahl", korrigierte Gideon. „Von der in Australien wissen wir auch."

Der Graf nickte und ich meinte kurz, einen missbilligenden Ausdruck in seinen Augen zu sehen.

„Also?" Er klang ein wenig niedergeschlagen.

ObsidianschwarzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt