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Miriam war heute Morgen zum Flughafen aufgebrochen, was bedeutete, dass ich jetzt auf mich allein gestellt war.
IG stand in der Küche, kochte, wie jeden Morgen, meinen geliebten Cappuccino und überlegte, was man machen könnte, wenn man allein Zuhause war
Meine Hündin Cira tapste lautstark über den Boden und setzte sich neben mich. Ich spürte sie an meinem rechten Bein und bückte mich hinunter, um sie hinter den Ohren zu kraulen.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich musste nach draußen, Cira brauchte, wie jeder andere Hund auch, Bewegung.
Ich seufzte tief und bereute es, nie mit irgendwem die Wege draußen abgegangen zu sein, denn es bedeutete, dass ich jetzt auf meinen Blindenstock angewiesen war. Cira half mir zwar bei Ampeln, Straßen und Löchern im Boden, aber nicht bei Stufen, Hausecken oder ähnlichem.
Schluck für Schluck trank ich mein koffeinhaltiges Getränk und versuchte mir währenddessen etwas Mut zuzureden. Ich kannte hier nicht eine einzige Person, die mir in meiner Lage helfen konnte. Ich hatte nichtmal Freunde hier in der Nähe, sie waren alle an meinem letzten Wohnort zurückgeblieben und Neue zu finden war für mich natürlich auch nicht so einfach. Ich ging immerhin nicht feiern, kaum auf die Straße, selten Einkaufen, eigentlich alle Orte oder Tätigkeiten, wo man auf fremde Menschen traf versuchte ich weitest gehend zu vermeiden. Bisher ist mir das auch sehr gut gelungen, ich hatte zwar vier, fünf richtig gute Freunde, aber neu kennenlernen? So gut, wie unmöglich.

Ich tastete mich bis zur Wohnungstür, vollkommen angezogen, mit Hund und Stock bewaffnet, drückte ich die Klinke nach unten und atmete einmal tief durch.
Dann trat ich in den Hausflur. Unsere Wohnung lag, soweit ich das verstanden hatte im untersten Stockwerk, demnach musste ich nur eine Treppe nach unten und müsste theoretisch gesehen die Haustür erreichen.
Langsam tastete ich mich vorwärts, bis ich eine recht kühle Türklinke erfassen könnte, die ich auch im nächsten Moment nach unten drückte.
Kühle Herbstluft strömte mir entgegen, vermischt mit dem Geruch der Autoabgase ergab das ein typisches Großstadt-Feeling, wie ich fand.
Langsam, mich Stück für Stück vorantastend ging ich auf dem Bürgersteig entlang und musste mich dabei vollkommen auf meine Hündin und meine jahrelange Erfahrung als Blinde verlassen. Cira brachte mich sicher über eine Straße, sodass wir nach einer gefühlten Ewigkeit auf Wiese unter meinen Schuhen trafen. Ganz leise konnte ich auch Wasserplätschern vernehmen, weshalb ich darauf schließen konnte, dass wir am Rhein angelangt waren.
Ich entschied mich nach einer Bank zu suchen, wofür ih gar nicht so lang brauchte, wie erwartet, denn diese schienen hier überall herum zu stehen.
Seufzend ließ ich mich darauf nieder, leinte meine Hündin ab, um ihr wirklich Bewegung zu gewährleisten und lehnte mich entspannt zurück.
Frische Luft tat meinem Geist wirklich gut und solange ich die Augen geschlossen hielt, dachte ich wirklich, dass die Welt nicht schöner sein könnte. Erst, als ich sie wieder öffnete wurde mir bewusst, dass es keinen Sinn hatte sich ein Leben zu erträumen, immerhin konnte ich nichts sehen und sich die Welt bildhaft vorzustellen, überstieg meine Fantasie bei weitem.
"Cira, hierher!", rief ich laut und spürte kurz darauf das weiche Fell meines Hundes an meiner linken Hand. Gewissenhaft befestigte ich mein Gestell wieder an ihren Geschirr und strich ihr nochmals liebevoll über den Kopf. Ich konnte mir nichtmal vorstellen, wie es aussah, ich konnte nur wissen, wie es sich anfühlte. Ich hatte keine Ahnung, ob sie schwarz, braun, weiß oder gefleckt war, welche Augenfarbe sie hatte oder irgendwelche anderen Merkmale. Das Einzige für mich wirklich zählende war ihr unglaublich lieber Charakter, sie war einfach immer für mich da.
Ich erhob mich von der Bank, nahm meinen Blindenstock in die linke Hand und tastete mich langsam den Weg wieder zurück.
Vor der Haustür suchte ich meinen Schlüssel in der Jackentasche, wollte ihn gerade heraus holen, als er mir aus der Hand fiel. Ich bückte mich, doch wenn man nichts sehen konnte, wie sollte man dann etwas Verlorenes je wieder finden.
"Warte. Ich helfe dir.", erklang da eine tiefe Stimme hinter mir und im nächsten Moment spürte ich, wie sich jemand neben mich hockte, hörte dann ein metallisches Klirren und hielt meinen Schlüssel wieder in der Hand. "Eh Danke.", meinte ich unsicher und suchte das Schlüsselloch, als mir mein fremder Helfer den gerade erhaltenen Schlüssel aus der Hand nahm und an meiner Stelle die Haustür auf schloss. "Eh Danke.", machte ich wieder und trat in die Hausflur, wo ich kurz stehen blieb, um mich zu orientieren und dann auf meine Tür zuging.
Als ich davorstand, fiel mir ein, dass der nette Fremde meinen Schlüssel noch in seiner Hand hielt, weshalb ich mich dorthin umdrehte, wo ich ihn vermutete und mich räusperte. "Es wäre nett, wenn ich meinen Schlüssel wieder bekommen könnte."
Ich hörte Schritte, spürte ihn dann wieder mir gegenüber und hatte kurz darauf meinen Schlüssel wieder in der Hand.
"Danke, dass du mir geholfen hast.", meinte ich ein weiteres Mal und lächelte freundlich. "Kein Problem. Sollte doch wohl selbstverständlich sein.", antwortete mein Helfer mir.
Plötzlich hörten wir es oben laut rumpeln. Ich zuckte erschrocken zusammen.

Blind ● Taddl (Reupload) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt