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Wir stiegen aus dem Auto und sofort wurde ich von einer großen, männlichen Person in eine feste Umarmung gezogen. "Peter!", meinte ich freudig und umfing ihn ebenfalls mit meinen Armen. "Na Cousinchen? Alles klar?", lachte er mit seiner freundlichen Art und ließ mich los, als sich eine Frau mit beachtlicher Oberweite zu mir nah vorn drängte. "Clarisse!", rief sie überschwänglich aus und ließ mich in ihrem Busen verschwinden. "Hallo Tante Gerda.", antwortete ich sofort und machte mich auf weitere Umarmungen gefasst, aber bis auf die meiner Oma blieben sie aus. Mein Onkel war ein griesgrämiger Mensch, der sich sowieso nicht dazu herablassen würde und der Rest meiner Familie war so weit entfernt mit mir verwandt, dass sie nichtmal meinen Namen kannten.
Diesmal nahm ich dankbar den Arm meines Cousins und ließ mich von ihm begleiten, wollte nicht wie eine Behinderte mit dem Stock in der Gegend herum fuchteln.
"Und? Wie ist so in der Wohnung?", fragte er leise. "Wunderbar. Die Nachbarn sind auch echt cool.", antwortete ich ihm ebenso leise und setzte mich auf den Stuhl, den er höflicherweise zurück gezogen hatte. Peter setzte sich neben mich, worüber ich unheimlich froh war. So konnte man sich wenigstens noch normal unterhalten. "Klingt, als hättest du jemanden kennengelernt." "Kann sein.", lachte ich. "Wer ist es?" Er klang neugierig. "Er heißt Taddl, hilfsbereit, nett, Mama mag ihn nicht." Jetzt lachte er auf seine ganz eigene Art. Ein unheimlich schönes, ehrliches Geräusch. Ich mochte diesen Menschen so gerne. "Deine Mutter mag sowieso niemanden, der dir zu nahe kommt.", behauptete er, nachdem er sich beruhigt hatte. "Alles klar."
"Clarisse, was möchtest du trinken?", fragte meine Mutter von weiter vorne am Tisch. "Mineralwasser!", rief ich laut zurück, ohne lange zu überlegen. "Kein Alkohol?", fragte Peter mit einem Grinsen in der Stimme. "Hast du wirklich Lust eine betrunkene Blinde nach Hause zu begleiten?", konterte ich sofort und schlug ihm auf den Arm. "Nein, keinesfalls." "Was macht dein Studium eigentlich?" "Abgebrochen." "Wieso?", fragte ich ungläubig. Peter hatte bereits in der Grundschule vorgehabt Theologie zu studieren. "Theologie ist doch nicht das richtige für mich. Irgendwie war das Ganze extrem langweilig." Jetzt musste ich lachen, woraufhin er mich anstupste und mir zuflüsterte, dass wir ganz schön viel Aufmerksamkeit auf uns zogen. Ich grinste nur etwas blöd und verschränkte die Arme vor der Brust. "Na und?" "Ich wollte es dir nur sagen." "Danke.", meinte ich ziemlich unbeeindruckt. "Und bei dir? Studium? Lehre?" "Bisher nichts Konkretes geplant. Ich würde gerne studieren, aber nunja...man kann nunmal nicht alles haben." Er lachte, diesmal nicht offenherzig, sondern ungläubig. "Das glaubst du doch selbst nicht. Es gibt heutzutage so viele Möglichkeiten...", er verstummte, als er meinen entgeisterten Gesichtsausdruck bemerkte. "Natürlich gibt es die, aber trotzdem..." uns gingen langsam die Gesprächsthemen aus, weshalb ich mich letztendlich doch dazu entschied, ein helles Weizen zu bestellen. "Also doch Alkohol?", fragte Peter daraufhin und das Grinsen war zu eindeutig zu hören. "Du machst dich lustig über mich." "Würde ich niemals wagen, Cousinchen.", behauptete er unschuldig. "Ich muss auf Toilette." "Ich soll dich jetzt dahin begleiten?", fragte er ein wenig ungläubig. "Nur bis zur Tür. Bitte." "Na los."
Wir standen beide gleichzeitig auf, ich fasste wieder seinen Arm und ließ mich von ihm sicher durch das Lokal bis hin zur Toilette führen. "Da drin kommst du alleine klar?", fragte er belustigt und löste meine Hand von seinem Arm. Ich tastete mich vorwärts, mit der Hand fuhr ich an der Wand entlang, bis ich eine weiße Plastiktür spürte. Vorsichtig versuchte ich sie aufzudrücken und siehe da, es funktionierte.
Als ich fertig war, wusch ich mir gründlich die Hände und tastete mich die vorhin gezählten 13 Schritte zurück bis zur Tür, vor der Peter glücklicherweise wartete. "Na wenigstens brauchst du nicht so ewig, wie so manch andere weibliche Begleitung.", begrüßte er mich ironisch und geleitete mich zurück zu unserem Tisch, an dem bereits das Essen angekommen war. Alle Gespräche verstummten, als wir gemeinsam zu unseren Stühlen traten und uns wieder setzten. "Was haben die alle?", flüsterte ich leise in Peters Richtung, der nur spürbar mit den Schultern zuckte und meine Hand in seine nahm. "Mach dir keinen Kopf.", raunte er mir zu und besah sich dann sein Essen, glaubte ich jedenfalls. "Muss ich dir dein Essen jetzt beschreiben?" "Ist doch egal, wie es aussieht. Hauptsache es schmeckt.", gab ich lachend zurück und schob mir ein Stück Kartoffel in den Mund. "Stimmt auch wieder."
Den Rest des Abendessens schwiegen wir entspannt, hörten den Tischgesprächen zu und lachten leise, sobald irgendetwas Blödes kam. Ab und zu unterbrach er unser Schweigen, um mir zuzuflüstern, was gerade abging, wenn es nicht aus den Unterhaltungen hervor ging.
"Wie spät ist es?", fragte ich, nachdem der Kellner mir meinen Teller abgenommen hatte. "19.30 Uhr.", informierte er mich, "Weshalb?" "Ich kann mir die Zeit schlecht vorstellen.", meinte ich nur und legte meinen Kopf auf die Arme, "Außerdem bin ich müde." Ein Gähnen bahnte sich an, doch schaffte ich es geradeso zu unterdrücken. "Soll ich dich zu deinen Eltern fahren? Oder gleich zurück in die Wohnung?" "Das würdest du tun?", frage ich hoffnungsvoll. "Ich muss sowieso nach Aachen. Da kann ich dich auch in Köln absetzen.", meinte er nur und wandte sich dann kurz an seinen Sitznachbarn, den er darum bat, meine Mutter zu fragen, wie meine Adresse lautete.
"Alles klar. Dann mal los."

Blind ● Taddl (Reupload) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt