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"Was war das?", fragte ich unsicher und blickte mich wild in meiner Dunkelheit um.
"Ich hoffe nichts Schlimmes.", antwortete mir die tiefe Stimme meines Helfers, während er sich scheinbar umsah, wie ich seinen schleifenden Schritten zu entnehmen wusste. "Ich werde nach sehen. Vielleicht trifft man sich ja mal wieder.", fügte er dann freundlich hinzu, berührte mich kurz an der Schulter und entfernte sich daraufhin von mir. Ich seufzte, fummelte den Schlüssel ins Loch und sperrte die Tür auf, als mir etwas einfiel. "Warte!", rief ich ihm noch hinterher. "Bin noch hier." "Wie heißt du?" "Thaddeus, aber du kannst mich gerne Taddl nennen.", antwortete er mit dieser tollen Stimme, ehe sich seine Schritte entfernten.
Er hatte zwar nicht nach meinem Namen gefragt, aber wenigstens wusste ich seinen, was einen Fortschritt für mich darstellte.
Seufzend betrat ich meine leere Wohnung, nahm meiner Hündin ihr Geschirr ab und zog mich aus. Die Heizung schien ausgeschaltet zu sein, denn es war extrem kalt hier.
Das Telefon klingelte und erschreckte mich beinahe zu Tode. Mit klopfendem Herzen versuchte ich das Ding schnell zu erreichen, stieß dabei allerdings meine leere Kaffeetasse von heute morgen vom Sofatisch und stieß mir auch ziemlich schmerzhaft den Fuß an der Kante unseres Sessels. Warum steht sowas auch immer mitten im Raum?
Geradenoch rechtzeitig erreichte ich die Kommode und konnte den Anruf entgegen nehmen.
"Clarimaus!", schallte es aus dem Hörer, woraufhin sich sofort ein Lächeln auf mein Gesicht schlich. "Hi Mama.", begrüßte ich sie ebenso fröhlich, während ich mich, diesmal langsamer, auf den Rückweg zum Sofa machte. "Alles gut bei euch?" "Ja, alles im grünen Bereich. Ich war heute am Rhein, mit Cira spazieren.", erzählte ich ihr begeistert und fiel auf das Sofa, weil ich nicht damit gerechnet hatte, es so schnell zu erreichen. "War Miriam dabei?" "Nein, sie ist heute morgen für zwei Tage nach Paris aufgebrochen." Ich hörte sie entsetzt einatmen. "Ich sollte sofort zu dir kommen!", rief sie dann aus. "Nein Mama, ich komme schon klar. Ich habe es doch heute auch geschafft." Thaddeus ließ ich kurzerhand einfach aus, würde sie nur zu sehr beunruhigen. "Trotzdem, Schatz. Was ist, wenn du stürzt und dir eine Verletzung zu ziehst?" "Mama, es wird alles gut werden.", versicherte ich ihr, als es klingelte.
Ich stand auf und tastete mich langsam bis zur Haustür, versuchte dabei meiner Mutter die Idee auszureden, dass sie mich jetzt besuchen kommen müsste. "Mama, warte kurz. Ich muss schnell mal die Türe öffnen." "Nein!", schrie sie hysterisch, "Was ist, wenn es ein Einbrecher ist?" "Mama.", söhne ich frustriert.
Ich öffnete die Haustür, trotz der Warnung meiner Mutter und hielt dabei das Mikrofon zu, um zu vermeiden, dass sie irgendetwas mitbekam. "Eh...entschuldige, dass ich vorhin so schnell abgehauen bin.", fing sofort die tiefe Stimme von vorhin an zu sprechen.
"Kein Problem.", versicherte ich, plötzlich nervös, "Ich muss nur mal schnell meine Mutter abwimmeln." Ich vernahm ein leises Glucksen. "Komm doch schonmal rein.", bot ich lächelnd an und hörte, wie er die Tür hinter sich ins Schloss zog.
"Mama?", fragte ich. "Clari! Oh Gott! Ich habe mir Sorgen gemacht.", rief sie immer noch zu laut und hysterisch. "Alles gut. Es war nur jemand den ich heute kennengelernt habe. Du merkst also, es ist alles in Ordnung." "Aber wenn etwas passiert?" Ich seufzte genervt und wünschte mir manchmal einfach auflegen zu können. "Dann habe ich ja jemanden der mir helfen kann.", motzte ich sie jetzt an. "Ich kenne ihn doch gar nicht!" "Ich bin 18, Mama! Ich sollte vielleicht langsam auf eigenen Beinen stehen können.", fauchte ich sauer und hörte, wie sie tief ein atmete. "Du bist blind!", schrie sie mich jetzt an, woraufhin ich wütend auflegte.
"Alles ok?", fragte Thaddeus jetzt vorsichtig und trat mit festen Schritten auf mich zu. Ich hörte ihn dadurch besser, worüber ich ihm unendlich dankbar war. "Jaja, alles gut. Eltern sind nervig." Jetzt lachte der Mann wirklich und es hörte sich wunderschön an. Ok, halt mal, was dachte ich da? Doch ich konnte nicht anders, als mit einzustimmen.
"Du wohnst noch nicht lange hier, oder?", fragte er plötzlich, während ich mich vorsichtig zum Sofa bewegte, was irgendwie der Ort war, an dem ich mich am häufigsten aufhielt. "Seit...ich glaube drei oder vier Tagen. Ich verliere den Überblick, habe keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Ist alles dunkel.", erklärte ich ihm Dinge, die ich niemals versuchte zu erläutern. Normalerweise verstand sie niemand, weil es sich sowieso keiner vorstellen konnte, wie man sich in ständiger Dunkelheit fühlte. Doch irgendetwas schien an diesem Menschen anders. Er war nicht sofort weggelaufen, sondern geblieben und benahm sich mir gegenüber sogar normal. "Warum bist du überhaupt nochmal hier?", fragte ich neugierig und strich meiner Hündin über das Fell. "Ich kenne deinen Namen gar nicht."
Jetzt musste ich kichern. "Das ist mir vorhin schon aufgefallen.", behauptete ich grinsend und Winkel meine Beine an. "Ich heiße Clarisse.", fügte ich netterweise noch hinzu. "Französische Wurzeln oder so?" Er schien sich tatsächlich für mich zu interessieren, jedenfalls konnte ich nichts anderes in seiner Stimme identifizieren, allgemein schien mich meine Menschenkenntnis im Stich zu lassen, sobald ich mich in seiner Nähe befand. "Nein. Nur Eltern mit einem Frevel für Frankreich.", lachte ich und fühlte mich in diesem Moment normal, als wäre ich ein ganz normales Mädchen, ohne Handicap. Es war schön endlich mal man selbst sein zu können.
Selbst Miriam behandelte mich mit äußerster Vorsicht, während Taddl einfach so tat, als wären meine Augen gesund.
Zum ersten Mal überhaupt, seit Ewigkeiten, fühlte ich mich wohl.

Blind ● Taddl (Reupload) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt