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"Clari?", fragte meine Mutter und ich hörte sofort den besorgten Unterton in ihrer Stimme. "Was gibt's denn?", entgegnete ich aus diesem Grund fröhlich. "Ich habe dir gar nicht erklärt, wo die Sachen im Kühlschrank stehen." Ich seufzte tief und schüttelte insgeheim den Kopf, auch wenn es niemand sehen konnte. "Kein Problem, Mama. Ich finde mich schon zurecht.", versicherte ich ihr.
Im Laufe unseres 'kurzen' Gesprächs wurde sie immer besorgter, bis sie kurz davor war meinen Vater davon zu überzeugen, dass er umdrehte und zurück zu mir fuhr. Ich war ihm in diesem Moment wirklich dankbar für seine Starrsinnigkeit und legte beruhigt auf.
Danach musste ich mich für einen kurzen Moment neu orientieren, denn irgendwie war ich wohl während des Telefonats weiter in den freien Raum der Wohnung eingedrungen, als es mir lieb war.
Mit ausgestreckten Händen bewegte ich mich also mit kleinen Schritten Stück für Stück vorwärts und hoffte bald die Kommode zu finden, auf der die Ladestation des Telefons angebracht war.
Ich besaß kein Smartphone, denn die Touchbedienung war für mich unmöglich und eine Sprachsteuerung wollte ih nicht haben. Ich hatte ja schon meine Probleme beim Nummern eintippen in diesem alten Tasten-Telefon, aber immerhin schaffte ich es innerhalb einer halben Stunde.
Mir wurde schlagartig bewusst, wie langweilig es hier eigentlich war. Niemand beschäftigte sich mit mir, Internet wollte ich jetzt nicht, Fernseher war meiner Meinung nach schrecklich und Bücher lesen, naja, jeder weiß, dass Blinde keine normalen Bücher durchstöbern konnten.
Ich setzte mich wiedermal auf mein Sofa und klopfte neben mich auf den freien Platz, um meine Lieblingshündin anzulocken, die auch kurz darauf erschien. Ich streichelte sie rhythmisch, während der Fernseher neben doch lief. Die Stille in dieser Wohnung war kaum auszuhalten.

Ich verlor jegliches Zeitgefühl, weshalb ich keine Ahnung hatte, wann ich überhaupt Abendessen musste. Vorher hatte das immer meine Mutter bestimmt, aber jetzt gab es bisher niemanden, der mir regelmäßig die Uhrzeit ansagen konnte.
Kurzerhand entschloss ich mir den Weg quer durch den Raum in die Küche auf mich zu nehmen. Vorsichtig bewegte ich mich vorwärts. Schritt für Schritt, bis ich die Küchentheke unter meinen Finger spüren konnte.
Dann tastete ich mich weiter, fünf Schritte in die Küche hinein und konnte den großen Kuählschrank spüren. Darin fand ich nach kurzen Suchen recht weit oben ein Stück Butte und etwas Käse. Ich entnahm beides und legte es auf die Anrichte. Jetzt hieß es nurnoch, dass Brot ausfindig zu machen, was sich als gar nicht so leicht entpuppte.
Die Brotschneidemaschine fand ich mithilfe meiner umher tastenden Hände, aber die Brotkiste konnte ich nicht ausfindig machen und jetzt jeden Schrank durchsuchen kam auch nicht in Frage, weshalb ich einfach den Käse öffnete und ihn Scheibe für Scheibe aß. Ohne Brot, ohne Butter, einfach nur den Käse.
Klar, es half nur wenig gegen den richtigen Hunger, aber wenigstens stillte es das Bedürfnis aus Langeweile irgendetwas zum Kauen im Mund zu haben.

Miriam kam am nächsten Tag mitsamt ihrer Koffer und Katze hereingeschneit und erzählte mir fröhlich, dass draußen tatsächlich Schnee lag. Ich seufzte theatralisch, während sie mich bereits liebevoll in den Arm nahm. "Das wird so toll hier, nur wir zu zweit.", freute sie sich und machte sich daran ihre Sachen auszupacken.
Meine Eltern hatten extra darauf geachtet, dass unsere Wohnung komplett auf einer Etage war und es keine Treppen oder Stufen gab, über die ich hätte stolpern können.
"Und? Wie kamst du so klar gestern?", fragte meine beste Freundin mit typischer Neugier in der Stimme. "Alles gut. Bisschen still und gewöhnungsbedürftig, aber es geht auf jeden Fall."
"Klingt ja nicht so begeistert.", stellte sie ein wenig enttäuscht fest. "Es dauert, denke ich, einfach ein wenig, bis ich soweit bin."
Daraufhin folgte ein mehr oder weniger ziemlich unangenehmes Schweigen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte und ich noch weniger.
Irgendwann erhob ich mich und ging in die Küche, ohne wirklich zu wissen, was ich dort wollte. Das Brot hatte ich immernoch nicht gefunden, weshalb ich mich auch zum Frühstück nur von Gurke ernährt hatte, konnte ja schlecht schon wieder Käse essen.
"Sag mal, Miri, wie spät ist es eigentlich?", fragte ich in die bedrückende Stille hinein und stütze mich auf die Küchentheke. "Kurz vor elf. Warum?", kam es aus dem Wohnzimmer zurück. "Wollte es nur wissen. Kannst du mir vielleicht mal sagen, ob wir Brot da haben?"
Ich hörte, wie sie sich vom Sofa erhob und zu mir in die Küche kam. Dann wurden Schränke und Fächer geöffnete, bis sie mit einem leisen 'Aha!' das Brot fand, wo auch immer es gelegen hatte.
"Was hast du gestern gegessen, wenn du nicht wusstest, wo es liegt? Oder waren deine Eltern zum Abendessen noch hier?" Ich zuckte mit den Schultern und antwortete: "Hab' Käse gegessen und heute früh Gurke. Die waren weg und ich hab's halt nicht finden können."
"Oh Gott, Clari! Hättest du halt mal eher was gesagt!", rief sie entsetzt aus und fasste mich an den Schultern, "Ich geh uns jetzt was zum Mittag holen. Döner? Chinesisch? Was willst du?"
"Wenn, dann bitte China. Habe keine Lust auf Dürüm oder so.", antwortete ich peinlich berührt, weil es mir absolut unangenehm war, dass ich mich zu doof anstellte eine einfache Aufgabe, wie Brot zu finden, nicht alleine erledigen konnte.
"Ich bin in einer halben Stunde wieder da.", rief sie mir noch von der Wohnungstausch aus zu und schloss diese direkt danach schwungvoll. Ich seufzte. Wieder allein.

Blind ● Taddl (Reupload) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt