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Am nächsten Morgen erwachte ich durch Geräusche in der Küche und saß sofort senkrecht im Bett. Miriam konnte es nicht sein, die würde erst Übermorgen wieder hier aufkreuzen, aber wenn sie es nicht war, wer dann?
Unsicher stand ich auf, suchte mir mit zitternden Händen Kleidung aus meinem Schrank und öffnete so leise, wie möglich meine Zimmertür.
Wiedermal musste ich mir eingestehen, wie angreifbar ich doch bin, hinter jeder Ecke konnte ein Mörder lauern und ich würde ihn nicht bemerken können, bevor es zu spät wäre. Frustriert stapfte ich auf die Treppe zu, nach unten ins Wohnzimmer und blieb dann abrupt stehen, als das Geräusch deutlicher wurde. Es kam tatsächlich aus der Küche, klang nach Töpfen oder Pfannen, die aneinander schlugen.
Langsam schlich ich mich näher, hatte allerdings nicht bedacht, dass die Couch ja in der Mitte des Wohnzimmer stand, sodass ich mal wieder dagegen lief, vornüber auf das weiche Kunstleder fiel und fluchend versuchte wieder auf die Beine zu kommen.
"Alles ok?", fragte in diesem Moment diese eine ganz besondere Stimme und plötzlich wurde ich von starken Armen hochgehoben. Taddl. "Was machst du hier?", fragte ich verwirrt, hielt mich aber trotzdem noch an ihm fest, aus Angst wieder umzufallen. "Ich habe mich gestern ausgesperrt und deshalb auf deinem Sofa geschlafen. Hätte dich auch gefragt, wenn du nicht so tief geschlafen hättest.", erklärte er vorsichtig. Ich konnte hören, wie peinlich und unangenehm ihm das Ganz war, wollte ihn allerdings nicht mehr damit belasten, immerhin konnte ich froh sein, dass es nur Taddl war und kein Einbrecher.
"Und da denkst du dir spontan, dass du Frühstück machen könntest.", gebe ich grinsend zum besten und stoße mich von ihm weg. "Ja so ungefähr." Ich hörte deutlich sein Schmunzeln, als er mir in die Küche folgte.
"Was gibt es denn?", fragte ich neugierig, stützte mich auf die Anrichte und wippte kurz auf meinen Füßen hin und her, ehe ich mich schwungvoll zurück drehte.
"Langsam, langsam.", lachte Taddl, als er mich wieder auffing. "Jetzt beantworte mir meine Frage."
"Pfannkuchen mit Vanillesauce. Ich kann nicht kochen, weshalb es auch nicht toll aussieht.", seine Freude war ansteckend und ließ mich vergessen, dass er scheinbar davon ausging, dass ich sein Frühstück nach dem Aussehen beurteilen konnte.
"Na dann. Auf geht's.", meinte ich ebenfalls freudig und suchte kurz den Tisch. Taddl stellte einen Teller vor mich und setzte sich dann auf den Stuhl neben meinem, um ebenfalls zu essen. "Und?" Es war süß, wie er sich erkundigte, ob es mir schmeckte.
Ich lachte. "Du bist schlimmer, als meine Mutter. Die fragt alle fünf Minuten ob alles gut ist."
Sein Kichern war unglaublich schön, weshalb ich mich lächelnd meinem Essen zu wandte.
"Wie willst du jetzt eigentlich wieder in deine Wohnung kommen?"
Lange Zeit antwortete er nicht, sodass ich bereits dachte, ich hätte ihn in die Flucht geschlagen. Einen kurzen Moment bekam ich es mit der Angst zu tun, doch da seufzte er auch schon tief. "Mein Mitbewohner kommt erst morgen zurück." "Und jetzt?", hakte ich nach, was mir zwar etwas unangenehm war, aber in diesem Moment ignorierte ich diese Begebenheit einfach. "Kann ich...kann ich nochmal hier bleiben?", fragte er unsicher. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er händeringend dort saß, auf den Tisch starrte und ihm das alles furchtbar peinlich war, doch wollte es mir nicht gelingen. Ich wusste ja nicht mal, wie er aussah. Hatte er blonde, braune, schwarze oder sogar rote Haare? Blaue, braune, graue Augen?
Traurig starrte ich meinen Teller an, beinahe kamen mir die Tränen hoch, allerdings war Selbstmitleid das Letzte, was ich brauchen konnte.
"Hey, was ist denn los?", fragte Taddl plötzlich, während er meine Hand in seine nahm. Sie war warm und gab mir irgendwie ein Gefühl der Geborgenheit. Ich seufzte tief und eine vereinzelte Träne lief mir über die Wange. Fest kniff ich die Augen zusammen, wollte nicht dieses bemitleidenswerte Mädchen sein, um das sich jeder kümmern muss. "Nichts, gar nichts.", murmelte ich und wischte mir frustriert über die nutzlosen Augen.
"Ich merke doch, dass irgendwas ist.", versuchte er es weiter, machte damit allerdings alles nurnoch schlimmer.
Abprubt stand ich auf, schwankte kurz und lief schnurstracks durch das Wohnzimmer, stieß mir nach sieben Schritten den Zeh fest an und fluchte laut auf.
"Clarisse?", hörte ich Thaddeus beunruhigt fragen, ignorierte ihn jedoch. Ich wollte jetzt mit niemandem reden. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, fuhr wütend zur Seite und verlor gänzlich die Orientierung. Mein Fuß tat fürchterlich weh, immer mehr Tränen quollen mir aus den Augen, während ich verzweifelt versuchte irgendwo einen Anhaltspunkt zu finden, um endlich verschwinden zu können, doch wurde mir schlagartig bewusst, wie unbekannt mir diese Wohnung noch war.
Entkräftet sank ich auf den Boden und vergrub das Gesicht in den Händen.

Blind ● Taddl (Reupload) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt