„Wussten Sie das?" Anklagend sehe ich ihm in die dunklen Augen. „Wussten Sie, was da drinnen vor sich geht?" Mit zusammengezogenen Augenbrauen erwidert er meinen Blick, doch ich habe keinen Schimmer, was in seinem Kopf vor sich geht. Dann richtet er den Blick hinter mich und seine Brauen schießen in die Höhe. Mit ernsten Augen sieht er wieder zu mir hinab. „Nein, aber ich hätte es wissen müssen." Was soll das bedeuten? Dass dieser Kerl öfter bei meiner Mum gewesen ist? Dass das schon LÄNGER geht?!
„Rose!" Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus meinen Überlegungen. Normalerweise verspüre ich immer den Drang, mich in ihre Arme zu werfen, wenn ich traurig bin, doch gerade ist das anders. Erst muss ich erfahren, dass sie nicht meine leibliche Mutter ist, dann, dass sie schon seit längerem eine Affäre hat – oder vielleicht sogar eine Beziehung – und mir nichts davon erzählt. Nein, sie lässt mich sogar noch ihr Abendessen holen, während sie ihren Spaß hat. Sie hat in den letzten Tagen gleich zweimal mein Vertrauen in sie auf die Probe gestellt – ich brauche eine Pause von ihr. Ich verspüre nicht den Drang, mir meinen Trost bei ihr zu suchen. Ich verspüre den Drang, vor ihr wegzulaufen.
Wie ein gehetztes Tier reiße ich den Kopf hin und her, um einen möglichen Fluchtweg zu finden. Da Mr. Meyer immer noch vor mir steht und meinen Weg zum Ausgang blockiert, bleiben mir nur noch die Fahrstühle, oder das Treppenhaus. Ich entscheide mich für Letzteres, da der Lift ewig brauchen würde um unten zu sein – immerhin hat das Hotel dreißig Stockwerke. Also drehe ich mich nach rechts und laufe so schnell ich kann zu der Tür, auf der Treppenstufen abgebildet sind. Früher als Kind habe ich mich vor dem Treppenhaus gefürchtet, da es immer so spärlich beleuchtet war und daher eine unheimliche Atmosphäre verströmte. Doch im Moment ist mir diese unheimliche Atmosphäre tausend mal lieber, als diese stickige Luft in der Eingangshalle.
Ich reiße die Tür auf und renne in die dahinter herrschende Dunkelheit. Kurz bevor die Tür hinter mir zufällt finde ich den Lichtschalter und renne die Treppen hoch. Im dritten Stock bemerke ich, dass jemand hinter mir ist. Aus Panik, derjenige könnte mich entdecken oder sogar fangen erhöhe ich meine Geschwindigkeit und laufe noch schneller als vorher die Treppenstufen hinauf. Ohne Ziel. Einfach nur weg.
Im 18. Stockwerk scheine ich meinen Verfolger abgehangen zu haben und verlasse vollkommen außer Atmen das Treppenhaus.
Ich gelange in einen Gang, der vollkommen mit rotem Teppich ausgelegt ist und an dessen Wände links und rechts von ordentlichen weißen Türen gesäumt werden. Ich finde es immer wieder unglaublich, wie viele Zimmer dieses Hotel doch birgt. Ich gehe den Gang entlang und werfe dabei einen flüchtigen Blick auf eine der Türen. 589. Nicht schlecht. Wie es in den Zimmern wohl aussieht? Obwohl meine Mum hier schon so lange arbeitet war ich noch nie in einem der Zimmer. Ich habe natürlich viele Bilder gesehen, aber nie mehr. Gerade als ich nach einer der goldenen Türklinken greifen möchte höre ich, wie hinter mir die Tür zum Treppenhaus geöffnet wird.
„Miss!" Erschrocken drehe ich mich um und sehe Mr. Meyer auf mich zulaufen. Wie automatisch drehe ich mich wieder um und beginne ebenfalls zu rennen. „Miss, warten sie!" Eine Hand schließt sich um mein linkes Handgelenk und hindert mich daran, meinen Weg ins Ungewisse fortzusetzen. Der Mann im Anzug reißt mich so heftig herum, dass ich an seine Brust stoße und ihn beinahe umgestoßen hätte. Gerade in letzter Sekunde schlingt er seinen freien Arm um meine Taille und hält mich fest an sich gepresst um nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Dabei sieht er mir so tief in die Augen, dass mein Herz aus unerklärlichen Gründen schneller zu schlagen beginnt. Sein Atem kitzelt in meinem Gesicht geht stoßweise. Ohne etwas dagegen tun zu können stelle ich mich auf die Zehenspitzen um näher an ihn heran zu kommen. Es ist als würden mich seine Augen zu sich ziehen. Gleichzeitig senkt er den Kopf, sodass sich unsere Nasen berühren.
PLING. Das Geräusch eines haltenden Aufzugs lässt mich aus meiner Trance erwachen. Ihm scheint es genauso zu gehen, denn er reißt die Augen auf und entfernt sein Gesicht wieder von meinem. Doch als ich einen Schritt von ihm weg machen möchte, schüttelt er bloß den Kopf. Ohne ein weiteres Wort zieht er mich hinter sich her zu einer Tür, die nicht mit einer Nummer versehen ist. Er öffnet sie und bedeutet mir, hinein zu gehen. Meinen fragenden Blick quittiert er nur mit einem kleinen Schubser Richtung Tür und einem kritischen Blick zurück in den Gang. Was bitte ist hier los? Als ich meinen Mund öffne um zu fragen, was das bitte soll, ziehen sich seine Augenbrauen zusammen und er hält mir den Mund zu, bevor er mich in die Kammer schleift. Panisch versuche ich, mich seinem Griff zu entwenden, doch er scheint die Muskeln, die mir vorhin schon aufgefallen sind, wirklich einzusetzen. Als die Tür vor meinen Augen ins Schloss fällt, bin ich plötzlich von vollkommener Dunkelheit umgeben. Doch diesmal ist es nicht so wie letztens im Keller – diesmal werde ich von einem muskulösen Arm an eine muskulöse Brust gedrückt und spüre nur, wie der Mann hinter mir langsam und gleichzeitig atmet. Als ich plötzlich seinen warmen Atem an meinem Ohr und meiner Halsbeuge spüre, hätte ich beinahe aufgeschrien, wäre da nicht diese große Hand vor meinem Mund. „Deine Mum war in diesem Aufzug. Und ich dachte, du würdest sie jetzt nicht so gern sehen. Wenn doch, steht es dir natürlich frei, zu gehen." Damit lässt er mich los und tritt einen Schritt zurück, sodass ich plötzlich vollkommen orientierungslos in der Dunkelheit stehe. Ich drehe mich zu ihm um und strecke suchend meine Hand aus. Ich brauche einen Anhaltspunkt, irgend etwas, woran ich mich festhalten kann.
„Hey, komm wieder her! Wo sind wir überhaupt?" Ich flüstere in das Schwarz vor meinen Augen in der Hoffnung, er steht dort irgendwo. Und sofort nachdem ich das gesagt habe spüre ich plötzlich eine Hand an meinem ausgestreckten Arm. Sie schließt sich heute zum zweiten Mal um mein Handgelenk, diesmal jedoch gibt sie mir Halt und hält mich nicht auf. Er zieht mich zu sich und tastet mit der anderen Hand nach meiner Hüfte.
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Die Vergangenheit ist meine Zukunft
Teen FictionDie 16-jährige Rose Allington muss plötzlich feststellen, dass sie scheinbar eine Doppelgängerin in der Vergangenheit hat. Zusammen mit einem ihr noch fremden Jungen macht sie sich auf die Suche nach Hinweisen über dieses mysteriöse Mädchen - und fi...