Kapitel 12

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Ich setze mich an meinen Schreibtisch und fahre mein Laptop hoch. Während er arbeitet schlage ich das Buch auf und suche nach der Stelle, die ich entdeckt hatte. Mit dem Zug nach Glasgow und von dort aus weiter in das kleine Städtchen Canonbie. Okay. Ich gehe auf die Internetseite des Londoner Flughafens und suche nach einem Flug nach Glasgow. Soweit ich weiß ist diese Stadt ziemlich groß und muss daher einen eigenen Flughafen besitzen. Und tatsächlich scheint es am Samstag, also übermorgen, einen Direktflug zu geben. Beim angezeigten Preis jedoch wird mir übel. 140 Pound für 40 Minuten Flug?! Wo sind wir denn? Naja, ich werde mir wohl irgendwie die Kreditkarte meiner Mutter besorgen müssen. Das mache ich am besten morgen, wenn ich mich auf die Reise vorbereite, sonst ist das Risiko, dass sie es zu früh bemerken könnte, zu hoch. Und von diesem anderen Ort habe ich noch nie etwas gehört. Aber wie heißt es so schön? Google ist dein bester Freund. Also wollen wir doch mal sehen wo das liegt. Scheinbar liegt dieses Dörfchen unmittelbar an der schottischen Grenze, wodurch ich mich frage, weshalb meine Mum erst nördlich nach Glasgow fährt um dass wieder südlich Richtung Grenze zu trampen. Nun ja, sie war scheinbar noch nie sonderlich geschickt. Ich habe jedoch nicht vor, unser ganzes Geld dafür zu verschwenden. Ich entscheide mich dazu, mit dem Zug nach Dumfries zu fahren – das liegt ganz in der Nähe von Canonbie und kostet wesentlich weniger als der Flug. Von dort aus würde ich mit dem Bus weiter müssen. Aber das kann ich dann immer noch vor Ort klären. Zum Glück hat meine Mum mir meinen Reisepass und Personalausweis zu meinem Siebzehnten gegeben, da sie meinte, ich wäre jetzt schon alt genug um selbst zu entscheiden wo ich hin möchte.

Ich werde Kyle einfach erzählen, dass ich in dem Buch irgendwo den Namen Canonbie in Verbindung mit Roselin gefunden habe. Und das Buch habe ich selbstverständlich zu Hause vergessen. Ich kleiner Tollpatsch. Als hätte es meine Gedanken gehört vibriert plötzlich neben mir mein Handy.

Ja ich denke das müsste gehen.

Na dann bis morgen :)

21:47 Uhr

Okay. Dann geh ich morgen nach der Schule mit zu ihm und wir werden uns gemeinsam überlegen, wie ich am besten die Stelle, wo ich als Baby gelegen habe, finde. Und was sie zu bedeuten hat. Ich bin schon sehr gespannt auf seine Meinung. Vor allem, weil ich hoffe, er hat noch eine andere Version – eine, die keine Zeitreise beinhaltet. Ich würde nämlich sehr gern auf dem Boden der Realität bleiben und mich nicht mit Dingen beschäftigen, an die ich selbst nicht glaube.

Ich entscheide mich nach kurzem Überlegen dagegen, ihm noch einmal zu antworten. Wir wollen es mit dem zwischenmenschlichen Kontakt ja nicht gleich übertreiben.

Ich schalte meinen PC aus und mache mich fürs Bett fertig. Wir haben gleich 22 Uhr und es kommt ein Film den ich unbedingt gucken will. Und vorher muss ich noch mit meiner Mum über morgen reden. Ich kann schließlich nicht einfach ohne Bescheid zu sagen später nach Hause kommen.

Schweren Herzens mache ich mich mit nackten Füßen und nur mit meinem Schlafanzug bekleidet schließlich auf den Weg nach unten. Die Tropfen, die der Lappen vorhin auf dem hellen Holz hinterlassen hatte, sind inzwischen wieder getrocknet, sodass keine Gefahr mehr besteht. Da Küche und Wohnzimmer zusammen einen großen Raum bilden sehe ich direkt, dass der Fernseher läuft. Meine Mum allerdings kann ich noch nicht entdecken, da sie vermutlich auf dem Sofa sitzt, was sich nicht in meinem Blickfeld befindet. Das Zimmer mach nämlich einen Knick nach rechts, wodurch es die Form eines L erhält. Ich laufe an der Kücheninsel vorbei auf die riesige Fensterfront zu, die die hintere Wand des Wohnzimmers bildet. Und wie erwartet sitzt meine Mum mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf dem Sofa und sieht sich die Nachrichten an. Ich setze mich neben sie und tue eine Weile so, als würde mich das politische Gelaber, das aus den Boxen des TVs dringt, ungeheuer interessieren. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus und drehe mich zu meiner Mum.

„Mummy? Ich geh morgen nach der Schule zu nem Freund. Aber ich bin zum Abendessen wieder zu Hause, versprochen." Mit hochgezogener Augenbraue sieht sie mich zunächst an, als hätte ich den Verstand verloren. Doch dann verzieht sie ihren Mund zu einem Grinsen. „Es freut mich, dass du doch noch Freunde gefunden hast. Aber sei bitte pünktlich, morgen ist doch Ferienanfang und ich hab mir früher frei genommen, um dir was schönes kochen zu können." Sie lächelt mich mit ihrem warmen Mutter Lächeln an, doch es dringt nicht bis in mein Inneres vor – es lässt mich absolut kalt. Und das macht mir einerseits Angst, andererseits bin ich stolz darauf. „Okay." Ich lächle sie an und fühle mich so stark, dass ich mich vorbeuge und ihr einen Kuss auf die Wange gebe. „Gute Nacht Mum." Sie streichelt mir die Wange und lächelt noch immer. „Gute Nacht, mein Schatz." Ich stehe auf und mache mich auf den Weg in mein Zimmer. Als ich am Kühlschrank vorbei komme schnappe ich mir einen Joghurt und einen Löffel und verschwinde damit die Treppe rauf.

Da der Film, den ich gucken wollte nicht so toll war, wie ich gedacht habe, schalte ich den Fernseher irgendwann aus und lege mich schlafen. Ich bin sowieso schon zu müde, um noch irgend etwas anderes zu tun. Doch sobald ich meine Augen schließe taucht wieder dieses Bild von dem Fuchs auf und lässt mich aufschrecken. Wie soll ich bitte jemals wieder schlafen? Doch dann fällt mir auf, dass ich das, was ich träume im wachen Zustand ja so bestimmen kann, wie ich es will. Also schließe ich die Augen und lasse den blutverschmierten Fuchs mitsamt dem Baby verschwinden. Übrig bleibt die schöne Lichtung, in die ich wieder das Sonnenlicht scheinen lasse. So gefällt mir das. Ich stelle mir vor, mich in das grüne Gras zu legen und mir die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Ich schließe die Augen und schlafe ein, vom Gras gestreichelt und von der Sonne gewärmt.

Die Vergangenheit ist meine ZukunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt