Kapitel 17

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Seine kräftigen Hände sind unerwartet weich und seine große Hand an meinem Rücken fühlt sich irgendwie gut an. Dazu steigt mir der Geruch seines Aftershaves in die Nase. Es riecht nicht schlecht, aber doch eher durchschnittlich.

Ein Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken. „Hallo? Miss Allington, sind sie da drinnen?" Ich kenne die Stimme nicht, und doch verfalle ich in Panik, da er zweifelsohne im Auftrag meiner Mutter kommt. Bevor ich reagieren kann höre ich, wie die Türklinke langsam heruntergedrückt wird. Plötzlich kommt mir eine Idee. Ich drehe mich, sodass Mr. Meyer jetzt zwischen mir und der Tür steht. Dann stelle ich mich auf die Zehenspitzen und taste nach seinem Kopf. Als ich seinen Haarschopf gefunden habe, ziehe ich ihn daran zu mir herunter. „Bitte mach mit. Ich hab jetzt nicht die Kraft mit ihr zu sprechen." Als hätte er meine Gedanken gelesen überwindet er auch noch den letzten Abstand zwischen uns – den ich nur erahnen kann, da ich ja weiterhin nichts sehe – und kurz darauf spüre ich seine Lippen auf meinem Mundwinkel. Ich muss lächeln, da er meinen Mund verfehlt hat, doch dann setzt er neu an, und dieses Mal trifft er meine Lippen. Gerade in diesem Moment geht die Tür hinter ihm auf und ein kurzes „Oh, entschuldigen Sie." ist zu hören, bevor sie wieder geschlossen wird. Doch anstatt uns voneinander zu lösen, beginnt er, seine Lippen zu bewegen. Und da ich gerade sowieso nichts Besseres zu tun habe und es mir – wie ich zugeben muss – doch sehr gefällt, erwidere ich den Kuss. Er verstärkt seinen Griff um meine Taille und lässt mein Handgelenk los, um mit der freien Hand in meine Haare zu greifen. Ich ziehe ein wenig an seinem Haar, was ihm zu gefallen scheint, denn er seufzt zufrieden. Er streicht mit seiner Zunge über meine Unterlippe und gerade als ich den Mund für ihn öffnen will, vernehme ich ein weiteres Mal das Geräusch eines ankommenden Aufzugs.

Und ein weiteres Mal scheint uns dieses Geräusch aus unserer Traumwelt zu holen, denn ich reiße die Augen auf und unterbreche den – für Fremde – viel zu intensiven Kuss. Ich stürme an ihm vorbei in die Richtung, in der ich die Tür vermute und suche nach der Klinke. Noch bevor ich sie gefunden habe spüre ich wieder seinen Atem in meinem Nacken, als er an mir vorbei greift und die Türe aufschwingt.

Erleichtert, endlich wieder etwas sehen zu können, trete ich auf den – inzwischen wieder leeren – Gang hinaus und drehe mich zu ihm um. Seine Wangen sind leicht gerötet und seine Haare ein wenig zerzaust – was ihm allerdings hervorragend steht.

Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch er kommt mir zuvor. „Es tut mir leid. Das war unprofessionell und du bist minderjährig! Ich hätte das nicht tun dürfen." Er rauft sich verzweifelt die sowieso schon durcheinander geratenen Haare, als er mich mit großen, entschuldigenden Augen ansieht. Als wenn das seine Schuld gewesen wäre. Ich muss grinsen.

„Mach dir keinen Kopf. Ich sollte dir dankbar sein, du hast mich vor einem sehr peinlichen Gespräch mit meiner Mum bewahrt." Ich verziehe das Gesicht bei dem Gedanken an das, was ich zuvor hatte sehen müssen, und der Schmerz, den ich in meiner Brust gespürt hatte, ist urplötzlich wieder da. „Aber ich hab da noch zwei Fragen." Um mich abzulenken sehe ich ihn an. „Würdest du sie mir beantworten?"

„Ich würde dir jede Frage beantworten." Das bezweifle ich dann doch. Scheinbar hat auch er realisiert, was er da gerade von sich gegeben hat, denn er runzelt die Stirn und zieht seine Brauen zusammen. „Ich meine, ich beantworte dir jede Frage, solange das, was gerade passiert ist, unter uns bleiben könnte." Ah, okay.

„Klar. Also, erstens: Wie heißt du eigentlich?" Ich lächle ihn an, denn ihn jetzt noch Mr. Meyer zu nennen käme mir schon irgendwie blöd vor. „Chris Meyer." Jetzt ist es an mir, die Stirn zu runzeln. Scheinbar hat er wieder in den Sicherheitsmodus gewechselt, denn eben war er noch nicht so wortkarg. „Ähm, okay schön. Ich bin Rose, falls es dich interessieren sollte." Zuerst sieht er mich verständnislos an, doch dann verzieht er den Mund zu einem Grinsen.

„Das weiß ich doch schon längst", antwortet er und Zwinkert mir zu. Der Kerl leidet wirklich unter Schizophrenie – im ersten Moment eiskalt und künstlich, im nächsten wieder auf Flirtkurs.

„Ähm ja, sehr schön. Und die zweite Frage: Wie kommt es, dass du als männliche Empfangsdame eingesetzt wirst, obwohl du vom Militär kommst?"

Sobald ich den Satz ausgesprochen habe, werden seine Augen ein Stück größer. „Woher bitte weißt du das?"

Innerlich klopfe ich mir für meine Beobachtungsgabe auf die Schulter, da er mir damit bewiesen hat, dass ich Recht habe. Grinsend mache ich einen Schritt auf in zu und zwinkere. „Das ist doch offensichtlich." Ich lasse meinen Blick einmal an ihm entlang gleiten. Die langen, muskulösen Beine, die straffe Brust, die breiten Schultern und schließlich dieses unglaublich harte Gesicht mit den unglaublich weichen Lippen. „Also?" Gespannt warte ich auf seine Antwort.

„Öhm, das hat nur den Grund, dass Momentan wichtige Leute hier sind...", macht er eine für mich viel zu vage Andeutung. Was soll mir das denn sagen? Ist Lady Gaga hier oder was? Da fällt mir ein, dass vor ein paar Tagen ein Star aus Glasgow in London angekommen sein soll. Wie hieß er noch? John Blown? Oder so ähnlich. Einer von denen, die nicht fliegen, sondern den ganzen Weg in ihrer Limo zurücklegen. Ein Bisschen bescheuert meiner Meinung nach – aber nützlich für mich. Denn er reist morgen wieder ab.

„Und wer?" Ich ziehe fragend meine Augenbraue hoch und blicke ihn forschend an.

„D-Das darf ich dir nicht sagen." Er sieht verzweifelt auf den Boden und meidet meinen Blick. Es scheint ihm ernst zu sein. Ein loyaler Soldat. Sonst hätte ich das wirklich für toll gehalten, aber gerade hätte es nichts Schlimmeres geben können.


Die Vergangenheit ist meine ZukunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt