Kapitel 19

22 3 1
                                    


Ich spüre die Blicke der beiden Männer in meinem Rücken, drehe mich aber nicht um. Die Aufzugtüren öffnen sich und geben einen kleinen silbernen Kasten preis, dessen Wände von Spiegeln gesäumt sind. Ich blicke direkt in mein angespanntes Gesicht und bemerke, wie durcheinander meine Haare wirklich sind – da hätte der beste Kamm der Welt nicht geholfen. Ich würde mir zu Hause wohl erst mal eine Bürste schnappen müssen und meine Haare mit Öl eincremen. Als ich Chris' Blick im Spiegel begegne, blickt er mich dankend und leicht amüsiert an. Jaja, immerhin er hat seinen Spaß. Ich habe eher ein flaues Gefühl im Magen – was wenn meine Mum noch da unten ist? Ich will sie jetzt eigentlich nicht sehen. Andererseits kann ich so schon einmal einen Blick auf das Auto dieses 'Spezialgastes' werfen.

Mit einem leisen 'Pling' kommt der Lift im Erdgeschoss zum stehen, und die Türen öffnen sich ein weiteres Mal. Sobald die Möglichkeit besteht schlüpfe ich hindurch und durchquere die Lobby mit schnellen Schritten. Immerhin glaubt einer der beiden Männer hinter mir immer noch, ich sei ein Gast. Da finde ich einen stürmischen Sprint aus dem Hotel eher unangebracht.

Wieder auf mutterfreiem Terrain atme ich kurz durch, um mich gleich danach nach dem Auto des ach so berühmten Gastes umzusehen. Ich entdecke eine lange Limousine am Ende der Einfahrt. Das Gefährt hat dunkel getönte Scheiben, große Reifen mit blitzenden Felgen und glänzend weißem Lack. Alles in allem eine sehr schickliche Karosserie. Und der Kofferraum scheint ebenfalls relativ groß zu sein – es wäre also genug Platz für mich und das restliche Gepäck. Ich brauche ja nicht mehr als einen Rucksack. Immerhin habe ich nicht vor, lange weg zu bleiben. Nur so lange, bis ich den Ort gefunden habe, an dem meine Mum mich gefunden hat. Vielleicht finde ich auch in einem der anschließenden Orte ein paar Informationen zu Roselin. Und über den Rückweg mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist.

Bevor meine Mutter mich doch noch hier draußen stehen sieht, mache ich mich lieber auf den Weg nach Hause. Da der Weg wie gesagt nicht lang ist, bin ich nach zehn Minuten zu Hause. Zu meiner Verwunderung steht das Auto meiner Mutter bereits auf dem Parkplatz. Wartet sie etwa zu Hause auf mich? Sitzt sie gerade auf der Couch und hält eine Tasse Kaffee in den Händen, während sie mit sorgenvollem Blick zur Tür sieht? Ich kann ihr nicht lange böse sein. Ich muss sie mir nur vorstellen und verzeihe ihr. Doch ich brauche einen Grund, morgen abzuhauen – und wenn ich jetzt mit ihr über das von vorhin spreche, dann traue ich mir selbst nicht zu, über diese andere Sache Stillschweigen bewahren zu können. Außerdem hört sich ein 'Ich brauche jetzt etwas Zeit für mich, bitte mach dir keine Sorgen' wesentlich besser auf einem Zettel an, als ein 'Ich muss unbedingt zu der Wiese reisen, auf der du mich gefunden hast, wie ich aus deinen Tagebüchern weiß'.

Also muss ich wohl oder übel, unbemerkt in die Wohnung gelangen. Und zwar so, dass ich, wenn sie abends ganz besorgt in mein Zimmer stürmt, in der Hoffnung mich dort unversehrt vorzufinden, bereits schlafend in meinem Bett liege und sie mich nicht mehr wecken will. Allerdings erscheint es mir als nahezu unmöglich, in mein Zimmer zu gelangen, ohne die Tür zu nutzen. Immerhin liegt es im vierten Stock.

Doch mir kommt eine Idee – nicht die beste, die ich je hatte, aber immerhin besser als zu versuchen, in mein Zimmer zu hüpfen oder Ähnliches. Ich laufe bis zu unserer Wohnungstür im dritten Stock und klettere dort aus dem Fenster.

Da das Dach schräg ist, und ich ja im Dachgeschoss wohne, kann ich auf diesem Weg durch das Fenster in mein Zimmer gelangen. Jetzt muss ich nur noch irgendwie auf das Dach kommen. Denn vor mir befindet sich zwar eine Feuerleiter, aber die führt eben nur bis zu dem Fenster, in dem ich gerade hocke. Ich klettere dennoch raus und schließe das Fenster hinter mir wieder. Dann stelle ich mich auf das Geländer der Feuerleiter und hoffe, dass ich das Gleichgewicht halten kann, um nicht nach hinten in den sicheren Tod zu stürzen. Dann ziehe ich mich an der Dachrinne aufs Dach, um danach erst einmal nach Luft zu schnappen. Ich bin zwar nicht unsportlich – aber ohne Sicherung in einer Höhe von sechs Metern herumzuturnen gehört dann doch nicht zu meinen liebsten Aktivitäten. Als ich schließlich genug Kraft gesammelt habe, um aufzustehen, laufe ich – immer darauf bedacht, nicht auszurutschen – auf das einzige Fenster im Dach zu – mein Fenster. Zu meinem Glück habe ich es heute Abend, als ich meiner Mum das Essen bringen sollte, nicht ganz zu gemacht, sodass ich es jetzt ohne Probleme nach oben hochklappen kann. Erleichtert lasse ich mich in mein Zimmer hinunter und falle erschöpft auf mein Bett.

Ich kann mich gerade noch so dazu bewegen, meinen Schlafanzug anzuziehen, bevor ich mich unter meine Decke verkrieche und einschlafe.


Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 09, 2015 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Die Vergangenheit ist meine ZukunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt