53.

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"Seht mal wen ich gefunden habe. Ist mir geradewegs in die Arme gelaufen. Dieses Mädchen war schon vor Jahren hier und ich will, dass ihr sie ordentlich behandelt. Wenn jemand das Gegenteil tut, kann er ohne seine Sachen aus meiner Wohnung verschwinden, comprende?"

Die paar Leute die im Wohnzimmer sitzen nicken nur genervt. Ihre Blicke liegen auf mir, verfolgen jede einzelne meiner Bewegungen.

"Du wirst in diesem Zimmer schlafen müssen, wenn du ein Problem hast, Ruf einfach nach mir", er drückt mich ein letztes Mal und verschwindet dann in der Küche.

Der Raum ist klein. Die weißen Wände sind größtenteils leer, vereinzelt hängen Fotos an ihnen. Links und rechts stehen Hochbetten. Von dem einen hat sich gerade ein blondes, mageres Mädchen erhoben. Sie streckt mir ihre Hand entgegen und lächelt mich an. "Caroline, die meisten nennen mich Caro."

"Tia, eigentlich nennen mich die meisten auch so", ich schüttel ihre Hand und sie lacht leise auf. "Du kannst das Bett oben rechts haben. Decke und Kissen bekommst du später." Ich nicke ihr dankend zu und werfe meine Reisetasche auf die Matratze.

Scheinbar erschrocken von dem Geräusch, bewegt sich etwas auf dem Bett mir gegenüber. Ein gefärbter Rotschopf blickt mich verärgert an. Sie lässt ihre Kopfhörer drin und sieht Caroline fragend an. "Das ist Vero, lass sie am besten in Ruhe."

"Das hatte ich auch vor", wieder lacht Caro auf. Ich verstehe den Witz zwar nicht, weil ich bis jetzt alles ernst meinte, aber ich frage nicht nach.

"Und, warum bist du hier? Abgehauen ausm Heim oder von deiner Pflegefamilie?", sie setzt sich auf das Bett unter meinem und klopft neben sich. Ich setze mich und schüttel meinen Kopf.

"Eine ganz andere Geschichte. Abgehauen bin ich vor Jahren mal und bin dann auch hier gelandet, aber das ist schon länger her."

"Und was führt dich zurück?", die Kleine ist neugierig. Ich fahre mir mit meiner Hand durch die Haare und überlege, was ich ihr erzählen soll. Die Wahrheit, wäre wohl das Beste.

"Ich hatte Stress mit meinem Freund, beziehungsweise Ex. Er hatte herausgefunden, dass ich mit einem Kerl geschrieben hab. Daraus hat er den Schluss gezogen, dass ich ihn betrogen habe", Blondchen unterbricht mich. Schlechte Idee.

"Hast du ihn betroge-. Okay, du hast ihn nicht betrogen, verstanden."

"Naja, am nächsten Tag haben mich seine Freunde aufgesucht und mich zusammen geschlagen. Wäre ich in der Stadt geblieben, hätten sie herausgefunden wo meine beste Freundin lebt und sie wäre in Gefahr."

"Krasse Story", Blondie sieht mich mit großen Augen an.
"Da war aber noch was anderes. Der Kerl mit dem Du geschrieben hast, hab ich recht?", Rotschopf sieht mich siegessicher an.

"Er trifft sich mit deiner Besten. Ihr habt euch gestritten deshalb. Sie denken, dass du sie deshalb verlassen hast. Und du findest das gut, sie wussten nichts von dem Anderen." Dieses Mal sind auch meine Augen weit aufgerissen.

"Du bist ein offenes Buch", sie legt sich wieder hin und steckt ihre Kopfhörer wieder rein.

"Ja, Vero ist etwas gruselig", ich nicke, "aber du wirst dich daran gewöhnen." Wieder lacht Caro auf und schlägt mir freundschaftlich auf die Schulter.

"Wir sollten dir Decke und Kissen besorgen und dich etwas herumführen. Es ist nicht schlecht die Leute hier zu kennen", ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

Wir gehen in einen Raum, in dem ein Fernseher und zwei Sofas stehen. Ungefähr fünf Leute sitzen dort und spielen FIFA. Anders als erwartet sitzen dort auch zwei Mädchen, die gerade die Controller besitzen. Caroline setzt sich neben einen Jungen mit schwarzen Haaren und scheint mich für einen kurzen Moment vergessen zu haben.

Ich stehe weiterhin einfach im Raum und starre auf den Bildschirm. Die anderen scheinen mich nicht zu bemerken oder ignorieren mich gekonnt. Nach ungefähr fünf Minuten ist das Spiel beendet und die Mädchen schlagen ein. Dann räuspert sich Caro endlich.

"Das ist Tia. Sie lebt jetzt bei uns. Sie kommt aus New York und ist echt cool drauf", sie strahlt in die Runde und die wiederum starrt mich an. Ich hebe meinen Arm um kurz zu winken und lasse ihn schnell wieder fallen. Die zwei Mädchen murmeln ein kurzes Hi. Sie sehen aus wie Schwestern, lange braune Haare, dünn. Alle hier scheinen dünn zu sein, selbst ich.

"Setz dich ruhig neben mich, ich verspreche aber nicht, dass ich dich nicht beißen werde", der Junge der mich gerufen hat, hat dunkel blonde Haare und grüne Augen. Sein Gesicht ist markant, seine Wangenknochen hervorgehoben. "Was ist, willst du mich nicht lieber vom nahen ansehen?" Die Gruppe lacht und ich kann es mir auch nicht verkneifen.

Nach drei Stunden, in denen ich einfach zu gesehen habe wie die Controller rum gereicht wurden und FIFA gezockt wurde, beginne ich mich zu entspannen. Mike scheint nett zu sein. Er lacht viel und ist offen. Vielleicht ist er etwas zu offen, aber dadurch habe ich für kurze Zeit ein Handy.

Ich wähle die Nummer, die ich auswendig gelernt habe, ohne Grund auswendig gelernt habe. Immer wenn ich auf seine Antworten gewartet hab, bin ich sie tausendmal durchgegangen.

Das Handy wählt, piep, ich sollte auflegen, piep, nein ich muss seine Stimme hören ein einziges mal, oder lieber nicht.

"Was gibt's?"

Seine Stimme ist rau, er klingt genervt. Ich stehe am offenem Fenster und weiß nicht was ich tun soll. Vielleicht einfach auflegen. Ich kann mich nicht konzentrieren, es ist so laut.

Er redet weiter, aber ich verstehe ihn nicht. Seine Stimme benebelt meinen Kopf. Eine Träne nach der anderen läuft meine Wange runter.

Ich kann das nicht, er muss mich vergessen, ich muss ihn vergessen.

honeyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt