Zweifelhafte Überraschungen (zu früh am Morgen)

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von Flauschilein

Paris, 1705

„Ragnor, meine grüne Zuckerschote! Raus aus den Federn, ich habe eine Überraschung für dich!", sagte eine Stimme, die Ragnor schon viel zu oft gehört hatte und die (so hoffte er) nur Einbildung war.

Er kniff die Augen fester zu und betete, dass sein persönlicher Leidbringer endlich verschwinden möge. Wie so üblich, wurden seine Gebete bezüglich dieser Person nicht erhört.

„Ragnor! Ich sage es ein letztes Mal: steh auf, ich hab aufregende Neuigkeiten. Du kannst doch nicht den lieben langen Tag im Bett bleiben", rief die Stimme.

Mit einem Seufzer drehte Ragnor sich um, öffnete die Augen und sah sich zwei goldgrün funkelnden Katzenaugen gegenüber.

Magnus.

Er hielt eine kleine Lampe in der Hand, die nur wenig Licht verströmte. Aber es war genug Licht, um zu sehen, dass Magnus breit grinste.

Ragnor warf einen Blick aus dem Fenster und sah einen ziemlich dunklen Himmel, vor dem sich die Notre-Dame mit ihren hellen Mauern nur schemenhaft abzeichnete. Dann sah er zur Wanduhr, die gegenüber von ihm hing und saß mit einem Mal kerzengerade im Bett.

„Herrgott Magnus! Es ist halb sechs Uhr früh! Warum zur Hölle weckst du mich? Hat dir dieser hässliche Glitzer alle Gehirnzellen weggeätzt?", rief Ragnor aufgebracht.

„Also erstens ist der Glitzer nicht hässlich, sondern fabelhaft und zweitens muss ich dir etwas ganz Wichtiges mitteilen. Es wird dich bestimmt freuen, was ich zu sagen habe."

„Nach dem letzten Mal, als du mir in deinen Augen tolle Neuigkeiten überbracht hast, hatte ich eine traumatische Begegnung mit einem Pferd, dass du pink gefärbt hast. Deswegen will ich nichts von dir hören. Und jetzt lass mich schlafen und verschwinde aus meiner Wohnung!"

„Ach komm, es war ein hübsches Pferd. Und niemand hat dich dazu gezwungen, mit ihm durch London zu reiten", sagte Magnus und konnte sich das Grinsen nicht mehr verkneifen.

„Ich wollte keinen Ausritt machen! Was kann ich denn dafür, wenn du mit einer Flasche Hochprozentigem intus zum nächstbesten Bauernhof torkelst, dort ein Pferd klaust, es pink färbst und mit Glitzer überschüttest, um es dann in mein Wohnzimmer zu stellen?! Als ich dann am nächsten Morgen von einem Wiehern geweckt wurde und ein quietschpinkes Pferd gesehen hab, das genüsslich meine Einrichtung auseinandernahm, hätte ich dich am liebsten umgebracht!", rief Ragnor wütend. „Du hast direkt neben dem Pferd auf dem Sofa gelegen, ein buntgefärbtes Huhn umklammert und in aller Ruhe deinen Rausch ausgeschlafen."

„Wie bitte? In aller Ruhe soll ich geschlafen haben? Jetzt übertreibst du aber. Dein Geschrei war nicht gerade das, was ich ruhig nennen würde", sagte Magnus leicht empört.

„Oh ja, ich vergas. Du hattest zu dem Zeitpunkt nicht den Schock deines Lebens bekommen und du musstest auch nicht ein aufgeschrecktes Pferd einfangen, das aus meinem Wohnzimmer geflohen und durch ganz London spaziert ist und werweißwo hätte sein können!"

„Aber letztendlich hast du es ja wiedergefunden, oder nicht?"

„Das schon, aber als es mich dann gesehen hat, ist es von St. Paul's Cathedral bis zur London Bridge galoppiert, wo ich es festhalten und beruhigen konnte. Auf dem Rückweg zu meiner Wohnung ist es ziemlich unruhig geworden und hat mich dann in eine Schlammpfütze geschubst."

Ragnor sah Magnus prüfend an, der sich das Lachen kaum verkneifen konnte. Dann ließ er sich wieder zurück in seine Kissen fallen und drehte sich von Magnus weg.

„Und jetzt wäre ich dir sehr verbunden, wenn du endlich meine Wohnung verlassen würdest. Du kannst ja in ein paar Monaten wiederkommen, vielleicht kann ich dann deine albernen Klamotten ertragen. Aber für den Winter bist du mir eindeutig zu grell gekleidet."

Magnus stellte die Lampe auf Ragnors Nachttisch und wandte sich wieder seinem grünen Freund zu.

„Och aber Ragnor! Das was ich dir zeigen will, kann man nur heute machen. Wir haben uns seit 55 Jahren nicht gesehen. Seit jenem Tag, an dem du gezwungen warst, meine absolut fantastischen Kleidungsstücke zu tragen, weil das wunderschöne pinke Pferd dich in eine Schlammpfütze geschubst hatte. Nimmst du mir das etwa immer noch übel?", jammerte Magnus.

„Ja das tue ich. Ein weißes Hemd, das mit blauem Glitzer bestreut war, eine knallige orangefarbene Hose mit schwarzen Punkten und pinke Schuhe waren echt zu viel! Wo treibst du diesen Müll nur immer auf?"

„Das ist kein Müll, sondern allerfeinste Ware. Aber genug von mir. Soll ich jetzt erzählen, welche Überraschung ich habe?"

„Die Sache mit dem pinken Pferd werde ich dir nie verzeihen! Und jetzt sag endlich, was dir auf der Zunge brennt", murrte Ragnor.

Aufgeregt klatschte Magnus in die Hände, räusperte sich und sagte dann: „Du, ich und Catarina sind für heute Abend auf einen Maskenball im königlichen Palast von Versailles eingeladen. Unsere Anwesenheit ist erforderlich, ich habe für uns drei bereits zugesagt, also kannst du dich nicht davor drücken."

Ragnor sprang aus dem Bett und packte Magnus am Kragen. „Ich soll wo hingehen?"

„Nach Versailles. Eine Kutsche wird uns heute Abend um sechs abholen und uns dort hinbringen. Catarina wird gegen Mittag hier in Paris ankommen, sie war bis vor kurzem noch in China."

„Magnus... wie hast du dir das vorgestellt? Glaubst du wirklich, dass ich freiwillig mit dir auf so eine Veranstaltung gehe?", schnaubte Ragnor. „Eigentlich hatte ich eher daran gedacht, dich bewusstlos zu schlagen und mit mir mitzuschleppen, aber wenn du freiwillig mitkommen würdest, könnte ich mir eine Menge Ärger sparen", entgegnete Magnus ernst, konnte sich das Lächeln aber nicht verkneifen.

„Du bist verrückt, Bane. Wieso sollte ich mit dir auf ein Fest gehen? Du stiftest doch überall nur Chaos."

„Ich bezeichne es lieber als Bereicherung an Freude meines Umfelds. Ach komm Ragnor, gib dir einen Ruck. Wann haben wir drei zuletzt etwas gemeinsam erlebt? Das wird ein Riesenspaß!", versuchte Magnus Ragnor zu überzeugen.

Nach weiteren zehn Minuten Betteln und Flehen vonseiten Magnus, stimmte Ragnor endlich zu. „In Ordnung, ich komme mit. Aber wehe dir, heute Abend stellst du irgendetwas Schlimmes an. Dann werde ich mich gezwungen sehen, deine grässliche Kleidung in der Seine zu versenken. Also reiß dich gefälligst zusammen!"

Magnus fing an zu strahlen wie ein Honigkuchenpferd. „Ich komme später mit Catarina vorbei, dann können wir noch gemeinsam zu Mittag essen und uns auf den Ball vorbereiten. Bis später, meine Zuckerschote!" Schnell verließ Magnus das Zimmer, sodass der Wasserkrug, den Ragnor nach ihm warf, mit einem lauten Scheppern von der Wand abprallte.





Die Chroniken des Ragnor FellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt