Kapitel 3:
Meine Mutter öffnete die Tür. Von ihren Augen ist die billige Mascara runter gelaufen, als sie bei unserem Gespräch in Tränen ausbrach.
Ich konnte ihr einfach nicht in die Augen schauen, doch ich spürte, wie sehr sie sich freute mich endlich wieder zu sehen. "Komm rein", bat sie mich. Ich drehte mich zu meinem Bruder um, der immer noch am Auto stand und ging zu ihm. "Komm du auch bitte mit, wir sind alle eine Fa... Fam... Freunde", räusperte ich. "Okay."
Während wir alle stumm im Wohnzimmer saßen, machte meine Adoptivmutter für uns alle einen Kaffee, schließlich war es inzwischen schon 23:12 Uhr und alle sahen aus, als würden sie gleich einschlafen. Meine Augen blickten zu meinem Adoptivvater. Er sah so aus, als könnte er jeden Moment durchdrehen und Amok laufen. Irgendwie empfand ich Mitleid mit ihnen, obwohl ich ja eigentlich bemitleidet werden müsste; ich bin die, die so viele Jahre belogen wurde. Die Blumen auf dem Tisch wirkten in dieser traurigen und wütenden Atmosphäre etwas verstörend. Es waren blutrote Rosen.
Gabi, meine Adoptivmutter, betrat den Raum und lockerte die Stimmung wieder etwas auf, indem sie jedem von uns Kaffee einschenkte. "Danke, Gabi."
Sie starrte mich an, als hätte ich gerade jemanden ermordet. Ich wusste, wieso sie so erschrak. Normalerweise nenne ich sie immer Mama, doch da ich ja jetzt weiß, dass sie das gar nicht ist, nenne ich sie jetzt mit ihrem Namen.
Gabi versuchte sich wieder etwas zu beruhigen. Nachdem sie die Kaffeekanne abgestellt hatte, nahm sie neben meinem Bruder auf der Couch platzt. Nun saß sie mir genau gegenüber. "Also, was führt dich jetzt wieder zu uns?"
"Ich würde mich gerne mit euch aussprechen und euch um einen Gefallen bitten." "Klingt vernünftig", äußerte sich Klaus (wie gesagt, ich nenne meine Adoptiveltern jetzt bei ihrem Namen). "Mit was wollt ihr anfangen?", fragte ich. "Mit dem Aussprechen", entgegnete George. Stille, niemand wollte etwas dazu sagen.
Nach einer kurzen Pause brach Gabi das Schweigen. "Wir lieben dich wie unsere eigene Tochter." Erneute Stille. Ich konnte dazu einfach nichts sagen, mein Mund war wie zugeschnürt. Am Liebsten wäre ich an diesem Punkt wieder abgehauen, aber abhauen kann man eben nicht immer, man muss sich auch bestimmten Sachen stellen.
"Schau mich an", befahl Gabi. "Bitte schau mir in die Augen." Ihre Stimme hörte sich zerbrechlich und traurig an, als würde sie schon fast darum betteln von mir einen Blick zu erhaschen.
"Die Situation ist nicht gerade leicht für mich, das müsst ihr verstehen", antwortete ich. Mein Blick ruhte immer noch auf unseren Wohnzimmerboden.
Klaus stand auf. "Schau mich an Kleines, bitte schau mich an!", flehte er mich an und kam zu mir herüber. Sanft hub er mit seinen zwei Fingern mein Kinn nach oben, damit ich gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. Erst jetzt erkannte ich, dass auch er geweint hat. "Wir verstehen dich und wir wissen auch, dass du jetzt eine Auszeit brauchst, keine Frage. Doch wir wollen nicht, dass du uns ignorierst und uns verachtest."
Mal wieder schaffte es Klaus mich zu überzeugen, ich wusste zwar nicht wieso, aber er konnte es irgendwie immer wieder.
"Ich bin dankbar dafür, dass ihr mich all die Jahre aufgezogen habt und mich lieben gelernt habt, doch ich bin jetzt schon 16 Jahre alt und muss allmählich meine eigenen Wege gehen, aber ich hoffe, dass ihr mich dabei unterstützt."
"Wir helfen dir, wo wir dir nur helfen können", entgegneten meine Adoptiveltern. George stimmte mit einem Kopfnicken zu. Gut zu wissen, dass ich nicht ganz alleine auf dieser Welt bin. "Worin sollen wir dir als erstes helfen?", wollte Klaus wissen.
Ich überlegte eine Zeit bis ich antwortete. "Habt ihr irgendwelche Informationen über meine leiblichen Eltern oder meinen Verwandten?"
"Warte kurz", sagte Gabi und ging die Treppe nach oben.
Langsam lockerte sich die Stimmung auf und etwas Frieden kehrte ein.
Nach fünf Minuten kam sie mit einer Box zurück, die sie mir dann in die Hand drückte. "Hier, schau mal."
Ich öffnete die kleine Kiste.
In der Kiste befand sich ein Foto und ein Zettel. Auf dem Bild war eine Frau zu erkennen. "Das ist deine Mutter", zeigte mir Gabi.
Meine Gefühle spielten Achterbahn und ich fing an zu weinen, aus Freude und gleichzeitig aus Traurigkeit. Dieser Mensch ist mir völlig fremd, dennoch hat er mich auf die Welt gebracht. Ich drehte das Bild um, hinten stand ein Datum, wann das Foto geschossen wurde. Meine Mutter musste sehr jung gewesen sein, als sie mich bekam, denn sie sah nicht sehr alt aus, ich schätzte sie so auf ungefähr 19 Jahre. "Wie alt war meine Mutter, als sie mich bekam?" "17 Jahre alt." Ich schluckte. Mit 17? Würde ich nächstes Jahr ein Kind bekommen, wäre das ein rießen Schock für mich, man ist ja schließlich nicht einmal richtig erwachsen. Und wer würde sich dann um das Kind kümmern?
"Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich", riss mich George aus meinen Gedanken. "Du hast die Haare und die Nase deiner Mutter und die Augen und den Mund. Man könnte fast schon sagen, ihr seit Zwillinge, wenn sie im selben Alter wäre wie du." Er deutete auf das Bild. Er hatte recht, es war klar zu erkennen, dass sie meine Mutter sein musste. Ich entdeckte den Zettel.
Jemand hatte mit einem blauen Kugelschreiber darauf geschrieben: Für meine Tochter. "Lies dir den Brief durch. Den hat deine Mutter für dich geschrieben." Meine Hand fing an zu schwitzen, ich wurde nervös. Ich kannte meine Mutter nicht, aber sollte diesen Brief von ihr öffnen? Was ist, wenn ich etwas ganz anderes erwarte, wie ich mir erhoffe? Was dann?
"Nun öffne ihn schon", drängte mich Klaus. Tief ein- und ausatmen, du schaffst das Mandy, sprach ich mir selbst zu. Jeder sah mir gespannt zu, als ich ihn auf machte und ihn auseinander faltete.
Ich fing an zu lesen...
Liebe Tochter,
Ich weiß nicht wie alt du jetzt bist und wo du bist und wie es dir dort geht, doch ich bin froh, dass du diesen Brief überhaupt bekommen hast. Ich war 17 Jahre alt, als ich dich bekommen habe und es tut mir Leid dir dies zu berichten, aber ich weiß nicht wer dein Vater ist. Es kommen zwei Personen in Frage. Der eine Mann hieß Robert Richardson, der andere Ferdinand Böllert, vll findest du ja etwas über sie heraus und ich hoffe auch, dass du mich finden willst. Mein ganzer Name ist Ashley Amy Hiller. Ich habe auch einen Bruder, sein Name ist Eduard. Eine Schwester habe ich auch, aber sie ist sehr jung verstorben. Ich hoffe ich konnte dir etwas weiter helfen und wenn du mehr Informationen brauchst, kannst du mich gerne aufsuchen und wir können uns kennen lernen.
Deine Mutter Ashley.
Ich strich über ihre Unterschrift. Meine Mutter. Das hat meine Mutter geschrieben.
Dennoch lieferte der Brief nicht sehr viele Informationen, wieso sie mich eigentlich weggegeben hat. Und es ist nicht einmal sicher, wer mein Vater sein soll? Ich bekam ein mulmiges Gefühl.
Gabi riss mich erneut aus meinen Gedanken. "Das ist das einzigste, was wir von ihr haben, aber danach kam nichts mehr. Wir haben ihr unsere Nummer gegeben, damit sie sich informieren konnte, wie es dir geht, doch es kam nie ein Anruf, nichts. Was wir aber noch haben, ist die Adresse vom Krankenhaus, indem du geboren bist. Dort könntest du deine Suche starten."
"Ihr helft mir wirklich viel, vielen Dank dafür", lächelte ich in die Runde. "Soll ich jetzt gleich anrufen, oder besser erst morgen?", fragte ich.
"Ich würde sagen, du schläfst jetzt erst einmal eine Runde und morgen wecken wir dich so früh es geht und dann kannst du gleich anrufen, Deal?", bat mir Klaus an.
"Deal".
In dieser Nacht konnte ich kaum einschlafen, denn ich hatte zu viel davor Angst, was mich wohl erwarten würde. Irgendein Gefühl sagte mir, ich solle mich nicht nach der Vergangenheit umsehen, sondern in die Zukunft schauen. Ich soll auf meinem Weg bleiben und mich nicht abbringen lassen, von dem, was einmal war.
Hatte das Gefühl recht oder war ich einfach nur nervös und redete mir Blödsinn ein?
Mal sehen was der nächste Tag so bringt.
Dies war mein letzter Gedanke bevor ich einschlief...
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Strich und Strick
Misteri / ThrillerDie 16-jährige Mandy hat vor Kurzem erfahren, dass ihre angeblichen Eltern sie gleich nach der Geburt adoptiert haben. Nach dieser schrecklichen Erkenntnis, dass ihr ganzes Leben auf einen großen Lüge basiert, trifft sie folgenden Entschluss: Sie wi...