„Dieses Kribbeln, das ich zu Imbolc gespürt habe - die Göttinnenenergie - wenn ich male, dann spüre ich es wieder ganz deutlich.", sagte sie nach zwei Wochen, als sie seit längerer Zeit mal wieder einen Abend mit Anna verbrachte. Anna freute sich nun noch mehr, und erklärte Britta, dass sie die Göttin in sich selbst erweckt habe, und dass Sie es sei, die ihre Kraft in Brittas Bilder fließen lasse. Brittas Augen glühten, und ihre Wangen auch, und Anna wusste, dass Britta den Weg zu sich selber beschritten hatte.
Der Fußboden in Brittas Zimmer war längst nicht mehr leer. Überall lagen Bilder herum, die Britta mit Haarspray einsprühte, damit die Kreide nicht all zu sehr staubte.
Die Anderen machten bereits ihre Witze darüber, dass man an den Kreidespuren, die sich nun überall breit zu machen schienen, immer erkennen konnte, wo sich ihr Neuzugang gerade befand. „Kreidenuckel" nannte Monika sie und auch Leonhard schien Gefallen an diesem Kosenamen zu finden.
Britta schien das nicht zu stören, ja nicht einmal zu verunsichern. Auch das war ein enormer Fortschritt, fand Anna.
Britta malte alles, was ihr in den Sinn kam. Sie schien ein ausgeprägtes Gespür dafür zu haben, wie sich die inneren Ebenen in die offensichtliche Welt fügten, und konnte dies auf einzigartige Weise in ihren Bildern zeigen.
An den Nachmittagen verbrachte sie immer noch viel Zeit mit Stella, was Anna gerade recht kam, denn es war allmählich Zeit geworden, den Garten frühlingsreif zu machen. Sie trug neuen Mutterboden auf, pflanzte und harkte ganze Tage lang.
Sie genoss es sehr, nach der langen Winterpause wieder mit ihren Händen durch die Erde fahren zu können. Die Krokusse und Tulpen, Märzbecher und Forsythien blühten, und die Luft roch längst nicht mehr nach Winter. Selbst nicht im Herzen der Stadt.
Die alte Inga half ihr, so gut sie konnte, bei der Gartenarbeit. Irgendwo in Annas Magen rumorte stets gut verdrängt, aber immer hinterhältiger das wilde Tier Eifersucht, von dem Anna nun immerhin wusste, dass es ihr ärgster Feind war. Sie hatte stets Marias mahnende Wort im Ohr und wusste, dass sie dringend mit Leonhard reden musste. Leonhard wurde immer stiller und zog sich mehr und mehr zurück, und die Angst, dass es schon zu spät sein konnte, hatte sich in eine Ecke ihres Bewusstseins gedrängt, und hielt sie doch immer wieder davon ab, mit ihm zu reden... Die viele Gartenarbeit war da die willkommenste Ablenkung und Ausrede zugleich.
Bei der Gartenarbeit war es auch, dass die alte Inga sie auf einen Aspekt in Brittas Leben aufmerksam machte, der Anna bisher entgangen war.
Inga ging jeden Morgen bereits um sechs Uhr in den Garten, um Joseph seinen Morgenbrei zu bringen. Er stand um fünf Uhr auf, hielt eine Andacht, und saß dann betend vor seiner Hütte, bis Inga kam. Früher waren die beiden Alten die einzigen gewesen, die schon so früh auf den Beinen waren. Dann kam Tomo, oder Tomohisa, wie er mit vollem Namen hieß, vor etwa einem Jahr dazu. Er machte um diese Zeit seine morgendlichen Übungen.
Und eines Morgens vor kurzem, so hatte Inga festgestellt, war auch Britta früh im Garten aufgetaucht. Offenbar hatte sie nicht mehr schlafen können.
Joseph war bereits zum frühstücken in seiner Hütte verschwunden, und auch Inga hatte sich gerade auf den Weg zurück ins Haus gemacht. Nur Tomo stand in dem Teil des Gartens, der direkt vor seinem Zimmer lag. Sein Zimmer war das einzige, welches nebst dem Wohnzimmer auch eine Balkontür zum Garten besaß. Und Britta kam, stand, schaute, schien fasziniert von seinen anmutigen Bewegungen. Der Malblock in ihrer Hand hatte nur mehr eine Alibifunktion.
„Das war vor zwei Wochen, gerade als das Mädchen mit dem Malen angefangen hat, und seit dem ist sie jeden Morgen dort und schaut ihm zu. Wenn du mich fragst, die Kleine ist verliebt in unseren edlen Samurai!" Inga schmunzelte vor sich hin.
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Der Dachgarten
General FictionEigentlich hätte es Brittas letzter Gang sein sollen. Ausgestattet mit einer Zyankalikapsel will sie alles hinter sich lassen - vor allem sich selbst. Doch dann stürzt vor ihr das blinde Mädchen Stella ins Wasser, und Britta rettet ihr das Leben. Da...