Leonhard. Lammas. (2. Teil)

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„Was wollte die denn von dir?", wollte Monika wissen.

„Stell dir vor, ihr Vater hat eine angesehene Galerie, und sie hat letzte Woche eins meiner Bilder gesehen, und sie sagt, es sei genau die Art von Bildern, die er sucht. Sie hat mir die Adresse gegeben, und ich soll direkt morgen früh eine Mappe mit Bildern vorbeibringen, und sie ihm zeigen... Ist das nicht toll?"

Brittas Augen strahlten, und Leonhard freute sich sogar halbwegs für sie. Das ging ihn schließlich gar nichts an... Eigentlich. Trotzdem ließ ihn das Gefühl nicht los, dass da irgendwas im Busch war. Was genau, konnte er beim besten Willen nicht sagen, aber er spürte, dass es eben doch irgendwie mit ihm zusammenhing.

Monika schien perplex und begann Britta mit Fragen zu löchern, über Art und Örtlichkeit der Galerie, und auch sie schien, genau wie zuvor Britta, allen Argwohn zu vergessen. Diese ganze Geschichte betraf ja wirklich in keiner Weise die Leidenschaft Jacquelines für ihren Lehrer. Eine so offensichtliche Leidenschaft, dass sie auch den beiden Mädchen nicht entgangen war. 

Vielleicht wurde er langsam einfach paranoid.

Er nahm sich vor, nicht weiter darüber nachzudenken, und sich über Brittas unverhofftes Glück zu freuen. Vielleicht war alles nur die Auswirkung der Rune „Fehu" – Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Macht der Runen als derartig kraftvoll erwiesen hätte. 

Zuhause angekommen, war natürlich die gute Neuigkeit das Hauptthema in der WG. Leonhard verabschiedete sich früh aus der Runde. Erstens konnte er Annas Blick, der so tat, als sei nichts gewesen, es gleichzeitig aber nicht wagte, den seinen zu kreuzen, nicht ertragen, und zweitens wollte er noch meditieren, um dann früh ins Bett zu gehen. Er musste am nächsten Morgen stark genug sein, Herrn Axtmann und seinen Kollegen zu trotzen. Er würde sich für alle Fälle die „Thurisaz"-Rune mitnehmen. Sie war ein Schutz gegen Angriffe. Er verwendete sie nur im Notfall, denn sie brachte meist auch Streit mit sich.

Leonhard setzte sich wie immer zum Meditieren auf den Dachgarten. Um diese Zeit war hier niemand. Die anderen saßen in der Küche und er hörte ihre Stimmen leise zu sich hinausdringen. Sie mischten sich mit dem entfernten Brausen der Stadt, und als er die Augen schloss, war er dankbar über die Ruhe, die nun einkehrte. 

Doch gerade, als er so richtig tief in die Entspannung hinein rutschen wollte, drängelte sich mit unerträglicher Penetranz ein Bild vor sein inneres Auge: Jacqueline. Wieder. Genervt probierte er alle lang erlernten Techniken zum loswerden lästiger Gedanken, aber ihr Bild schien wie eingebrannt in das Orange seiner Augenlider. Er konnte es kaum ertragen. Sicherlich, Jacqueline war eine schöne Frau, aber etwas an ihr schien ihn in einer Weise zu fesseln, die nichts mit Verliebtsein zu tun hatte. Es kamen keine Schmetterlinge im Bauch auf bei ihrem Anblick. 

In jenem Moment, als er sich entschloss, die Augen zu öffnen, weil er ihr Bild endgültig nicht mehr sehen wollte, erhaschte er einen kurzen Blick auf eine Rune, die er nur sehr selten benutzte. Das innere Bild hatte sich verändert. Das Mädchen hielt ihm nun mit ausgestreckten Armen eine große Steintafel entgegen und ihre Augen hatten einen stechenden Ausdruck angenommen. Ein Schauder lief ihm über den Rücken, als er in den Garten blickte.

Die Rune, die sie vor sich hergetragen hatte, hieß „Menaz". Diese Rune wurde benutzt, um bestehende Verbindungen zu stärken und wenn man weise genug war, konnte sie auch dazu dienen, das tiefste Wesen einer Situation zu erschauen. Solche grundsätzlichen Hinweise zu den Runen hatte Leonhard seinen Schülern bereits ganz zu Anfang des Kurses vermittelt. 

Man konnte mit dieser Rune jedoch auch in die Gedanken anderer Menschen eindringen, und wenn man wusste wie, diese auch beherrschen... Jene erschreckende und dunkle Seite der Rune hatte er bewusst nicht gelehrt, aber offenbar hatte Jacqueline diese Informationen trotzdem irgendwo gefunden und, was das Schlimme war, auch angewendet.

Der DachgartenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt