Am Morgen wachte sie spät auf. Die Sonne stand schon recht hoch am Himmel und rasch zogen Wolken über sie hinweg, sodass ihr Zimmer mal heller und mal kaum beleuchtet wurde. Es war elf, und glücklicherweise ein arbeitsfreier Samstag.
Doch egal welcher Wochentag – so lange hatten ihre Eltern sie niemals schlafen lassen, früher, als sie noch regelmäßig in diesem Zimmer des kleinen Hauses aufgewacht war. Während sie duschte, dachte sie darüber nach, warum sie nicht hier wohnen geblieben war. Es war ein formidables Haus, dass allen Luxus bot, den man sich wünschen konnte. Und sie hätte es für die Hälfte des Jahres ganz für sich allein gehabt. Als sie es vor vier Jahren das erste Mal verlassen hatte, war das kein Auszug in dem Sinne gewesen. Etwas rat- und rastlos hatte sie sich nach dem Abitur entschieden, erst einmal zu reisen.
Das Geld, das ihre Eltern ihr für ein Studium angelegt hatten, war vollständig ihren Aufenthalten in Neuseeland, Indien und Paraguay anheim gefallen. Und in Indien, wo sie zuletzt gewesen war, hatte sie schließlich in einem Projekt für Straßenkinder mitgearbeitet, um sich so ihre Kost und Logis zu sichern. Es war eine spannende, aufreibende Zeit gewesen. Bei jenem Projekt war es auch gewesen, dass sie Karim kennen gelernt hatte, der seit drei Jahren in Deutschland studierte, und in den Semesterferien immer wieder etwas Leben abseits der Paragraphen suchte. Mit ihm war sie noch weitere vier Wochen durch die indischen Städte getrampt.
Sie hatten sich als Ehepaar ausgegeben, und so waren sie beide in Ruhe gelassen worden. Das Alleinreisen hatte sich nämlich besonders für sie, als einigermaßen hübsche Europäerin als nicht besonders unverfänglich erwiesen. Das ein oder andere Mal war man der Meinung gewesen, sie habe eindeutige Absichten geäußert, nur weil sie sich mit jemandem unterhalten hatte.
Als sie schließlich wieder zurückgekehrt war, hatte sie nur wenige Tage benötigt, um zu bemerken, dass sie nie wieder bei ihren Eltern würde leben können. Abgesehen davon, dass diese alles andere als begeistert darüber waren, dass Monika all ihre Studienrücklagen aufgebraucht hatte, waren auch so immer mehr Diskrepanzen spürbar geworden.
Monika hatte andere Lebensarten kennen gelernt, die ihr mehr entsprachen als die ihrer Eltern, und das missfiel. Außerdem hatte Monika sich in Indien dazu entschlossen, Hebamme zu werden, weshalb sie auch ohne schlechtes Gefühl sämtliche Geld-Reserven hatte verbrauchen können. Schließlich würde sie bereits mit der Ausbildung Geld verdienen. Ihre Eltern, für die eine Alternative zum Studium jedoch niemals in Betracht gekommen wäre, hatten sie bereits nach sechs Wochen in Neuseeland gedrängt, doch endlich zurück zu kommen. Als sie dann nach gut einem Jahr endlich tatsächlich wieder da war, konnten sie mit ihrer Tochter kaum noch etwas anfangen.
Monika stieg aus der Dusche und trocknete sich ab. Sie ging hinunter in die Küche, in der natürlich nichts Essbares zu finden war, und kochte sich nur einen Kaffee. Seufzend setzte sie sich an den Küchentisch.
Als sie etwa ein Monat nach ihrer Rückkehr aus Indien wieder wegging, um zu Karim in die Dachgarten-WG zu ziehen, hatten ihre Eltern das als persönliche Beleidigung aufgefasst. Dabei war es einfach an der Zeit gewesen. Es gab nichts, worüber sie hätten beleidigt sein können, denn schließlich gab es auch nichts, was Monika ihnen zum Vorwurf gemacht hätte. Sie war sehr behütet aufgewachsen, und als einzige Tochter hatte ihr immer alle Aufmerksamkeit der Eltern gegolten. Sie war auf die besten Schulen gegangen, hatte ihre Sommer immer in der wunderschönen Finca auf Teneriffa verbracht und war in ihrem Freundeskreis stets die am Besten gekleidete gewesen. Ihre Eltern hatten sie für eine blendende Karrierelaufbahn ausgerüstet. Jura, Medizin, oder International Business. Das hätte sie ganz frei wählen können.
Die Dinge waren anders gekommen, und ihre Eltern der Meinung, sie hätten alles in ihrer Macht stehende getan, und sich nun einen recht kinderlosen Ruhestand verdient...
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Der Dachgarten
Aktuelle LiteraturEigentlich hätte es Brittas letzter Gang sein sollen. Ausgestattet mit einer Zyankalikapsel will sie alles hinter sich lassen - vor allem sich selbst. Doch dann stürzt vor ihr das blinde Mädchen Stella ins Wasser, und Britta rettet ihr das Leben. Da...