Kapitel 1

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Mein Wecker klingelte und mal wieder habe ich in der Nacht kein Auge zu gemacht. Das ging jetzt schon seit einiger Zeit so. Vielleicht zwei Jahre? Die ersten Sonnenstrahlen fielen in mein kleines, grünes Zimmer hinein und die Unordnung wurde deutlich sichtbar. Chaos ist mein zweiter Name. Nein. Eigentlich mein Dritter, denn ich heiße Lia Loreen Lorett. Ich bin ein sechzehn Jähriges, schlankes Mädchen, ca. 1,70 groß und habe lange, lockige, braune Haare, die meine strahlend grünen Augen geradezu betonen. Langsam quälte ich mich aus meinem Bett heraus und ging in Richtung Badezimmer. Ich nahm mir die Haarbürste und kämmte mein zerzaustes Haar und machte anschließend einen Zopf daraus. Wer ist das da im Spiegel? Sie wirkt sympathisch, freundlich und wunderschön. Alles was ich nicht bin, denn mein Inneres ist das komplette Gegenteil davon. Ich wusch mir mein Gesicht und trug ein dezentes Make-up auf. Ich verließ das Badezimmer und kehrte in mein Zimmer zurück. Ich öffnete die Kleiderschranktüren und entschied mich für eine Hotpen, ein weißes Bandtop und einem schwarzen, luftigem Top darüber. Wir hatten schließlich Sommer. Ich begab mich nach unten wo Abby schon am Esstisch saß. Abby ist um die 40 Jahre alt, ein schlankes Wesen, hat kurze blonde Haare, ein schwarze Brille und ist stets zu gut gelaunt. Nach den Geschehnissen vor zwei Jahren bin ich bei ihr untergekommen und lebte seitdem nun bei ihr. Mit einer Mutter konnte ich sie nicht vergleichen, sie wäre auch nie meine geworden, eher eine Mitbewohnerin. Als sie mich erblickte, lächelte sie mich mit ihren weißen Zähnen an. „Guten Morgen mein Sonnenschein. Hast du gut geschlafen? Ich habe wundervoll geträumt. Was für ein Erlebnis und dann dieser gut aussehende Kerl." Sie seufzte und war wieder in ihrer eigenen Welt. Von ihrer morgendlichen Hyperaktivität bekam ich nur Kopfschmerzen, also tat ich das wie immer. Ich ignorierte sie und saß mich einfach an das andere Ende vom Tisch und aß mein Müsli, was sie mir wie jeden Morgen bereits fertig hingestellt hatte. Ich versuchte mich möglichst zu beeilen, bevor Abby wieder in die echte Welt zurückkehrte. Die echte Welt. In der war ich schon lange nicht mehr. Wenn ich so überlege, lasse ich niemanden näher an mich heran. Das ist mir auch zu blöd. Dann kommen sie an mit Freundschaft schließen und so. Was soll das denn bitte einem bringen? Am Ende sind sie sowieso nicht da, wenn du sie brauchst. Ich war fertig und zog mir meine Schuhe an, um dann Richtung Haustür zu flüchten, doch Abby war schneller. „Na na na! Wo wollen wir denn ohne unser Pausenbrot hin?" wartend auf eine Antwort starrte sie mich an. „Abby" fing ich langsam an „Was deine Kochkünste angeht, auch wenn es nur ein Sandwich ist, sind grausam. Willst du mich wirklich vergiften mit deiner Algensalami und Thunfischpasta?" Verwundert sah sie mich an. „Aber das ist gesund und enthält wichtige Stoffe, die du brauchst." Ich seufzte und nahm das Sandwich entgegen, weil ich genau wusste, dass sie nicht nachgeben würde. Sie würde es mir selbst in der Schule die ganze Zeit hinterher tragen, bis ich es annehmen würde. Dann drehte ich mich um und ging aus der Haustür heraus. Ich hörte nur noch ein einfaches „Tschüss" hinter mir herrufen, bevor mein Haus nicht mehr in Sichtweite war. Paar hundert Meter die Straße runter befand sich auch schon meine Schule. Die fünfte Straßenlaterne und wie immer war er da und schloss sich mir an. „Auch mal da? Geht das nicht schneller? Es ist ziemlich lästig solange an einem Fleck zu stehen und auf dich zu warten" hörte ich ihn spöttisch sagen. „Niemand zwingt dich dazu. Ich wäre sogar froh, wenn du endlich aufhören würdest mich immer zu verfolgen Dane!" Dane. Ca. 1,85 groß, schlank, muskulös, braun-rote Haare und smaragdfarbig grüne Augen. Er ist ein wundervoller und für mich sehr wichtiger Freund, laut ihm. Meine Sicht ist dabei vollkommen egal. Er hat irgendwann angefangen sich zu meinem Kumpel zu erklären und seitdem läuft er mir hinterher wie ein kleines Muttersöhnchen und macht mir damit auch noch Probleme. Denn durch seinen Charakter und seinem Aussehen, hat er viele weibliche, als auch männliche Fans. Kurz gesagt. Er ist mit einer der beliebtesten Typen der Schule und ich kann ihn nicht ausstehen. Genervt ging ich weiter, mit der Bemühung ihn so gut wie möglich zu ignorieren. „Lügnerin. Du würdest mich vermissen. Sei ehrlich. Du würdest vollkommen vereinsamen, wenn ich nicht da wäre." Genervt sah ich ihn an. „Total." Erwiderte ich ironisch. Er lachte leise und schenkte mir dieses mysteriöse Lächeln, wobei ich mich immer anfing zu fragen, was denn in seinem kranken Hirn vorging, mir dann aber dachte, dass Unwissenheit Segen sei und es dabei beließ. Während des ganzen Weges laberte er mich wie jeden Tag mit scheiße voll bis wir in unserem Klassenzimmer angekommen waren und er von weiblichen Fans von Guten Morgen Grüßen überhäuft wurde. Zu meinem Glück muss man dazu sagen. Ich setzte mich auf meinen Platz und ließ meine Schultasche neben mir fallen. Mit dem Kopf in der Hand abgestützt, beobachtete ich das Geschehen und amüsierte mich über seine Hilflosigkeit, wen er denn als erstes umarmen solle. Mein Mundwinkel zuckte. Wollte ich etwa lachen? Wahrscheinlich nur aus Spott. „Nanu? Ein Versuch zu lächeln am frühen Morgen? Bist du krank Lia?" Ich drehte meinen Kopf zu Julius um, der sich mit seinem Stuhl umgedreht hatte, um sich an meinen Tisch zu setzten. Julius. Vom Körperbau nicht viel anders als Dane. Statt rot-braune Haare, fielen ihm schwarze Strähnen ins Gesicht und braune Augen fixierten mich. Doch eins unterscheidet die beiden drastisch von einander. Der Charakter. Er war deutlich ruhiger und nicht so nervig wie Dane. Ich widmete mich wieder seiner Frage. „Wohl eher Schadenfreudig. Geschieht im Recht. Mich so früh am Morgen schon zu nerven." Gelangweilt runzelte ich die Stirn. Julius lächelte. „ So ist er nun mal. Durch und durch ein Kind." Jetzt musste ich doch einmal schmunzeln. „ Da hast du wohl Recht." Mit Julius konnte man sich zumindest vernünftig unterhalten. Doch dieses sollte keine Unterhaltung werden, denn Dane kam dazu. Würde er mich denn nie in Ruhe lassen? Doch statt wie immer eine blöde Bemerkung zu machen, schlang er von hinten seine Arme um meine Schultern und drückte mich sanft an sich heran. Ich war so überrascht, dass ich keine Reaktion hervorbrachte. Als wäre es für mich normal. Über meine Schulte hinweg grinste er Julius an, der auch leicht verwirrt zu sein schien. „Ich konnte mich einfach nicht entscheiden, wen ich denn als erstes umarmen sollte und dann kam mir der Gedanke, dass es nur eine Person gibt, die noch nie von mir umarmt wurde." Jetzt grinste er mich fett an und zum ersten Mal nahm ich seine strahlend weißen Zähne und seinen wunderbaren Duft war, der eine beruhigende Wirkung hatte. Bitte was?! Julius hatte definitiv Recht. Ich war krank, wenn ich schon sowas dachte. Ich meine, es ist schließlich Dane, der, der mich jeden Tag nervt und wie jetzt gerade wieder Probleme machte, denn die Mädchen meiner und anderer Klassen, auch wenn ich nicht wusste was sie hier zu suchen hatten, fixierten mich mit ihren mörderischen Blicken. Abrupt löste ich mich aus dieser ungewollten Umarmung und sah ihn böse an, was nur dazu beitrug, dass sei Grinsen noch größer wurde. „Musst du immer andere Leute belästigen?" fauchte ich ihn an. „Belästigen? Ich würde das eher liebkosen nennen, aber du hast Recht. Mit unserer Intimität belästigen wir Julius nur. Vielleicht sollten wir dafür lieber in die Abstellkammer gehen oder doch aufs Jungsklo?" „Was?!" entsetzt starrte ich ihn an. „Stimmt hast Recht. Auf dem Mädchenklo riecht es besser. Lass uns lieber dort hingehen." Immer noch fassungslos von seiner Blödheit gefangen, bemerkte ich nicht wie immer mehr Auge auf uns gerichtet waren. Julius räusperte sich und ich wurde aus meiner Trance herausgerissen. Verwirrt schaute ich mich um und guckte in lauter Mädchenaugen, die wahrscheinlich gerade Mordpläne schmiedeten. Verrückt. Doch bevor einer von ihnen auch nur das Zickenchaos starten konnte, klingelte es zur ersten Stunde und Herr Hinker, mein nach Rasierschaum stinkender Geographielehrer, betrat das Klassenzimmer. Schnell löste sich der mordlustige Mob auf und verschwand auf seine Plätze. Auch Julius drehte sich wieder nach vorne um und Dane ließ sich neben mir in seinen Stuhl fallen. Herr Hinker fing sofort mit dem heutigen Thema an und ich versuchte ihm so gut wie möglich zu folgen und meine Notizen zu machen. Dabei spürte ich durchgehend Danes Blick auf mir. Irgendwann wurde es mir dann auch zu blöd und ich guckte ihn fragend an. „Ja?" Seine eine Augenbraue hob sich. „Nix" „Und warum starrst du mich dann die ganze Zeit an?" fragte ich genervt. „Tu ich das?" fragte er gelangweilt. „Ähm, ja?!" Jetzt war ich eigentlich nur noch angepisst. Er und seine scheiß Spielchen. „Du solltest dich wirklich mehr auf den Unterricht konzentrieren anstatt mich immer abzulenken" Das waren seine letzten Worte, bevor er seinen Blick nach vorne wandte. Will er mich jetzt eigentlich komplett verarschen?! Ich soll ihn ablenken obwohl er mich die ganze Zeit über anstarrt?! Ich pack's nicht mehr. Aus dem wird man doch nie schlau. Am liebsten hätte ich ihn einfach in seine scheiß Fresse geschlagen und ihm gezeigt wo er sein dämliches Grinsen demnächst hinschieben kann, aber ich bin ja ein relativ vernünftiger Mensch. Relativ. Also trat ich ihm einmal kräftig aufm Fuß, was mir auch ein schmerzliches zusammenzucken von ihm einbrachte. Mehr wollte ich nicht. Ich sah wie Julius kurz über seine Schulter hinweg zu uns sah, um mir damit mitzuteilen, dass ich den armen Kerl noch leben lassen solle. Schweren Herzens sparte ich mir meinen Kommentar und versuchte wieder dem Unterricht zu folgen. Dabei war aber keine einzige Sekunde daran zu denken, denn alte Gedanken holten mich ein. Vor zwei Jahren. Er saß neben mir und schenkte mir dieses Lächeln. Ein blonder, gut aussehender Typ, den ich meinen Schatz nannte. Ja. Er war für mich einer der wichtigsten Menschen meines Lebens gewesen und dennoch. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. Er war nicht mehr da. Es war nicht mehr. Das alte Leben. Das war nun die Realität. Ich sollte endlich aufhören mich in der Vergangenheit zu sehen und erst mal versuchen mit dem echten Leben klar zu kommen. Doch das war leider nicht immer so einfach, wie ich jetzt schon oft genug festgestellt hatte. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Traver, eine für mich speziell zugewiesene Lehrkraft, kam hinein gestürmt. Erschrocken fuhr ich hoch. „Lia! Wir brauchen dich sofort im Labor 2. Es ist wichtig. Herr Hinker." Traver sah ihn erwartungsvoll an und Hinker nickte zustimmend. „Komm" Immer noch leicht planlos eilte ich hinter Travel hinterher und verließ den Klassenraum mit lauter fragenden Blicken, die mir hinterher schauten. Unter anderem auch Danes Blick, der aber weniger fragend, eher konzentriert war.




Die Suche nach meinem IchWhere stories live. Discover now