Ich entschloss mich dazu Abby nicht davon zu berichten, falls Traver das nicht schon längst erledigt hatte. Das tat er oft. Auch mal ab und zu, einfach so, rief er Abby an und unterhielt sich mit ihr über mich. Ob es mich ankotzt interessiert hier ja keinen. So wie immer halt. Scheiß drauf, dass ich mich dabei wie ein Außerirdischer oder so fühle. Ich steckte den Schlüssel ins Schloss der Haustür und öffnete sie. Stille. Kein Hallöle oder eine überstürzte Begrüßung mit tausend Medikamenten bewaffnet. Abby hatte immer noch nicht verstanden, dass bei einer Krankheit, wie ich sie habe, keine Medikamente halfen. Ich betrat das Haus und schloss die Tür. Spätestens jetzt müsste sie bemerkt haben, dass ich nach Hause gekommen bin, dennoch regte sich nichts. Sollte mich das beunruhigen? Ich ging den Flur runter und warf einen flüchtigen Blick in die Küche. Dort saß Abby zusammen gesunken auf der Bank, mit dem Kopf auf dem Tisch und bewegte sich nicht. „Abby!" rief ich panisch, ließ meine Sachen fallen und rannte zu ihr. „Abby! Sag doch was!" Ich hatte sie an den Schultern gepackt und rüttelte sie. Meine Panik wurde immer mehr. „Verdammte Scheiße Abby! Tu mir das nicht an!" schrie ich, hob ihren Kopf, holte mit der Hand aus und knallte ihr eine. Ihre Augen fingen an zu flattern. „Mhhhhh...ist es schon morgen?" Ich seufze vor Erleichterung. „Abby, was ist passiert? Geht's dir gut?" Ich musterte sie besorgt. „Passiert? Aber Schätzchen. Ich habe doch nur mein Nickerchen gemacht. Als ich vom Einkaufen nach Hause kam überfiel mich die Müdigkeit und ich war einfach zu faul um nach oben zu gehen, also dachte ich mir es macht sowieso keinen Unterschied und bin dann anscheinend beim dösen eingenickt. Aber davon mal abgesehen, wie siehst du denn aus? Deine Haare sind ja komplett zerzaust. Ist es so windig draußen?" Ich konnte einfach nicht. Ich konnte keinen einzigen Ton aus mir herausbringen. Lag es etwa dran, dass ich mich gerade einfach nur verarscht fühlte? Das ich gerade vor Angst beinahe gestorben wäre, weil ich fast wieder einen Menschen verloren hätte? Ich wusste es nicht, aber eins wusste ich, dass ich so schnell wie möglich mich zurückziehen musste. „Ähm..ja, es ist so windig." Traver hatte ihr es wohl noch nicht berichtet. „Ich werde dann mal auf mein Zimmer gehen." Ich drehte mich um und wollte schon nach oben entschwinden, als Abby mich noch einmal aufhielt. „Du weißt ganz genau, dass Traver mir nachher alles erzählen wird. Es bringt also nichts mir jetzt die Tapfere vorzuspielen. Wenn etwas passiert ist, sollst du mit mir darüber reden." Die Tapfere spielen? Darüber reden? Das tue ich schon seit zwei Jahren nicht mehr. „Hab ich verstanden Abby. Es ist nichts. Mir geht es gut. Ich bin dann oben." Eiserne Blicke bohrten sich in meinen Rücken und ich hatte das Gefühl, dass sie immer noch da waren, auch wenn ich nicht mehr in ihrem Blickfeld war. Ich betrat mein kleines Zimmer, schloss die Tür und blieb stehen. Mein Blick wanderte am Schrank vorbei zu meinem Regal, auf dem mehrere Bilderrahmen aufgestellt waren. Eines dieser Bilder hatte meine volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sein Rahmen war schwarz mit weißen Ranken als Verzierung und stand in der Mitte, umgeben von einer Rose und zwei kleinen Teelichtern. Langsam näherte ich mich diesen für mich so bedeutendem Gegenstand. Es war immer noch schwer und kaum möglich ohne Tränen in den Augen es bis zum Regal zu schaffen. Würde ich es überhaupt jemals schaffen? Irgendwann vielleicht. Zumindest meinte das der Psychologe immer. Aber meistens erzählen die auch nur irgendeine Scheiße und wissen noch nicht mal selber worüber sie gerade reden. Auf der Hälfte des Weges war es schon längst um mich geschehen und feuchte Perlen rollten über meine Wangen. Bis ich zum Bild angekommen war, würde schon ein neuer See entstanden sein. Als ich endlich davor stand, betrachtete ich langsam das Bild. Es waren vier Personen darauf zusehen. Ich kannte ihre Gesichter in und auswendig. Jedes kleinste Detail hatte sich fest in meinem Gehirn eingebrannt. Mein Herz zog sich zusammen. Es schmerzte jedes Mal aufs neue, wenn ich sie betrachtete. Ob sie sich wohl an mich erinnerten? Ich starrte auf das Bild. Meine kleine Schwester Lucy war gerade mal 9 Jahre alt und klammerte sich an das Bein meines Vaters, dessen Hand behutsam auf ihrem Kopf ruhte. In seinem anderem Arm hielt er eine attraktive Frau, meine Mum. Von ihr hatte ich meine grünen Augen. Meine Schwester hatte die von meinem Vater vererbt. Meine Mum umarmte auch ein Mädchen, das war ich. Im Alter von ca. dreizehn Jahren. Braune Strähnen fielen mir ins Gesicht und die Augen strahlten, mit einem fetten Grinsen im Gesicht, was mich wieder direkt an Dane erinnerte. Dane. Gedankenverloren ging zu meinem Bett hinüber und ließ mich darauf fallen. Noch nie hatte mich jemand nach dem Tod meiner Familie so zum grübeln gebracht. Er war anders und genau das, macht mir angst. Ich starrte weiter an die Decke, doch er ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Warum? Die ganzen Fragen kreisten sich immer wieder in meinen Gedanken herum. Ich schloss die Augen und stellte mir sein Gesicht vor. Mein Herz schlug schneller, ein leichtes Kribbeln machte sich im Bauch breit und meine Finger fingen leicht an zu zittern. Erschrocken zuckte ich zusammen und schlug meine Augen wieder auf und sah wieder an die Decke. Was war das? Nach den ganzen Filmen her, könnte man denken das...nein, das kann nicht sein. Dane?? Niemals. Oder? Ich stand auf und ging ins Bad um eine Dusche zu nehmen. Wieder starrte ich in den Spiegel und verbrachte Stunden vor dem Kleiderschrank. Bis ich denn ein passendes Schlafoutfit gefunden hatte, das Licht ausgemacht und mich unter meine Bettdecke gekuschelt hatte. Es ist warm und still. Noch nicht mal den Fernseher von unten kann ich hören. Immer wenn es still ist, fange ich an zu denken. Fange an alles zu hinterfragen. Fange an zu zweifeln. Woran? An die Menschen, an das Schicksal, an einfach alles. An meinen Gefühlen. Denn, wenn ich ehrlich zu mir bin, mag ich ihn. Ich drehte mich noch ein letztes Mal um und bevor ich in einen tiefen Schlaf fiel, war er mein letzter Gedanke. Liebe ihn.
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Die Suche nach meinem Ich
FantasyDie sechzehnjährige Lia hat vor zwei Jahren alles verloren was ihr lieb war. Mit der Gabe als Weltenwandlerin ist sie verflucht und tut sich mit ihrer Vergangenheit sehr schwer. Auf der speziellen Schule lernt sie mit ihrer Gabe umzugehen und sie be...