Kapitel 9

18 0 0
                                    


Ich wurde vom unsanften Klopfen an meiner Tür aus dem Schlaf gerissen. Ich hatte mich gestern nach unserem nächtlichen Gespräch zurück ins Zimmer begeben und mich aufs Bett gelegt. Ich hatte wohl meine Müdigkeit unterschätzt, aber anscheinend konnte ich ihn soweit vertrauen, dass er mich nicht im Schlaf umbringt. War doch schon mal gut oder? „Wenn du nicht bald aufstehst werde ich dich fesseln und hinter mir herziehen.", schnaubte mir Liam von der anderen Seite der Zimmertür zu. „Also doch ein Perversling." Erwiderte ich lässig. „Nur nicht sehr geduldig.", kam von der anderen Seite zurück. Genervt rollte ich mit den Augen und schwang mich vom Bett. In der Ecke des Zimmers befanden sich ein Spiegel an der Wand und davor ein Hocker auf dem ein Eimer mit Wasser stand. Ich wusch mein Gesicht und starrte wie immer in den Spiegel. Wow, sah ich fertig aus. Aber für diese Umstände war es gar nicht mal all zu schlecht. Ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht,drehte mich um und verließ das Zimmer. Delia war gerade dabei Rucksäcke mit Proviant und etlichen anderen Dingen, die ich noch nie gesehen hatte, zu füllen. Liam stand vor dem Kamin und prüfte sein Schwert. Es glänzte und hatte eine kühle, gefährliche Aura, mit der man sich lieber nicht anlegen wollte. Es sah schwer aus, aber Liam hielt es locker in seiner Hand. Er trug eine schwarze Hose und ein weißes Shirt, das seine Muskeln betonte. Von denen er, mal so neben bei, eine Menge hatte. Kein Wunder das er wie ein halbes Walross wog. Das erklärte so einiges. Ich hatte ihn wohl schon eine Weile angestarrt, denn plötzlich hob er seinen Kopf und zog fragend eine Augenbraue hoch. Das konnte er anscheinend gut. Immerhin konnte er etwas. Ich ignorierte ihn bewusst und sah zu Delia. Mir viel erst jetzt auf, dass sie spitze Ohren hatte, die von ihrem schmalen Gesicht deutlich abstanden. Sie hatte zu kleine Augen für ihr Gesicht. Ich schaute nochmal zu Liam rüber, um zu überprüfen ob er ebenfalls diese spitzen Ohren hatte und diese hatte er auch. Sie waren magische Wesen. Jeder normale Mensch hätte das für verrückt oder gar unmöglich empfunden, aber mich störte das nicht. Nein. Ich fand es schon längst normal, um genau zu sein alltäglich. Liam kam von den Isens, aber woher kam dann Delia. Er schaute wieder zu ihr. Also von Liams Erklärung her würde sie zu den Wings passen, aber sie hatte keine Flügel. Versteckte sie sie vielleicht? Ich ging zu ihr rüber. Sie beachtete mich nicht und ich hielt auch immer noch genügend Abstand. Reine Vorsichtsmaßnahme. Auf ihrem Rücken war deutlich eine Wölbung zu erkennen. Ob sie darunter ihre Flügel versteckte und wenn ja, warum? Und wenn sie jeweils von diesen Reichen abstanden, wieso befanden wir uns dann gerade in Hakuna? Was hielten sie geheim? Waren sie vielleicht auf der Flucht? So viele Fragen mal wieder. „Wie lange willst du uns noch anstarren? Ich dachte Menschen sind von Natur aus neugierig und hinterfragen alles?" Ich sah Liam an. „Würdest du sie mir denn beantworten?", fragte ich ihn. Er steckte sein Schwert zurück und schlang sich seinen Kartoffelsack wieder um. „Das kommt ganz auf die Frage an." Er sah mich abwartend an. „Ich bin aber nicht einer dieser Menschen. Leb damit oder lass es.", gab ich ihm als Antwort zurück. Er zuckte mit den Schultern. „Dann halt nicht. Delia, bist du jetzt endlich mal fertig?" Delia schnaubte empört. „Das ist also der Dank, dass ich dir deine Sachen packe und ja, ich bin fertig. Bekommt Lis auch einen Rucksack?" Sie warf mir schnell einen Blick zu. „Wenn du rechnen könntest, wüsstest du, dass wir nur zwei Rucksäcke haben und es wäre zu gefährlich ihr einen zu geben. Sie könnte abhauen und damit sogar noch überleben, aber bis dahin hätte ich sie sowieso schon wieder eingefangen." Ich ignorierte seine Stichelei. „Also, können wir aufbrechen?", fragte ich die beiden. „Warte. Du musst erst das noch überziehen." Liam warf mir einen schwarzen Stofflumpen zu. Ich fing ihn auf und betrachtete ihn. „Oh nein. Ich werde definitiv nicht so einen Kartoffelsack anziehen. Das kannst du knicken, mit mir nicht." Liam seufzte. „Also wirst du direkt entdeckt und anschließend getötet werden." Ich warf ihm einen giftigen Blick zu. „Vor wem verstecken wir uns denn überhaupt?" Er drehte sich um und ging in Richtung Tür. „Ich dachte du stellst keine Fragen." Dieser Kerl regte mich so auf. Ich schlang mir ebenfalls den Mantel um und folgte Liam. Delia ging als Letzte und schloss die Tür. Sie hatte sich ebenfalls einen Mantel angezogen, aber ihrer war braun und passte sich ihr perfekt an. Damit sah sie gar nicht mehr so schlimm wie vorher aus. „Tu einfach nichts Eigenständiges und folge uns. Verstanden?" Ich nickte knapp, auch wenn es mir nicht gerade gefiel, dass mir jemand Anweisungen gab wie ich mich zu Verhalten hatte. Wir liefen wieder zur Felswand und Liam wiederholte das von gestern und wir sprangen durch. Kaum als wir auf der anderem Seite standen, packte mich Liam am Handgelenk und drückte mich an die Wand. Ich wollte ihn eigentlich sagen, dass ich Schmerzen fühlen kann, aber ließ es, denn ich spürte wie angespannt er war. Er befand sich gerade auf nicht sicherem Territorium und das machte es gefährlich für uns alle. Er schaute sich vorsichtig nach allen Seiten um, dann stieß er sich von der Wand ab und ließ mich los. Rasch gingen wir tiefer in den Wald und entfernten uns immer weiter von der Felswand. „Und wo wollen wir jetzt nochmal genau hin?" fragte ich und versuchte dabei so gut wie möglich zu folgen, ohne auf die Fresse zu fliegen. „Zu einem der allwissenden Feenwesen in Renju. Ich glaube Rufus ist sogar der Allwissendste. Man sagt er sei so schlau, dass er deine Gedanken lesen kann." Liam legte an Tempo zu und Delia blieb immer dicht hinter mir. Sie hatte wohl Bedenken, dass ich wegrennen würde. Schlaues Mädchen. „Und wo genau finden wir ihn?" fragte ich Liam. „Man kann ihn nicht finden. Er muss uns finden.", entsetzt starrte ich ihn an, was er allerdings nicht sehen konnte. „Und wohin rennen wir denn gerade?!" Liam gab einen genervten Ton von sich. „Zu dem Ort, wo ich ihn als letztes sah, wo er mich beauftragt hatte, dich zu ihm zu bringen." Ich rollte mit den Augen. „Und wo genau wäre das?" Liam blieb abrupt stehen, drehte sich um und schaute mir in die Augen. „Meintest du nicht, du stellst nicht so viele fragen?" Ich hielt seinem Blick stand. „Das müsste ich auch nicht, wenn du nicht immer die wichtigsten Details auslassen würdest.", fauchte ich zurück. „Das letzte Mal sah ich ihn südlich der Grenze zu den Isens auf der Hakuna Seite." Delia trat einen Schritt vor, sie wollte wohl ihren Senf auch nochmal dazu geben oder versuchen eine geistreiche Bemerkung fallen zu lassen, was wirklich auf versuchen beruhte. „Liam, dann müssen wir aber den Wald komplett durchqueren und dann noch mit dem da." Sie zeigte auf mich. Sah ich denn wirklich so fremd aus? Ich hatte zwei Beine wie sie, zwei Arme, zwei Augen und eine Nase. Das Einzige was uns unterschied war, dass sie spitze Ohren und Flügel hatte. „Würdest du bitte, wenn du mich schon nicht beim Namen nennen willst, Mensch nennen?", gab ich ihr zu erkennen und sie wich meinem Blick aus. Liam sah genervt zwischen uns her. „Ich weiß Delia, aber es gibt keinen anderen Weg, es sei denn du möchtest durch die Drachenschlucht spazieren, dich auf einen raufschmeißen und fast getötet dabei werden." Ich schmunzelte. Ich wusste nicht warum, aber es war halt so. Delia warf mir einen giftigen Blick zu. Liam drehte sich wieder um und marschierte weiter. Wir liefen solange bis die Sonne langsam anfing unterzugehen. Wir hatten zwischendurch immer wieder kleinere Pausen gemacht, aber meine Füße schmerzten höllisch und ich war müde. Ich bekam nicht mit das Liam stehen blieb und rannte volle Kanne in ihn herein. Der Schwung schubste mich um und ich verlor das Gleichgewicht und war mal wieder auf dem besten Weg auf meinem Hintern zu fliegen, aber Liam packte mich rechtzeitig am Arm und zog mich an sich und trat sofort wieder einen Schritt von mir weg und ließ mich los. „Hilf Delia eine Feuerstelle einzurichten und die Schlafplätze vorzubereiten. Ich werde nach Feuerholz suchen." Dann drehte er sich um und verschwand hinter den Bäumen. Er war definitiv ein Mysterium für sich. Ich drehte mich ebenfalls um und ging zu Delia, die bereits damit beschäftig war, für die Feuerstelle Steine einzusammeln und einen Kreis daraus zu bilden. Ich folge ihrem Beispiel und half mit. Zum Schluss breiteten wir die Decken aus und ließen uns auf ihnen nieder, zum Wohle meiner Füße. Ich glaube in meinen letzten sechzehn Jahren war ich nie so viel gerannt wie heute. Sie schmerzten wirklich höllisch. Nach wenigen Minuten kam Liam dann auch mal wieder. Er stapelte einige der Holzstücke im Steinkreis und zündete ihn an. Danach ließ er sich gegenüber von mir nieder und starrte in das Feuer, das nach und nach größer wurde. Delia kramte in einer der Taschen rum und warf erst Liam, dann mir ein kleines Päckchen zu. Ich öffnete es und der Duft von Fleisch und Brot kam mir entgegen. Ich sah es zögernd an und mein Magen fing an zu knurren. „Wenn du es weiter so anstarrst wird es noch vor deinen Augen verschimmeln und nein, es ist nicht vergiftet." Ich sah nicht zu ihm rüber sonder biss, auf eigene Gefahr, einfach hinein. Es schmeckte. Darauf folgten mehrere Bisse, bis es weg war. Ich fegte die Krümel von meiner Hose und sah zu Liam, der ebenfalls aufgegessen hatte. Er seufzte. „Frag mich lieber, bevor du mir noch ein Loch in den Kopf starrst." Ich wendete meinen Blick nicht ab. „Wieso bin ich die Auserwählte? Und was wird meine Aufgabe sein?" Er zuckte mit den Schultern. „Laut der Legende wirst du für Gerechtigkeit zwischen den Reichen sorgen." Ich schaute ins Feuer. „Aber wofür denn?" Ich wusste, dass sein Blick die ganze Zeit auf mich ruhte. Ob er wohl selber nicht wusste? „Es gibt Streitigkeiten zwischen den Reichen um Hakuna." Jetzt sah ich ihn wieder interessiert an. „Hakuna?" „Ja, die anderen drei Reiche besitzen jeweils alle Herrscherpaare, außer Hakuna. Alle Reiche wollen Hakuna zu ihren machen." Ein Machtkampf unter den verschiedenen Reichen. „Aber warum hat Hakuna kein Herrscherpaar?" Liam starrte in die Ferne. „Es gibt viele Geschichten warum es so gekommen ist, aber niemand weiß, welche der Wahrheit entspricht, aber eins wissen die Reiche ganz genau. Um Hakuna zu übernehmen, müssen die Bewohner erst einmal verschwinden, um sie anschließend mit ihres gleichen zu füllen." Ich sah ihn schockierend an. „Das heißt, sie wollen alle die in Hakuna leben töten und niemand kann sie davon abhalten?" Er fing an zu lachen, aber es war bitter. „Ganz genau oder die Auserwählte rettet uns." Er sah mich voller Spott an. Er glaubte nicht daran, dass ich es schaffen könnte. Ich konnte es ihm nicht übel nehmen, denn ich wusste es selber noch nicht mal genau, ob ich überhaupt dafür geeignet war, geschweige denn, etwas ausrichten konnte. Liam stand auf und ging zu einem Baum hinüber. Er schaute uns über seine Schulter hin an. „Ich werde Wache halten. Versucht etwas zu schlafen." Delia sah ihn besorgt an. „Du wirst das nicht die ganze Nacht machen. Ich werde dich zwischendurch ablösen. Wir brauchen dich und deine Schwertkunst und wenn du ein müder Sack bist, wird das uns recht wenig helfen." Er nickte zustimmend. „Ich kann auch Wache halten", legte ich ein, was aber ignorierte wurde. Ich versuchte es mir auf meiner Decke so gut wie möglich bequem zu machen und schloss meine Augen. Ich hörte noch eine Weile dem Knacken des Feuers zu, bis ich schließlich einschlief.


Die Suche nach meinem IchWhere stories live. Discover now