Prolog

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Die Sonne blendet mich, aber ich versuche mich nicht von ihr ablenken zu lassen. Ich hocke mich weiter in das hohe Gras, neben dem Grundschulgebäude und sehe mich nach den schönsten und größten Gänseblümchen um. Weiter vorne höre ich die anderen Kinder lachen, die alleine oder in Paaren die Rutsche den kleinen Hügel hinunter sausen. Ich beachte sie auch nicht. Ich habe am Wochenende von meiner Mama gelernt, wie man mit Gänseblümchen ganz lange Ketten machen kann und will Nate damit überraschen. Er ist ein Junge und Jungs tragen keine Blümchen-Ketten, ich weiß - aber ich weiß auch, dass Nate nicht wie die anderen Blödmänner ist und sich über mein Geschenk freuen wird. Er freut sich immer über meine Geschenke mit einem breiten Lächeln.

Ich bringe ihn gerne zum Lachen, deshalb ist es mir egal, dass er ein Junge ist. Ich hab fast genug Blümchen gesammelt, es fehlen nur noch drei. Meine Knie tun schon weh, weil ich so lange hocke und die schönsten Blümchen für Nates Kette suche. Viele sind platt, oder zerknittert, weil die Kinder hier oft rumlaufen, wenn fangen gespielt wird oder verstecken, deshalb dauert das so lange. Am See war es einfacher, weil auf der großen Wiese nicht so viele Kinder rumlaufen.

Ich will mich gerade nach einem besonders schönen Blümchen strecken, als ein Ball mich am Kopf trifft. Ich kippe nach hinten und meine Ellenbogen knallen auf den Boden. Ich sehe auf. Die Sonne ist so hell, deshalb muss ich erst blinzeln. Dann sehe ich, dass es Logan ist. Sofort schaue ich ihn böse an und stehe auf. Logan ist einer der gemeinen Kinder hier. Ich mag keinen Streit, mit niemandem, aber er muss immer Ärger machen. Lässt mich nicht in Ruhe. Ich verstehe ihn einfach nicht. Er kennt mich nicht, ich habe ihm nichts getan und trotzdem ist er immer so gemein.

„Pass doch auf, Logan!", sage ich ihm und muss immer noch blinzeln, weil die Sonne mich blendet und ich ihn nicht ganz klar erkennen kann. Sein böses Grinsen sehe ich aber trotzdem.

„Dann krieche hier nicht so blöd auf dem Boden rum, du Bohnenstange!"

Er nennt mich immer Bohnenstange, weil ich so dünn bin. Ich verstehe auch nicht, wieso er das so schlimm findet. Mir ist das auch egal, mich nervt nur, dass er mich wie ao oft, stören muss.

„Wir dürfen nur da hinten Ball spielen, deshalb kann ich hier Hocken wo ich will.", sage ich und zeige auf die Spielfläche weiter unten, vor der hohen Schulmauer, an der ein kleines Fußballtor aus Stahl und ein Basketballkorb stehen.

„Bla, bla macht die Klugscheißerin.", äfft er und fasst nach meiner Hand, in der ich die Gänseblümchen halte. Ich ziehe sie aber sofort zurück. Sie sind beim Fallen zum Glück nicht kaputt gegangen. „ Was willst du denn mit den Blumen? Ist das dein Mittagessen? Du Ziege!" Er will wieder nach meiner Hand greifen, aber ich bin schneller.

„ Lass das Logan! Nimm deinen Ball und geh!" Er sieht mich finster an und schubst mich dann heftig. Ich stolpere nach hinten und verliere den Halt. Ich falle hin und mein Kopf prallt auf. Das Geräusch lässt mich erschauern. Ich verziehe das Gesicht und halte mir die Stirn. Als ich aufsehe, ist Logan über mich gebückt und grinst böse.

„Sag mir nicht was ich tun soll, Bohnenstange!" Er greift nach meiner Hand und reißt die Blümchen an sich. Dann wirft er sie auf mich und lacht. „Hier dein essen."

Ich will mich gerade aufrappeln und ihn von hier unten aus auf das Bein trete, als ein Schatten auf uns fällt.

„Verpiss dich Logan, oder ich stopfe dir die Gänseblümchen in deinen Mund, du Stinker!", höre ich Nate über mir sagen. Logan stellt sich wieder hin und sieht Nate wütend an, während er mir auf hilft.

„ Ach, bist du da, um deine Freundin zu retten!"

Nate tritt vor mich und baut sich vor Logan auf. Nate ist so fast einen Kopf größer als er. „Verschwinde Logan.", sagt er leise, aber warnend, woraufhin Logan schnaubt, sich den Ball nimmt und weggeht.

Nate dreht sich zu mir und mustert mich. „Hat er dir sehr weh getan?" Er fasst nach meinem Arm und ich sehe jetzt, dass ich ein paar Schürfwunden habe. Ich schüttle den Kopf. „Alles Gut, es ist nichts, nur sind jetzt alle meine schönen Blümchen kaputt."

Er zupft ein paar Grashalme von meinem Arm und meinem Haar und grinst, weil er es immer witzig findet, wie ich als Mädchen, nie weine, wenn ich mir weh tue oder jemand mich ärgert. Ich weine nicht gern. Ich bin keine Heulsuse, wie die anderen. Keine Ahnung, wieso er das so lustig findet. Er nennt mich deshalb immer Supergirl, um mich zu ärgern.

„Was wolltest du denn mit den Blumen? Ich hab dich gesucht.", sagt er mir etwas vorwurfsvoll. Er ist eine Klasse höher als ich, also schon in der vierten, weshalb wir uns erst in den Pausen sehen. Manchmal spielen wir auch mit unseren anderen Freunden aus unseren Klassen, aber wir sind oft zusammen, weil wir seit dem Kindergarten beste Freunde sind.

Ich sehe ihn schüchtern an und lächle. „Ich wollte dir eine Gänseblümchen-Kette machen, aber dieser blöde Logan hat alles kaputt gemacht.", lenke ich ein, damit er nicht sieht, wie peinlich mir das grad ist. Er grinst wieder und schiebt mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich beim Fall in meinen Wimpern gefangen haben.

Ich mag es wenn er grinst, dann glitzern seine Augen, wie das Meer und seine niedlichen Grübchen bilden sich. Ich finde das irgendwie total toll. Weshalb ich jetzt auch lächeln muss.

„Blümchen-Kette, hm. Vielleicht war es gut, dass die Blumen kaputt gegangen sind Supergirl.'' Sagt er und lacht und ich muss auch lachen. Der Ärger über Logan ist verflogen. Wir lachen und spielen weiter, fantasieren über unsere Zukunft, während wir im Gras liegen - weit weg von den anderen Kindern. Nate findet es immer so toll, wie verrückt meine Fantasie manchmal sein kann und taucht gerne in meine Träume ein - malt sie mit mir aus.

Heute denken wir wieder darüber nach, wie wir sein werden, wenn wir groß sind. Wir versprechen uns, dass wir uns immer beschützen und immer viel lachen werden.

An diesem Tag, der einer von vielen wundervollen Tagen war, wussten wir noch nicht, dass wir dieses Versprechen nicht einhalten konnten. Dass wir in der Zukunft getrennt sein würden durch das Schicksal, ohne Vorwarnung entzweit. Dass dies der letzte Tag sein würde, an dem wir zusammen sein würden. Dass ich allein zurück bleiben würde, ohne meinen besten Freund, der mich beschützt und mich immer zum Lachen bringt, egal wie traurig ich bin.

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Hey :D Danke erstmal, dass ihr bis hierher gelesen habt, und anscheinend noch nicht schreiend davon gelaufen seid. Also...Wie findet ihr den Anfang?

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