NIALL
LONDON – 23.05.2018
*Während ich vor einem Café, indem Liam und ich uns verabredet hatten, wartete und mir gleichzeitig dabei meinen Allerwertesten abfror, schaute ich zum Himmel. Obwohl wir fast Ende Mai hatten, war es hier merkwürdig kalt, das Thermometer erreichte fast die Null Grad. Heute hätte es regnen sollen, stattdessen rieselten Schneeflocken vom Himmel.
Schnee im Sommer.
Entweder ich tickte nicht mehr sauber oder irgendetwas war gewaltig schief gelaufen.
Verwirrt und gespannt zugleich betrachtete ich die Schneeflocken, die langsam zu Boden rieselten. Ich streckte meine Hand raus und ließ ein paar von ihnen auf meiner Hand landen. Sie zerschmolzen augenblicklich und meine Handfläche füllte sich mit Wasser.
Ich schaute auf, mein Blick fiel auf eine vermummte Gestalt, die gerade die Straße überquerte und auf mich zuging. Liam. Dieses Mal trug er Sonnenbrille – anders als bei der Beerdigung. Außerdem hatte er sein Gesicht halb im Schal versteckt und seine Mütze tief ins Gesicht gezogen.
Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch: „Du trägst Schal und Mütze, aber keine Jacke? Wo besteht darin die Logik?"
„Die Logik besteht darin, dass ich dir gleich in den Arsch trete, falls mein Bein bis dahin nicht eingefroren ist", erwiderte mein bester Freund und schob mich in das Café. Ich konnte ihn hinter mir erleichtert aufatmen hören und verkniff mir ein amüsiertes Grinsen.
Wir setzten uns an einen der hinteren Tische und ich bestellte auf Liams Kosten zwei Kakaos.
Es wurde still bei uns am Tisch.
Liam spielte mit einer der Zuckertütchen, sein Blick instinktiv darauf geheftet. „Denkst du, Zayn hat das alles geplant? Also dass mit seinem Tod?" Er schaute auf, seinen Blick konnte ich nicht ganz deuten.
Fragend schaute ich ihn an: „Wie meinst du das, Liam?"
„Ich meine damit, dass es sicherlich kein Zufall war, dass er ausgerechnet jetzt stirbt. Und hast du den Zettel noch einmal gelesen? Ich weiß nicht, wieviel Zeit mir noch bleibt. Das ist doch eindeutig ein Indiz dafür, dass er wusste, dass sein Leben ein Enddatum hatte. Vielleicht war er bei dem Versuch uns zu retten selbst draufgegangen."
„Ich glaube, er wäre eher für eine Packung Kokain draufgegangen als für uns", erwiderte ich und musste ironisch auflachen: „Du weißt schon, dass sich das gerade extrem lächerlich anhört?"
Allein die Vorstellung, dass Zayn einen einzigen Gedanken an uns verschwendet hat, war lächerlich. Seit gestern fragte ich mich, wieso ich überhaupt zu einer Beerdigung von einem Typen gegangen bin, der unsere Freundschaft in den Schmutz gezogen und Dinge über uns erzählt hat, die wir uns geschworen haben niemanden zu erzählen. Das war für mich eindeutig ein Vertrauensbruch und jetzt meinte Liam auch noch, dass Zayn uns mit diesem mysteriösen Zettel „helfen" wollte.
Ein Kellner brachte uns zwei Tassen, Liam steckte ihm ein wenig Trinkgeld zu, welches der Kellner dankend annahm und wieder verschwand.
„Wann hast du das letzte Mal deine Familie zuhause besucht?" Liam hatte die Frage gestellt ehe ich zwei Schlucke von meinem Kakao nehmen konnte.
„Wann hast du das letzte Mal deine Familie besucht?", konterte ich und nahm einen weiteren Schluck.
Liam seufzte: „Niall."
Ich hob abwehrend meine Hände: „Ist ja gut! Das letzte Mal, als ich meinen Dad und Theo zu Gesicht bekommen hab, war vor sieben Monaten."
Meine Gedanken schweiften zu meiner Familie. Wie ich Dad kennen würde, würde er sich aufregen, weil es wahrscheinlich auch bei ihnen schneite und er seine Arbeit im Garten nicht fortfahren konnte. Theo würde das als Anlass nehmen um seine Mutter in den Garten zu ziehen und mit ihr Schneemänner zu bauen oder Schneeengel zu machen.
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Requiem
FanfictionEr versuchte zu retten, was es zu retten gab. Eines würde er nicht mehr gewinnen können: die unzertrennliche Freundschaft und die bedingungslose Loyalität zu seinen ehemaligen Freunden. Er versuchte zu sichern, was es zu sichern gab. Das Geld, das...