NIALL
MULLINGAR - 25.05.2018
*
Ich stand vor dem Haus, indem ich einen Teil meiner Kindheit verbracht hatte, doch ich wagte nicht einen Schritt in dessen Richtung. Aus dem Haus vernahm ich Stimmen. Ich verfluchte Liam dafür, dass er mir in dem Café diesen Gedanken in meinem Kopf eingenistet hatte und dafür, dass er bei unserem letzten Telefonat aufgelegt hatte, bevor ich ihm überhaupt sagen konnte, dass ich den nächsten Flieger nach Dublin nehmen würde um meine Familie nach all den Jahren wieder zu besuchen.
Außerdem verfluchte ich Zayn dafür, dass er gestorben war. Dann hätte Liam wenigstens keinen Gedanken an den Streit zwischen mir und den Rest der Familie denken können.
Ach was, ich verfluchte sie alle.
Selbst hier hatte es geschneit. Um mich herum lag Schnee soweit das Auge reichte, und die Äste der alten Eiche auf der anderen Straßenseite hingen bereits runter und gaben ein schwerfälliges Knarzen von sich.
Ich bereute meine Entscheidung, hierher geflogen zu sein.
Und wie ich sie bereute.
In meiner linken Hand ruhte meine Sporttasche, in der ich vor knapp acht Stunden meine Sachen Hals über Kopf reingeworfen hatte. In meinem Kopf hatte sich das nach einer ganz guten Idee angehört, hauptsächlich war es Liams Stimme gewesen, die den Gedanken immer wieder wiederholt hatte, bis ich sie nicht mehr hören konnte und schließlich zur Tat geschritten war.
Jetzt kam es mir vor wie der letzte Scheiß auf Erden.
Ein riesiger Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet. Die Kälte zerrte an meinem Körper. Ich zitterte, weil ich schon seit einer Viertelstunde hier draußen stand und nicht wagte zu klingeln. Wie ein Feigling.
Mein Handy fing in meiner Hosentasche zu vibrieren. Liam rief an. Erst zögerte ich, dann nahm ich den Anruf entgegen. Von der anderen Seite der Leitung drang ein „Niall, ich muss dir dringend was erzählen." Seine Stimme klang geschockt, als hätte ihn eine Nachricht vollkommen von den Füßen gehauen.
Doch ich antwortete nicht und schwieg.
Ich konnte mir vorstellen, dass Liam fragend eine Augenbraue hoch, genauso wie ich es an seinem Ton erkannte: „Niall? Bist du dran?"
„Ich stehe vor dem Haus meines Vaters."
Ein Schweigen erfüllte die Leitung, ehe Liam ein verblüfftes „Oh" herausbrachte.
„Ich dachte, es wäre eine sinnvolle Idee. Vielleicht hat sich Greg wieder beruhigt, aber jetzt kommt es mir einfach nur noch total bescheuert vor. Was habe ich mir dabei nur gedacht?" Ich fuhr mir verzweifelt mit der einen Hand durch die Haare.
„Gar nichts, Niall", kam es zurück. Es hörte sich an, als würde Liam grinsen. „Aber es ist der erste Schritt zur Besserung. Es kann nur noch bergauf gehen."
„Nein, Liam. Es kann nur noch bergab gehen", korrigierte ich ihn und klang eine Spur mehr verzweifelter.
Ich wollte dieses Haus nicht betreten. Ich sollte umdrehen und zurück nach London fliegen, mich dort in mein Bett vergraben und mir langweilige Sendungen reinziehen, Colins Kopf kraulen und einfach die Welt um mich herum vergessen. Am besten sollte ich auch einfach den Gedanken vergessen mich mit Greg wieder zu versöhnen. Denn er wird immer irgendetwas haben, was er mir an den Kopf werfen kann und ich war niemand, der sich das gefallen ließ. Also lief ich lieber davor weg um nicht noch zusätzlich Kritik ertragen zu müssen, besonders von der eigenen Verwandtschaft, die ja eigentlich immer hinter einem stehen sollte.
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Requiem
FanfictionEr versuchte zu retten, was es zu retten gab. Eines würde er nicht mehr gewinnen können: die unzertrennliche Freundschaft und die bedingungslose Loyalität zu seinen ehemaligen Freunden. Er versuchte zu sichern, was es zu sichern gab. Das Geld, das...