6 | A Tragic Story.

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LIAM
MANCHESTER – 24.05.2018
*


Du bist ja größenwahnsinnig."

Ich schaute aus dem Fenster zu dem Haus, das sich vor mir befand. Lichter brannten noch und ab und zu sah ich ihren Schatten. Ich hatte fast drei Stunden nach Manchester gebraucht, weil der Schneefall noch mehr Unfälle auf den Straßen verursacht hatte und der Räumdienst nicht so schnell nachkam. Aber es hatte mir Zeit gegeben zu überlegen, wie ich das hier anfechten sollte.

Und irgendwann war mir eingefallen: Ich hatte überhaupt keinen Plan.

Es war einfach eine Entscheidung gewesen, die ich von jetzt auf gleich getroffen hatte ohne auch nur an irgendwelche Auswirkungen oder Konsequenzen zu denken.

Zayns Zettel hatte mir einen Denkanstoß verpasst. Und den Drang wieder etwas gut zu machen.

Liam? Bist du noch dran? Soll ich schon vorsichtshalber die Cops rufen, damit sie deine Leiche finden sollen?"

„Niall, hör auf mich zu nerven. Ich muss nachdenken."

Am anderen Ende der Leitung erklang ein tiefer Seufzer: „Ich will ja nichts sagen, aber dieser Plan ist einfach nur idiotisch. Sobald sie dich sieht, wird sie eine Knarre auf dich richten und volles Magazin geben. Wir wissen doch beide, wie das letztes Mal ausgegangen ist."

Erinnerungen an das letzte Treffen durchfluteten mich.

Sie war genauso gewesen, wie ich es mir gedacht hatte. Verdammt sauer, enttäuscht und traurig. Aber eher mehr enttäuscht und traurig als sauer. Niall hatte die Biege gemacht, bevor wir beide noch Schaden von dem Treffen bekommen konnten. Wobei ich sagen musste, dass das nur ein zufälliges Treffen gewesen war.

„Ich weiß, ich weiß ... aber dieses Mal wird es anders sein."

Ich halte dich immer noch für den größten Idioten dieses Planeten", kam es prompt zurück.

Dann war ich halt ein Idiot. Mir war es jetzt egal.

„Tschau, Niall. Wir sehen uns, wenn ich wieder in London bin."

Wa-"

Ich drückte auf den Hörer des Displays und legte auf, bevor er sein erstes Wort überhaupt ganz aussprechen konnte. Ich hatte schon von Anfang an gewusst, dass er dagegen sein würde. Direkt wollte er es nicht sagen, aber indirekt hatte ich gemerkt, dass er noch wollte, dass ich weiter unter den Lebenden weilte.

Wieder huschte ihr Schatten an einem der Fenster.

Vielleicht hatte sie wieder Schlafprobleme. Früher hatte sie ständig welche gehabt.

Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte ich, dass wir bereits zehn Uhr hatten. Ich schloss die Augen und atmete noch einmal tief durch.

Okay, Liam. Du schaffst das. Alles andere hast du auch geschafft, also wird es für dich ein Leichtes sein, das hier zu meistern.

Ich öffnete die Wagentür und stieg aus. Schnee rieselte vom Himmel, die ganze Straße war voll davon. Die Äste der Bäume hingen schon herunter, lange würden sie diese Last nicht mehr tragen können.

Langsamen Schrittes ging ich auf das kleine Gartentörchen zu und drückte die Klinke runter. Das Tor gab ein Quietschen von sich. Vorsichtig schloss ich es wieder und ging weiter zur Haustür.

Bevor ich jedoch auf die Türklinke drückte, verharrte ich in meiner Person.

Jetzt überkamen mich doch wieder die Zweifel.

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